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Johanna Metz
"Das ist ja viel zu anstrengend"
Schüler als EU-Parlamentarier
An den Regeln wird nicht gerüttelt: Die anderen Redner mit
Respekt behandeln. Keine Zwischenrufe, und Applaudieren nur nach
einer Rede oder der Verabschiedung einer Resolution. Nach
Aufforderung zur Rede erst für das Wort danken, dann den Namen
nennen. Der Konsum von Speisen und Getränken ist nicht
gestattet, das Rauchen verboten und die Toilette nur durch die
Hintertür aufzusuchen.
Der "Präsident" des Europäischen Parlaments wacht
streng über die Einhaltung der Formalitäten, korrigiert
und ermahnt, wenn es nötig ist. Die "Delegierten" stört
das nicht. Im Gegenteil, sie sitzen mit ernsten Mienen kerzengerade
auf ihren Plätzen, kein Gekicher oder Getuschel ist zu
hören. Dabei sind die Damen und Herren Abgeordneten im
Plenarsaal des Bundesrates kaum älter als 16. Fein gemacht
haben sie sich, nur die bunten Rucksäcke in den Reihen lassen
erahnen, dass hier Zehntklässler sitzen.
Der Verein "Modell Europa Parlament Deutschland" (MEP) bietet
den Jugendlichen aus allen 16 Bundesländern fünf Tage
lang die Möglichkeit, sich in Berlin als EU-Abgeordnete zu
versuchen und über aktuelle europäische Themen zu
beraten. Am Ende der Woche wird über selbst erarbeitete
Resolutionen debattiert und abgestimmt - wie im echten
Europa-Parlament. Schnell begreifen die Schüler, warum man von
einer "Sitzung" spricht: Hier sitzt und sitzt man, stundenlang.
Allein die Beratung über eine Resolution nimmt fast zwei
Stunden in Anspruch. "Man braucht schon enormes Sitzfleisch", sagt
Yannick Suchert, einer der Teilnehmer, aber so schlimm findet er
das auch wieder nicht: "Dafür ist es viel zu interessant."
Sechs Monate lang haben sich die Schüler in
Arbeitsgemeinschaften auf diese Simulation vorbereitet. Sie haben
an ihrer Rhetorik gefeilt, gelernt, wie man Resolutionen verfasst
und die inhaltlichen Positionen der einzelnen EU-Länder zu
Themen wie "Alternative Energien" oder "Anti-Terror-Programm"
herausgearbeitet. Dementsprechend gewappnet gehen die Schüler
in die Debatte. Ihre Reden klingen wie die echter Politiker
(bedauernswerterweise sogar ein bißchen zu sehr). Wie
selbstverständlich sprechen sie vom "Änderungsantrag zum
operativen Satz Nummer 3" und jonglieren mit Begriffen wie
"Technologietransfer", "Energieeffizienz" oder "global compact",
als ginge es um die letzte Mathe-Note. Bevor sie an das Mikro
treten, knöpfen sich die Jungen noch artig das Sakko zu.
Manchmal fällt es schwer zu glauben, dass das alles nicht echt
sein soll.
Bald beherrschen alle die Fomalitäten aus dem Eff-Eff.
"Danke für das Wort", heißt es immer wieder, sobald ein
Schüler das Wort erteilt bekommt. "Entschuldigung, Herr
Präsident", wenn es vergessen wurde. Nastasja Rykaczewski
findet das in Ordnung: "Auch wenn es nur eine Simulation ist,
wollen wir ja ernsthaft und möglichst realistisch die Arbeit
des EU-Parlaments nachempfinden." Möchte sie nach den
Erlebnissen der letzten Tage selbst gern Abgeordnete werden?
"Nein", sagt sie entschieden. "Die diskutieren ja von morgens bis
abends. Ständig sind irgendwelche Sitzungen. Das ist viel zu
anstrengend." Christoph Stelter dagegen könnte sich das
vorstellen: "Hier habe ich gelernt, wie man Reden hält und
andere Leute überzeugt. Als Parlamentarier kann man etwas
verändern, sich für wichtige Dinge einsetzen, den
Nahost-Friedensprozess zum Beispiel."
Etwas später sinken die Ersten doch tiefer in ihre Sitze.
Nach vierstündiger Debatte lässt die Konzentration nach.
Nastasja Rykaczewski weiß deshalb nach diesen Strapazen eines
ganz genau: "Ich habe jetzt mehr Respekt vor den Politikern, seit
ich erfahren habe, welches Pensum die täglich bewältigen
müssen."
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