Martin Peter
"Provinzposse" - oder was?
Brandenburg: Warum die Armenier doch nicht aus
dem Lehrplan fallen
Dagmar Enkelmann, die Fraktionsvorsitzende der PDS im
brandenburgischen Landtag, hat für die bundesweit
Kopfschütteln auslösende Schulbuchaffäre nur
beißenden Spott übrig: "Peinliche Provinzposse."
CDU-Generalsekretär Sven Petke fühlt sich an eine
"Nacht-und-Nebel-Aktion" erinnert. Dabei geht es "lediglich" um die
Streichung des Beispiels Armenien für einen Genozid im
vergangenen Jahrhundert aus der Internet-Fassung des Lehrplans
für die 9. und 10. Klasse. Inzwischen hat
Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) eingeräumt,
dass diese Streichung ein Fehler war.
Um diese "peinliche Provinzposse" beziehungsweise
"Nacht-und-Nebel-Aktion" zu verstehen, muss an folgendes erinnert
werden: Vor 100 Jahren versuchten die islamischen Osmanen
(Türken) die christlichen Armenier auszurotten. Es kam zu
einem fürchterlichen Gemetzel, dem zwischen einer und
anderthalb Millionen Armenier zum Opfer fielen. In jeder noch so
kurzgefassten Kirchengeschichte kann man nachlesen, dass es sich um
die zahlenmäßig größte Christenverfolgung aller
Zeiten gehandelt hat.
Doch die Türkei leugnet diesen Völkermord bis auf den
heutigen Tag und reagiert äußerst allergisch, wenn das
Thema angeschnitten wird. Etwa von den Kirchen im Blick auf den
Beitrittswunsch der Türkei zur Europäischen Gemeinschaft.
Aus welchen Gründen auch immer wollen sich die Türken
diesem Thema nicht stellen. Und so haben sie auch ein Interesse
daran, dass es nicht in deutschen Schulbüchern behandelt wird.
Um kein falsches Licht auf die Türkei fallen zu lassen, die
aus Sicht der Kirchen bis auf den heutigen Tag den Christen
beharrlich die Gleichberechtigung verweigert, die sie
beispielsweise aber in Deutschland wie selbstverständlich
für sich in Anspruch nehmen.
Nun trafen sich Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD)
und sein Bildungsminister Holger Rupprecht (parteilos) mit dem
türkischen Generalkonsul zum Essen. Kurz darauf kam es wohl
auf Bitten (oder gar Anweisung?) der Staatskanzlei zu der
Streichung des Genozids an den Armeniern aus der Internetfassung
und aus den künftigen Neuauflagen der entsprechenden
Schulbücher. Doch als dies bekannt wurde, setzte ein Sturm der
Entrüstung ein und Platzeck beeilte sich darauf hinzuweisen,
dass die Streichung nichts mit dem Essen zu tun habe. Soll
heißen, die Türkei habe keinen Druck ausgeübt. Genau
das aber wurde und wird immer wieder behauptet. Platzeck hält
dagegen, dass er gegen politischen Druck "resistent" sei.
Nicht resistent zeigte sich der Ministerpräsident
gegenüber der öffentlichen Entrüstung.
Schließlich ist der Völkermord an den Armeniern
geschichtliches Grundwissen und hat darum auch seinen Platz in
brandenburgischen Schulbüchern. Aber hätten nicht andere
Beispiele gewählt oder noch weitere Beispiele genannt werden
können, wenn schon die Armenier erwähnt werden sollten?
Fragen über Fragen, die nun gestellt wurden. Aber sie alle
lenkten von der eigentlichen Frage ab, warum man plötzlich die
Armenier wieder streichen wollte, deren Leiden erst vor knapp drei
Jahren in den Lehrplan aufgenommen worden sind?
Ministerpräsident Platzeck erkannte plötzlich, dass
ihm diese Geschichte schaden könnte. SPD- und
CDU-Landtagsfraktion, die bilden in Brandenburg die
Regierungskoalition, ergriffen die Initiative: Armenien kommt
wieder in den Lehrplan. Inzwischen hatten sich auch die in
Deutschland lebenden Armenier zu Wort gemeldet. Der
Ministerpräsident lud daraufhin die armenische Botschafterin,
Karine Kazinian, zusammen mit Vertretern der armenischen Kirche und
des Zentralrats der Armenier zu einem Gespräch in die
Staatskanzlei, vor der er auch die armenische Fahne hissen
ließ.
Anschließend gab sich die Botschafterin zufrieden: Der
Völkermord an den Armeniern werde auch weiterhin im
brandenburgischen Schulunterricht behandelt. Wie Platzeck in der
emotionsgeladenen Debatte meinte, sei es nicht korrekt, beim Thema
Ausrottung ganzer Völker nur die Armenier zu nennen. Dies sei
"historisch und sachlich" nicht in Ordnung. Nun sollen auch weitere
Beispiele genannt werden - wogegen selbstverständlich niemand
etwas hat.
Sachlich falsch war es freilich, die Armenier aus dem Lehrplan
zu streichen. Aber das ist nun rückgängig gemacht worden.
Und in wenigen Monaten soll eine Handreichung zum Unterrichtsthema
Genozid vorliegen. Diesmal wird man vor der Veröffentlichung
unabhängige Fachleute zu Rate ziehen. Ein zweites Debakel wie
bei der Streichung der Armenier will man sich auf diese Weise
ersparen.
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