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Martin U. Müller
Kein Mann der lauten Töne
Christian Lindner (25), genannt Bambi, ist
Generalsekretär der nordrhein-westfälischen
FDP
Wenn ihre Freunde auf Partys gehen, sitzen sie noch im
Ortsverein. Jede freie Minute widmen sie der Partei, fast jeder
Kontakt ist auch politisch. Der Weg in die große Politik ist
lang. Doch sie wollen ihn gehen: Ehrgeizige Talente gibt es in
allen Parteien - trotz aller Nachwuchssorgen. "Das Parlament"
stellt einige Jungpolitiker vor.
Rucolasalat mit Kirschtomaten und Pinienkernen an
Kerbel-Sekt-Vinaigrette steht als Vorspeise auf der Menükarte.
Und während ein vielleicht gerade mal 22 Jahre altes
Vorstandsmitglied der Kölner FDP aufgeregt auf dem
Auslöser seiner Digitalkamera drückt, setzt sich das an
diesem Abend so begehrte Fotomodell gelassen auf die lederne Couch.
Christian Lindner plaudert, grüßt in die Runde und geht
noch einmal die Anekdote seiner Ansprache durch, die er gleich
halten wird: Es geht um einen Zeitungsschnipsel über das
miserable Wirtschaftswachstum von Nordrhein-Westfalen.
Der adrett gekleidete Mann mit auffälliger Uhr aus dem
Hochpreissegment ist Nordrhein-Westfalens jüngster
Landtagsabgeordneter gewesen. Heute 25 Jahre alt, zog er vor
fünf Jahren auf Sitz 230 von 231 Parlamentariern in die letzte
Reihe des Düsseldorfer Landtags ein. "Eigentlich kam das
damals alles ein bisschen überraschend", räumt Christian
Lindner ein und spricht vom "Möllemann-Effekt", der die FDP im
Mai 2000 mit 24 Abgeordneten ins Parlament katapultierte. Seine
Kandidatur sei eher Zufall gewesen, zu viele "Kandidaten mit schon
grauen Haaren" hätten sich zur Wahl gestellt. "Ich hatte nie
ein besonderes Verhältnis zu Jürgen Möllemann." Doch
trotzdem brachte ihm der 2003 verstorbene Fraktionsvorsitzende
einen Spitznamen ein, der dem Jungpolitiker bis heute anhängt:
"Bambi". Ein bisschen spöttisch, ein wenig liebevoll - "Bambi"
steht für "schüchterne, staksige Bewegungen" ("Die Welt")
genauso, wie für "vor Selbstbewusstsein strotzendes" Auftreten
("Frankfurter Rundschau"). Doch er bekam auch unbequeme Seiten des
Landeschefs der Liberalen mit: "Eines Morgens rief mich
Möllemann um 6.30 Uhr an, um zu sagen, dass ich nicht wie
gewollt wissenschaftspolitischer Sprecher werden könne",
erinnert sich Christian Lindner. Durch biografische Nähe wurde
aus Wissenschaft das Kinder- und Familienressort. "Ich bereue das
heute nicht. In diesem Arbeitsbereich lernt man alle Aufgabenfelder
der Politik kennen", meint Christian Lindner.
Der parlamentarische Start 2000 war zunächst nicht ganz so
glorreich, wie "Bambi" ihn sich zuvor ausmalte: "Ich war sehr
wechselhaft und wollte am liebsten zu jedem Thema etwas sagen."
Nach dem ersten Jahr setzte er jedoch Schwerpunkte, im November
2004 folgte die Wahl zum FDP Generalsekretär in
Nordrhein-Westfalen. Doch den eigentlichen Eintritt in die Welt der
Politik unternahm Lindner schon als Teenager, mit 14 Jahren. Er
trat den Jungliberalen bei, zwei Jahre später folgte der
Übertritt in die FDP. Die Auswahl der liberalen Partei
erfolgte nach dem Ausschlussprinzip, sagt Christian Lindner: "Die
Grünen waren mir zu pessimistisch, die CDU zu spießig und
die SPD einfach nur gleichmacherisch." Die FDP sei optimistischer
und würde dem Menschen mehr zutrauen. Von der Wichtigkeit der
Politik im Allgemeinen war er schon zu Schulzeiten als
Schülervertreter überzeugt. So sei ein Einvernehmen
zwischen Lehrern, Schülern und den Eltern immer das Eine
gewesen. Das Andere ist, "dass wir für die wirklichen
Entscheidungen - und wenn es dabei auch nur um die Umsetzung von
Blumenkübeln ging - immer den Stadtrat brauchten", erinnert er
sich. Besonders stolz ist Christian Lindner, dass rund zehn Prozent
seines Abiturjahrgangs Mitglieder der FDP sind, und einen kurzen
Moment scheint nach dem Vorbild Möllemanns ein
"Lindner-Effekt" im Raum zu stehen. Eine Volkspartei sei die FDP
aber nicht. "Wenn man sich an 50 Prozent und mehr orientieren muss,
dann wird eine Partei schnell beliebig. Wir sind und bleiben eine
Programmpartei. Das Programm muss zwar für alle annehmbar
sein, aber man muss noch lange nicht um jeden Wähler buhlen."
Programmatische Defizite sieht Lindner in seiner Partei nicht.
Vielmehr gebe es bisweilen ein Kommunikationsproblem. "Die
öffentliche Wahrnehmung der FDP ist beschränkt auf
spießige Lobbyorganisation und Vertretung von
Mittelstandsinteressen", sagt der Jungpolitiker. Die Gedanken der
Partei zu einem liberalen Grundverständnis der Gesellschaft
und einer liberalen Wertorientierung würden dabei oft
verblassen.
Und doch erfüllt auch der jüngste Generalsekretär
aller Zeiten die den Liberalen gerne nachgesagten Klischees. Schon
mit 18 Jahren gründete er, mitten im Abitur steckend, eine
Kommunikationsberatung. Siemens und andere namhafte Unternehmen
zählten zu seinen Kunden. Nur wenig später stieg er in
ein Softwareunternehmen ein, welches 2002 in die Insolvenz
schlitterte. Mehr als zwei Millionen Euro flossen bis dahin in die
Moomax GmbH. Aus dem Porsche von damals ist heute ein kleiner BMW
geworden.
Doch die Erfahrung bleibt: "Nebentätigkeiten müssen
für Abgeordnete erlaubt sein, um auch Erfahrungen mit in das
Parlament bringen zu können. Doch es darf daraus kein reiner
Nebenverdienst ohne Gegenleistung des Parlamentariers werden."
Neben Statements zu allen Feldern der Politik als
Generalsekretär hat auch Lindner sein persönliches
Themenfeld, die Schulpolitik. "Schulen müssen mit Lehrern
eigene Anstellungsverträge machen können und über
den Einsatz von Mitteln konkret selbst entscheiden dürfen."
Die Frage nach einer grundlegenden Reform der Schulformen
bezeichnet er als Gespensterdebatte und plädiert für das
Festhalten am dreigliedrigen System.
Das im elektronischen Plastikkalender integrierte Mobiltelefon
meldet sich mit beachtlicher Polyphonie, und auch am Telefon klingt
Christian Lindner so, wie er beim persönlichen Auftritt wirkt:
Zielstrebig und doch kein Mann der lauten Töne. Redegewandt,
aber nicht der jugendliche Selbstdarsteller. So verwundert es
nicht, dass vor allem 50-jährige Frauen durch den Charme von
Christian Lindner ins Schwärmen geraten. "Geil ist, dass er
immer ,geil' ist sagt", meint ein Basismitglied des FDP
Bezirksverbandes Köln, dessen stellvertretender Vorsitzender
Lindner ist. "Ich bin ein Spätaufsteher, nachts sitze ich aber
oft bis weit nach Mitternacht noch am Schreibtisch." Sein Studium
der Politikwissenschaft, des Öffentlichen Rechts und der
Philosophie an der Universität Bonn muss zurückstehen.
Freundin Nina studiert Kulturwissenschaft in Leipzig und bekommt
ihren Freund nur alle drei Wochen zu Gesicht. "Es gibt kaum eine
Woche, in der es weniger als 70 Arbeitsstunden werden", sagt
Lindner. Himbeer-Tiramisu sieht das Menü als Dessert vor.
Christian Lindner genießt es nicht mehr, er ist wieder auf dem
Weg ins Büro. Was der jüngste nordrhein-westfälische
Abgeordnete mit dem britischen Premier Tony Blair gemeinsam hat?
Den Spitznamen: Auch Blair wurde zu Beginn seiner Amtszeit "Bambi"
genannt.
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