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Claudia Heine
Schonzeit für den Außenminister
Erste öffentliche Sitzung des
Visa-Untersuchungsausschusses
Der Ort war passend gewählt: Ausgerechnet im Raum des
Europa-Ausschusses trat am 17. Februar der
Visa-Untersuchungsausschuss des Bundestages zu seiner ersten
öffentlichen Sitzung zusammen. Endlich, so hatte es den
Anschein. Denn spätestens mit der Erklärung von
Bundesaußenminister Joschka Fischer vor dem Parteirat der
Grünen am Montag vergangener Woche wurde die Affäre um
leichtfertig vergebene Visa in Osteuropa zum Medienereignis. Vor
seinen Parteikollegen hatte der grüne Spitzenpolitiker
nämlich angekündigt, "für mögliche
Versäumnisse und Fehler" seiner Mitarbeiter die politische
Verantwortung zu übernehmen. Was wusste der Minister wann,
lautet nun die zentrale Frage, die auch der Untersuchungsausschuss
so schnell wie möglich klären möchte.
Nach dessen Sitzung am 17. Februar wurde jedoch klar: So schnell
wird es mit der von der Union gewünschten Vorladung Fischers
nichts werden. Mit ihrer Stimmenmehrheit konnten die
Koalitionsparteien SPD und Grüne verhindern, dass der
Außenminister bereits im April als Zeuge geladen wird. Die
Ausschuss-Obleute von SPD und Grünen, Olaf Scholz und Jerzy
Montag, nannten einen solchen Termin verfrüht. Scholz
äußerte jedoch die Erwartung, die Beweisaufnahme und
Zeugenvernehmungen bereits vor der Sommerpause abschließen zu
können. Ob Joschka Fischer allerdings noch vor der
Landtagswahl in Nord rhein-Westfalen am 22. Mai geladen wird, ist
weiter offen. Auch der frühere Staatsminister im
Auswärtigen Amt, Ludger Volmer (Grüne), wird vorerst
nicht vernommen. Die Oppositionsparteien hatten auf eine Aussage
Volmers noch im Februar gedrängt.
Am 12. Februar war Volmer nach zunehmender öffentlicher
Kritik im Zusammenhang mit dem massenhaften Visa-Missbrauch von
seinen Parteiämtern zurückgetreten. Er galt bisher als
Hauptfigur in einer Affäre, die sich auf einen Visa-Erlass des
Auswärtigen Amtes, den so genannten Volmer-Erlass vom
März 2000 konzentriert. Das von Volmer angeregte und von
Fischer unterzeichnete Dokument hatte den Ermessensspielraum der
deutschen Vertretungen im Ausland erheblich erweitert. In der
Prüfung von Reisezeweck und Rückkehrbereitschaft des
Reisenden, beides Voraussetzungen für eine Visumserteilung,
wurden die Auflagen erheblich gelockert. Im Zweifel sollten die
Botschaftsmitarbeiter für die Reisefreiheit der
Antragstellenden entscheiden. Seitdem waren die Anträge vor
allem in den Botschaften Osteuropas sprunghaft angestiegen. Als
besonders dramatisch erwies sich die Situation in der ukrainischen
Hauptstadt Kiew, die allein im Jahr 2001 knapp 300.000 Visa erteilt
hatte. CDU und CSU werfen dem Auswärtigen Amt nun vor, durch
eine zu lasche Visa-Vergabe den massenhaften Missbrauch von
Einreise-Genehmigungen begünstigt zu haben. Mit diesen
hätten auch Kriminelle zunehmend Menschen nach Deutschland
geschleust. Auf diese Weise seien Zwangsprostitution und
Schwarzarbeit gefördert und die Interessen der Bundesrepublik
verletzt worden. Den Stein ins Rollen brachte ein Gerichtsurteil
vom Februar 2004. Das Kölner Landgericht hatte einen Ukrainer
wegen bandenmäßiger Menschenschleusung zu fünf
Jahren Haft verurteilt. Allerdings stellte der Richter Ulrich
Höppner in seiner Urteilsbegründung fest, dass das
Auswärtige Amt den Taten des Ukrainers "durch schweres
Fehlverhalten" Vorschub geleistet hätte. Am 17. Dezember 2004
setzten die Unionsparteien im Bundestag deshalb einen
Untersuchungsausschuss zur Prüfung der Vorgänge durch.
Gut zwei Monate vorher erhielten alle Auslandsvertretungen bereits
eine Order vom Außenministerium, die den Volmer-Erlass
revidierte.
Tatsächlich gab es schon früh Warnungen von
verschiedenen Seiten. Sowohl Botschaftsangehörige als auch
Mitarbeiter des Bundeskriminalamtes und Innenministeriums
äußerten Zweifel an der Vergabepraxis, insbesondere an
den so genannten Reiseschutzpässen. Diese Versicherungen, die
als Ersatz für eine persönliche Bürgschaft des
Einladenden dienten, wurden schon 1995 eingeführt (der ADAC
gehörte zu den ersten Anbietern). Ein Runderlass des
Auswärtigen Amts vom Oktober 1999 forderte die Botschaften
allerdings auf, bei Inhabern solcher Pässe (Carnet de
touriste) auf eine weitere Prüfung von Zweck und Finanzierung
der Reise zu verzichten. Seit Anfang Mai 2001 akzeptierte das
Auswärtige Amt dann Reiseschutzpässe der Reise-Schutz-AG,
eines privaten Unternehmens, von dessen engen Verbindungen in die
Schleuserkriminalität das Bundeskriminalamt wusste. Solche
Pässe konnten die Antragsteller seit Januar 2002 direkt vor
Ort, in ihrem Heimatland erwerben. Vor der deutschen Botschaft
entwickelte sich seitdem ein reger Handel mit diesen Dokumenten.
Bis zu 1.000 Dollar wollten fliegende Händler zum Teil
dafür haben. Im Juni 2002 hatte das Auswärtige Amt die
Reiseschutzpässe der Reise-Schutz-AG jedoch verboten; seit
März 2003 wurden solche Versicherungen generell und weltweit
nicht mehr anerkannt. Aus Sicht der Koalitionsparteien schien das
Verfahren deshalb eigentlich beendet.
In der Sitzung des Ausschusses vom 17. Februar
äußerten die geladenen Sachverständigen jedoch
erhebliche Zweifel an der ausreichenden Prüfung der
Visa-Genehmigungen. Joachim Teipel, Richter am
Oberverwaltungsgericht Münster, stellte fest, dass das System
der Reiseschutzversicherungen eine Einschränkung des
Prüfungsverfahrens bedinge, da die Inhaber nicht mehr
persönlich in der Botschaft erscheinen müssten und so die
Glaubwürdigkeit ihres Anliegens nicht so sorgfältig
geprüft werden könne. Eine solche Sorgfalt verlange
jedoch das Schengener Abkommen, um illegale Einreise in die
Vertragsstaaten zu verhindern. Nach der Befragung, in deren Zentrum
grundsätzliche Fragen des Rechts der Visa-Erteilung standen,
fühlte sich die Union deshalb in ihrer Position
bestätigt, dass die Visa-Praxis mit geltendem Recht
unvereinbar gewesen sei. FDP-Obmann Hellmut Königshaus
betonte, dass es nun nicht mehr so sehr um den Volmer-Erlass gehe,
sondern um den Runderlass vom Oktober 1999, der Inhaber von
Reiseschutzpässen von einer weiteren Prüfung des
Reisezweckes befreite.
Der Grünen-Obmann Jerzy Montag hingegen betonte, die
Opposition müsse nun eingestehen, dass der Volmer-Erlass
"völlig rechtmäßig" gewesen sei. Dies werde sich in
der weiteren Ausschussarbeit auch bei anderen Erlassen zeigen. Olaf
Scholz, der SPD-Obmann, unterstrich, es sei schon am Tag der ersten
Vernehmungen zum Ausdruck gekommen, dass nicht die Erlasse, sondern
der Missbrauch von Instrumenten wie Reiseschutzversicherungen
für die Missstände an der Kiewer Botschaft verantwortlich
seien.
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