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"Menschlich tragische Schicksale"
Expertengespräch zu
Spätabtreibungen
Familie. Für einen Ausbau der psychosozialen Beratung
betroffener Frauen im Falle einer zur Debatte stehenden
Spätabtreibung wegen einer zu erwartenden Behinderung des
Kindes plädierten die Sachverständigen am 16. Februar bei
einer Anhörung des Familienausschusses. Grundlage dazu waren
Anträge der CDU/CSU (15/3948) sowie von SPD und Grünen
(15/4148). Umstritten bei den Experten war indes, ob eine solche
Beratung obligatorisch sein soll, ob zwischen Diagnose und einem
Abbruch eine mehrtägige Bedenkzeit verpflichtend
eingeführt werden soll und ob eine medizinische Indikation von
einem größeren Ärztegremium festgestellt werden
soll. Lediglich knapp drei Prozent aller Abtreibungen werden nach
der zwölften Woche vorgenommen: Im Jahr 2003 handelte es sich
um 2044 Spätabbrüche, von denen wiederum 217 nach der 22.
Schwangerschaftswoche geschahen.
Überlegenszeit gefordert
In einer schriftlichen Stellungnahme kritisierte Walter
Bayerlein als Vizepräsident des Zentralkomitees der
Katholiken, dass entgegen den Intentionen des Gesetzes in der
Praxis allein eine negative medizinische Prognose für das Kind
im Rahmen einer pränatalen Untersuchung als
Rechtfertigungsgrund für eine Abtreibung angesehen werde.
"Schon beim Verdacht auf bestimmte Behinderungen" würden
Abbrüche vorgenommen. Bayerlein verlangt eine
"Überlegenszeit" zwischen Diagnose und Abtreibung, auch solle
ein Ärztekollegium die Indikaktion analysieren. Der Rat der
Evangelischen Kirche Deutschlands machte sich in einer
Erklärung ebenfalls für eine gesetzlich vorgeschriebene
Beratungspflicht und für eine obligatorische dreitägige
Bedenkzeit bei einem pathologischen Befund stark.
Auf Widerspruch stießen diese Forderungen bei Ulla
Ellerstorfer. Bei Spätabtreibungen handele es sich um
"menschlich tragische Einzelschicksale", die im Falle von
Abbrüchen nach der 22. Woche auch noch "extrem selten"
vorkämen, so die Vizevorsitzende des pro
familia-Bundesverbands. Ellerstorfer wandte sich gegen
strafrechtliche Verschärfungen bei der medizinischen
Indikation. Nach einem "für sie schmerzlichen
Untersuchungsergebnis" dürfe eine Schwangere über die
bisherige Beurteilung durch zwei Ärzte hinaus nicht noch einer
unzumutbaren Drittbewertung durch ein Gutachtergremium ausgesetzt
werden. Das Beratungsangebot für Betroffene in einer
"besonders schweren Lebenslage" solle weiter ausgebaut und vor
allem besser bekannt gemacht werden.
Bernhard Hackelöer von der Deutschen Gesellschaft für
Gynäkologie und Geburtshilfe betonte, die pränatale
Diagnostik habe nicht zu einer Erhöhung der Zahl der
Spätabtreibungen geführt. Die Zuständigkeit für
Aufklärung und Beratung müsse beim jeweiligen Arzt
bleiben. Hackelöer lehnte jede neue Zwangsregelung ab: "In 30
Jahren habe ich es nie erlebt, dass eine Frau nicht in der Lage
war, selbst zu entscheiden." Gaby Hagmans vom Sozialdienst
Katholischer Frauen hob hervor, dass es sich im Konfliktfall von
Spätabbrüchen immer um "Wunschkinder" handele und dass
Frauen nach einer negativen medizinischen Prognose in eine
"Schocksituation" gerieten. In einer solchen Lage sei eine
Pflichtberatung "nicht legitim". Marion Brüssel vom Bund
Deutscher Hebammen sagte, dass die psychosoziale Beratung
vielfältig und flächendeckend sei, dass auch die
Beraterinnen hochqualifiziert und motiviert seien. Allerdings werde
dieses Angebot im Zusammenhang mit Pränataldiagnostik bislang
nur vereinzelt in Anspruch genommen. Diese Möglichkeit, so
Brüssel, solle den Frauen besser zugänglich gemacht
werden. Auch müssten die Ärzte frühzeitig auf dieses
Beratungsangebot hinweisen.
Heribert Kentenich, Chefarzt der Frauenklinik am Klinikum
Berlin-Westend, forderte hingegen mit Nachdruck, eine Beratung und
eine Bedenkzeit zur Pflicht zu machen. Dies sei erforderlich, weil
es sich eben um eine verschärfte Konfliktsituation handele.
Auch solle in einer solch besonderen Lage ein Gremium von
Ärzten über die Indikation entscheiden. Allerdings
bräuchten betroffene Frauen nicht vor einer solchen Kommission
zu erscheinen.
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