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Johannes Wendland
Moralische Erwägungen waren
entscheidend
Umstrittene Empfehlung hochrangiger Kommission
zu NS-Raubkunst
Die Frage, wo in der NS-Zeit die Grenze zwischen
legalem Kunsterwerb und Kunstraub verlief, hat zu Beginn des Jahres
neue Brisanz erhalten. Die Diskussion, die längst nicht mehr
nur Fachleute beschäftigt, entzündete sich an einem Fall
aus dem Jahr 1942. Damals kaufte Hitlers Sonderbeauftragter
für den Aufbau des geplanten "Führermuseums" in Linz bei
einer Auktion in der Schweiz vier Gemälde und Aquarelle von
Karl Blechen und Anselm Feuerbach, die eine nach London geflohene
jüdische Familie aus Geldnot dort eingereicht hatte.
Umstritten sind die Umstände, unter
denen der Besitzerwechsel der kostbaren Kunstwerke zustande kam.
Auf der einen Seite hat die Familie die Bilder aus freiem Willen
verkauft. Auf der anderen Seite hätte sie die Bilder nicht zu
veräußern brauchen, wenn sie nicht aus Deutschland
hätte fliehen müssen. Die Gründe für ihre
wirtschaftliche Notlage waren eindeutig Verfolgung und Exil. Aber
genügt diese Zwangslage, um den Erwerb der Bilder durch das
NS-Regime als illegal zu klassifizieren und die Rückgabe an
die ursprünglichen Besitzer beziehungsweise deren Erben zu
verfügen? Ja, meinte im Januar die Beratende Kommission
für die Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogener
Kulturgüter. Das hochrangig besetzte Gremium, in dem unter
anderem Altbundespräsident Richard von Weizsäcker, die
Juristin Jutta Limbach und die ehemalige Bundestagspräsidentin
Rita Süssmuth sitzen, soll Streitfälle zwischen der
Bundesregierung und anderen öffentlichen Institutionen der
Bundesrepublik sowie ehemaligen Eigentümern der Kunstwerke
oder deren Erben schlichten. Die Rückgabeforderung der Erben
des Kunstsammlerpaars Julius und Clara Freund, dem die vier
beanstandeten Bilder gehörten, war der erste Fall, mit dem die
im Juli 2003 eingesetzte Kommission befasst worden war - sie tritt
nur zusammen, wenn sie von beiden streitenden Parteien angerufen
wird, und sie kann nur Empfehlungen aussprechen.
Und gleich mit ihrer ersten Empfehlung hat
sie in Fachkreisen für Wirbel gesorgt. Es war ein Fall in der
Grauzone. Ein schwieriger Fall, der anders gelagert war als die
vielen, die eindeutig zu beurteilen sind.
Etwa, wenn sich NS-Größen, Museen
und private Kunstankäufer ohne jegliche Entschädigung am
Eigentum jüdischer Kunstsammler bedienten, die fliehen mussten
oder verhaftet und deportiert wurden. In der NS-Zeit wurde
Kunstraub in größtem Maßstab betrieben. Und nur zu
gern füllten deutsche Museen, Bibliotheken und Archive ihre
Bestände mit den auf diese Weise beschafften Kunstwerken,
Büchern und Objekten auf. Bereits unmittelbar nach Ende des
Zweiten Weltkriegs begann die Rückgabe der zwangsenteigneten
oder schlicht geraubten Kunstwerke und Kulturgüter an die
rechtmäßigen Eigentümer oder deren Nachfahren - ein
Prozess, den die Alliierten begannen und der seit der Gründung
der Bundesrepublik bis heute anhält. Doch erst seit wenigen
Jahren ist der Umgang mit der NS-Raubkunst in die öffentliche
Wahrnehmung geraten.
Das liegt unter anderem daran, dass in vielen
Fällen die Umstände, unter denen Kunstwerke in der Zeit
zwischen 1933 und 1945 ihre Besitzer wechselten, verwickelt und
schwer nachvollziehbar erscheinen - ein Thema für
Anwälte, Kunsthistoriker und jetzt auch für die Beratende
Kommission. Im Streitfall Freund waren vor allem die Umstände
umstritten, unter denen die Sammlung aufgelöst wurde. Bereits
Ende 1933 hatte Julius Freund seine Sammlung aus Deutschland in die
Schweiz gebracht - für eine Ausstellung, wie Harald König
vom Bundesamt zur Regelung offener Vermögensfragen
recherchiert hat. Er vertrat vor der Kommission die Position der
Bundesregierung, wonach zwischen Verfolgung und Verkauf kein
direkter Zusammenhang bestanden habe. Freund habe seine Sammlung
nach 1933 in der Schweiz belassen und selbst in Italien gelebt.
1939 emigrierte er mit seiner Frau nach England. Nach dem Tod von
Julius Freund 1941 habe die Witwe Clara Freund die Sammlung in der
Schweiz versteigern lassen. Mit den Erlösen habe Gisèle
Freund, die Tochter des Sammlerpaars und später
weltberühmte Fotografin, ihrer Mutter ein Haus gekauft und ein
Auskommen im Exil geschaffen.
Weil sich der Verkauf der Bilder aus einer
Zwangslage heraus ergeben habe, empfiehlt die Kommission jetzt
deren Rückgabe an die Erbengemeinschaft. Für diese
Zwangslage sei die Verfolgung verantwortlich, der die jüdische
Familie in Deutschland ausgesetzt war, so die Argumentation.
Derzeit wird seitens der Bundesregierung geprüft, was mit den
Bildern geschehen soll, die sich derzeit in vier verschiedenen
deutschen Museen befinden. Sie waren nach Kriegsende von den
Alliierten sichergestellt worden und, da sie zunächst nicht
zugeordnet werden konnten, an den Bund gegeben, der sie als
Leihgabe an die Museen weiterreichte.
Die Empfehlung der Kommission basiert in
erster Linie auf moralischen Erwägungen. Das könnte indes
weitreichende Folgen haben, wie sich Gegner und Befürworter
der Empfehlung einig sind. "Früher gab es eine Unterscheidung
zwischen Raubgut, das den jüdischen Sammlern in Deutschland
entzogen wurde, und Fluchtgut, wobei Kulturgüter gemeint
waren, die die jüdischen Sammler selbst noch ins sichere
Ausland bringen konnte", erklärt Michael Franz, der Leiter der
Koordinierungsstelle für Kulturgutverluste in Magdeburg, die
vom Bund und den Ländern eingerichtet wurde und gemeldete
Such- und Funddaten über Raub- und Beutekunst registriert. "In
der Empfehlung wird diese Unterscheidung jetzt nicht mehr gemacht."
So habe in der Schweiz für Flüchtlinge keine Freiheit
geherrscht, und die Einkäufer von Kunstwerken hätten auf
die Emigranten Druck ausgeübt.
Dass die Spielräume für die
Rückgabe jetzt aus moralischen Gründen ausgeweitet
würden, sieht Harald König indes kritisch. Wer durch das
NS-Regime verfolgt wurde und deshalb im In- oder Ausland in
wirtschaftliche Not geriet, sei im Rahmen der Wiedergutmachung
durch Rentenzahlungen entschädigt worden. Hier drohe eine
Ungleichbehandlung, weil durch die Rückgabe von Kunstwerken
eine "doppelte Entschädigung" geleistet würde, meint
König. Auch die Kunsthistorikerin Anja Heuß, die den
Transfer von Kunstwerken und Kulturgütern in der NS-Zeit in
und über die Schweiz untersucht hat, reibt sich an der
Empfehlung der Kommission. Sie befürchtet eine Welle von
Rückgabeforderungen etwa gegen Schweizer Kunstmuseen, die
während der NS-Zeit viele Werke bei entsprechenden Auktionen
angekauft hätten. Das wäre bislang durch die
Unterscheidung von Raubgut und Fluchtgut gedeckt gewesen. Doch auch
deutsche Museen würden ihre Bemühungen, die Herkunft von
fraglichen Kunstwerken in ihren eigenen Beständen zu
ermitteln, kaum steigern, wenn ihnen schon im Zweifelsfall der
Verlust der Werke drohe.
"Eine Frage der Prioritäten"
Doch wie interessiert haben sich deutsche
Museen, Bibliotheken und Archive bislang überhaupt gezeigt,
die Geschichte ihrer Sammlungszugänge nach 1933 zu erforschen
und gegebenenfalls Konsequenzen aus unsauberen Provenienzen zu
ziehen? Seit der Washingtoner Konferenz über
Holocaust-Vermögen 1998 und einer darauf aufbauenden
Erklärung von Bund, Ländern und Kommunen 1999 ist die
Auffindung und Rückgabe von NS-Raubgut auf der
kulturpolitischen Agenda ganz nach oben gerückt.
Bei der Umsetzung der hehren Absichten haben
die betroffenen Einrichtungen sehr unterschiedliche Wege
eingeschlagen. Während eine kleine Anzahl von Museen und
Bibliotheken eigene Stellen für die Erforschung der
Sammlungsbestände geschaffen haben, verweist die Mehrzahl auf
die fehlenden Mittel. "Eine bloße Frage der Prioritäten",
meint Uta Haug, die in der Hamburger Kunsthalle Provenienzforschung
betreibt und dort derzeit die Herkunft von rund 800 Gemälden
überprüft. Auch ihr Job ist indes befristet.
Als zentrales Hilfsmittel für das Suchen
von geraubten oder auf andere Weise entzogenen Kunstwerken dient
die Internet-Datenbank lostart.de, die von der Koordinierungsstelle
in Magdeburg betrieben wird. Sie umfasst derzeit rund 80.000 Such-
und Fundmeldungen. Dort finden sich ebenso Einträge von
Museen, die Objekte aus ihren Beständen mit fraglicher
Herkunft gemeldet haben, wie Suchanzeigen von ehemaligen Sammlern
oder deren Erben.
So imposant diese Datenfülle anmutet -
die Zahl der Einrichtungen, die ihre Bestände entsprechend
erforscht haben, ist noch immer vergleichsweise gering. "In den
vergangenen fünf Jahren wurden nach Prüfung durch mehr
als 150 Einrichtungen über 3.500 Kulturgüter ermittelt,
bei denen ein NS-verfolgungsbedingter Entzug nicht ausgeschlossen
werden kann. Über 160 Gemälde, Zeichnungen und Grafiken
und mehr als 1.000 Bücher konnten identifiziert und an die
Berechtigten zurückgegeben werden", heißt es in einem
neuen Appell, mit dem Bund, Länder und Gemeinden im Januar an
die Öffentlichkeit gingen. Wer nach fünf Jahren eine
eigene Erklärung öffentlich erneut, wird dafür gute
Gründe haben.
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