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Nicole Alexander
Das jähe Ende einer unbeschwerten
Jugend
Wenn Kinder Kinder bekommen:
Teenagerschwangerschaften nehmen zu
Ihre unbeschwerte Kindheit ist vorbei, lange
bevor Nadia (Name geändert) schwanger wird: Ihre Mutter stirbt
an Brustkrebs, da ist sie 14 Jahre alt. "Seitdem waren wir
eigentlich keine richtige Familie mehr", meint Nadia heute. Mit
ihrem Vater, einem aus dem Iran stammenden Ingenieur, gibt es
ständig Streit. Discobesuche sind streng verboten, modische
Klamotten ebenfalls. "Ein radikaler Mensch ist er bestimmt nicht",
sagt die zierliche 20-Jährige über ihren Vater. "Aber
über mich und meine jüngere Schwester will er halt immer
die Kontrolle haben."
In Nadias Fall geht das gründlich
schief. Mit 15 lernt die Gymnasiastin Mahmud kennen, einen Kurden.
Er ist zehn Jahre älter als Nadia, eine Ausbildung hat er
nicht - Nadia weiß, dass ihn ihr Vater nie akzeptieren
würde. Deswegen trifft sie sich heimlich mit Mahmud.
Anderthalb Jahre dauert das Versteckspiel. Bis Nadia - da ist sie
16 - feststellt, dass sie schwanger ist.
Auch Katrin (Name geändert) hat schon
allerhand miterlebt in ihrem jungen Leben. Als sie 13 ist, wandert
ihre Mutter wegen Betrug ins Gefängnis. Während die
Mutter ihre Haft absitzt, beschließt die Tochter, ein Kind zu
bekommen. Ihrem damaligen Freund erzählt sie nichts von ihrem
Vorhaben. "Ich habe mich so einsam gefühlt, deswegen wollte
ich unbedingt ein Baby", erzählt die 18-jährige Mutter
eines dreijährigen Sohnes.
Zwei Mädchenschicksale, die sich in
ähnlicher Form immer häufiger in Deutschland abspielen:
Seit Jahren steigt die Zahl der Schwangerschaften von
Minderjährigen. 2003 erwarteten 12.776 minderjährige
Mädchen ein Kind. Zum Vergleich: 1996 waren es 9.490. Dieser
Anstieg war auch der Grund für eine Kleine Anfrage, die die
CDU/CSU-Fraktion zum Thema "Teenagerschwangerschaften" Ende letzten
Jahres stellte (Drucksache 15/4441). Die Bundesregierung antwortete
am 20. Dezember 2004, dass sie die Zunahme von Schwangerschaften
Minderjähriger sehr ernst nehme, aber nicht für
besorgniserregend halte (Drucksache 15/4580).
Mit dem Anstieg der Teenagerschwangerschaften
vollzieht sich in Deutschland ein umgekehrter Trend als in den
OECD-Staaten insgesamt. Denn nach einer Studie des Kinderhilfswerks
UNICEF aus dem Jahr 2002, die die Lebenssituation von
Teenager-Müttern in 28 OECD-Staaten untersucht, hat sich die
Zahl der Geburten bei Jugendlichen in den vergangenen drei
Jahrzehnten halbiert. Insgesamt werden in diesen Ländern
jährlich rund 1,25 Millionen Mädchen im Alter von 15 bis
19 Jahren schwanger, etwa 500.000 von ihnen brechen die
Schwangerschaft ab.
Die meisten Teenager-Mütter leben in den
USA. Dort ist die Geburtenrate mehr als doppelt so hoch wie in den
meisten anderen OECD-Ländern: Auf 1.000 junge Frauen kommen 52
Geburten. In Europa ist Großbritannien Spitzenreiter.
Durchschnittlich 31 von 1.000 Teenagern bringen dort ein Kind zur
Welt. Die niedrigste Rate von etwa sieben Geburten pro 1.000 Frauen
unter 20 Jahren verzeichnen Korea, Japan, die Schweiz, die
Niederlande und Schweden. Deutschland liegt im internationalen
Vergleich mit 13 Geburten je 1.000 Frauen unter 19 Jahren im
Mittelfeld.
Mangelnde Aufklärung ist einer der
Hauptgründe für Teenager-Schwangerschaften. Eine Studie,
für die das Robert-Koch-Institut in Berlin vor zwei Jahren 881
Schülerinnen der sechsten Klasse sowie 1.030 Schüler und
Schülerinnen der neunten und zehnten Klasse befragte,
offenbarte enorme Wissenslücken der Teenies vor allem bei den
Themen Verhütung und Schwangerschaft. 61 Prozent der
Sechstklässlerinnen gaben an, dass im Unterricht selten oder
überhaupt nicht darüber gesprochen worden sei. Da die
Mädchen jedoch immer früher geschlechtsreif werden -
viele bekommen bereits mit neun oder zehn Jahren ihre erste Periode
-, muss in der Schule entsprechend frühzeitig aufgeklärt
werden, fordern vor allem Mediziner.
Zugleich stehen die Jugendlichen in Sachen
Sex unter enormem Erfolgsdruck - nach dem Motto: Alle haben schon,
nur ich nicht. So schätzten die vom Robert-Koch-Institut
befragten Schülerinnen den Anteil der Altersgenossinnen, die
bereits Geschlechtsverkehr gehabt haben, deutlich höher ein,
als er tatsächlich liegt.
Doch entscheiden sich auch viele junge
Mädchen - ähnlich wie Katrin - bewusst für eine
Schwangerschaft oder wünschen sie sich zumindest unbewusst
herbei - meist ohne sich im Klaren darüber zu sein, was es
bedeutet, für ein Kind verantwortlich zu sein. Oft kommen sie
aus sozial schwachen Familien, in denen Alkoholmissbrauch,
Misshandlungen und sexuelle Gewalt an der Tagesordnung sind. "Weil
diese jungen Mädchen sonst kaum eine Perspektive haben, stellt
sich ihnen eine Schwangerschaft oft als Lösung des eigenen
Lebensdilemmas dar", erklärt Gaby Daiber, Sozialpädagogin
im Kinder- und Jugendhilfeverbund des Evangelischen Jugend- und
Fürsorgewerks in Berlin. Das Kind gibt ihnen die Hoffnung auf
einen Neubeginn und soll ihre Sehnsucht nach Liebe und Geborgenheit
erfüllen.
Als Katrin ihrer Mutter erzählt, dass
sie schwanger ist, erhält sie eine Tracht Prügel. Die
Mutter verlangt, dass Katrin abtreiben soll. Doch die
14-Jährige ist fest entschlossen, ihr Baby zu bekommen. Nadia
hingegen ist sich lange unschlüssig, ob sie das Kind zur Welt
bringen soll. Tag und Nacht überlegt sie hin und her, streitet
sich mit ihrem Freund. Der stellt sie vor die Alternative: Entweder
du treibst ab oder ich gehe!
Als sich Nadia schließlich für das
Kind entscheidet, macht Mahmud seine Drohung wahr und verlässt
sie. Für die 16-Jährige ist das Verhalten ihres Freundes
ein Schock. Doch untypisch ist es nicht: Fast immer leugnen die
Partner minderjähriger Frauen ihre Mitverantwortung an deren
Schwangerschaft und lassen die werdenden Mütter
allein.
Nadia ist klar: Lange wird sie ihren
wachsenden Bauch vor ihrem Vater nicht mehr verstecken können.
Als sie ihm eines Tages ihre Schwangerschaft "gesteht", fällt
seine Reaktion aus, wie befürchtet: Er schreit, sie sei eine
Schande für ihn und seine Familie. Daraufhin beschließt
die Schülerin, von zu Hause aus- und in ein Mutter-Kind-Haus
zu ziehen.
Solche Einrichtungen des Betreuten Wohnens,
in denen allein erziehende Frauen (oder Männer) mit ihren
Kindern leben, solange diese unter sechs Jahre alt sind, gibt es in
jeder größeren Stadt. Die Kosten für die
Unterbringung - so regelt es das Kinder- und Jugendhilfegesetz -
übernimmt das Jugendamt. Sozialpädagoginnen sorgen
für die Schwangeren und Mütter und unterstützen sie
in allen Lebenslagen. Das reicht von der Geburtsvorbereitung
über die Haushaltsführung bis hin zu
Behördengängen.
Das Wichtigste jedoch, erklärt die
Sozialpädagogin Andrea Rakers vom Berliner Verein "Leben
Lernen e. V.", ist, "gemeinsam zu klären, ob Mutter und Kind
auf Dauer zusammen bleiben". Denn viele der Teenager sind mit der
Mutterrolle überfordert. Sie fühlen sich durch das Kind
stark eingeengt und konkurrieren mit ihm um Liebe und Zuwendung.
"Die Bedürfnisse ihrer Kinder zu erkennen und zu akzeptieren,
fällt den jungen Müttern oft schwer", sagt
Rakers.
Auch Nadias Verhältnis zu ihrem kleinen
Sohn ist fragil. Manchmal ist sie kurz davor, ihn zu Pflegeeltern
zu geben. Erst allmählich akzeptiert sie ihre Rolle als allein
erziehende Mutter. Das Verhältnis zu ihrem Vater bleibt
schwierig. Ihr Ex-Freund erkennt zwar anderthalb Jahre nach ihrer
Trennung die Vaterschaft an, doch Unterhalt zahlt er nicht. Und die
Freundinnen aus der Schulzeit plagen ganz andere Sorgen als Nadia:
Wenn sie im Mutter-Kind-Haus vorbeischauen, erzählen sie vom
neuen Freund, dem letzten Disco-Besuch, den bevorstehenden
Abi-Prüfungen - bei Nadia dreht sich alles um Babynahrung,
Windeln und Kindergeschrei. Beneidet habe sie ihre Freundinnen oft
um ihre Unbeschwertheit, erzählt Nadia, und um die
Zukunftspläne, die sie schmiedeten.
Für Teenager-Mütter wie Katrin und
Nadia hingegen sind die Zukunftsaussichten statistisch gesehen
alles andere als rosig: Laut UNICEF-Studie ist das Armutsrisiko
für sie etwa doppelt so hoch wie für Frauen, die als
Erwachsene ihr erstes Kind bekommen. 54 Prozent der heute
30-Jährigen, die vor ihrem 20. Geburtstag ein Kind zur Welt
gebracht haben, zählen zu den 20 Prozent der ärmsten
Haushalte. Oft fühlen sich die Teenager-Mütter durch ihr
Kind überlastet und nicht in der Lage, weiter zur Schule zu
gehen oder eine Ausbildung zu machen. Damit sinkt ihre Chance,
später einmal einen qualifizierten und gut bezahlten Beruf
auszuüben.
Umso mehr bemühen sich die
Sozialarbeiterinnen in den Mutter-Kind-Einrichtungen, die jungen
Mütter von der Notwendigkeit eines Schulabschlusses oder einer
Ausbildung zu überzeugen. Im Falle von Nadia und Katrin mit
Erfolg: Die Schule hat Nadia zwar abgebrochen, doch absolviert sie
seit zwei Jahren erfolgreich eine Ausbildung als
Fremdsprachensekretärin, Katrin holt ihren erweiterten
Hauptschulabschluss nach.
Beide haben sich inzwischen mit ihrer
Lebenssituation arrangiert. "Man kann auch als Teenager sein Leben
einrichten mit einem Kind", findet Katrin. Noch mehr Kinder zu
bekommen, kann sie sich allerdings nicht vorstellen. Und Nadia sagt
nachdenklich: "Ich kann nicht sagen, was ich anders machen
würde, wenn ich die Zeit zurückdrehen könnte. Die
letzten Jahre waren total schwer. Es ist in jedem Alter eine
Umstellung, ein Kind zu bekommen, aber wenn es nicht geplant ist
und das eigene Leben nicht so richtig abgesichert ist, ist es
einfach verdammt hart."
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