Afrika ist vielfältiger als eine
Horrormeldung
Interview mit dem schwedischen Autor Henning
Mankell
Henning Mankell, namhafter schwedischer Autor,
Schöpfer des Kriminalkommissars Kurt Wallander, aber auch
Verfasser zahlreicher Afrika-Romane, lebt abwechselnd in seiner
Heimat Schweden und - in Mosambik. "Das Parlament" sprach mit dem
Schriftsteller Henning Mankell in seinem dortigen
Lieblingscafé.
Seit Ende des Bürgerkrieges vor nunmehr
zwölf Jahren hat sich Mosambik am Indischen Ozean zu einem
Vorzeigestaat auf dem afrikanischen Kontinent entwickelt.
Wirtschaftswachstum, politische Stabilität, Bekämpfung
der Armut. Das Land hat einen weiten Weg hinter sich, aber auch
noch viele Hürden zu überspringen.
"Die Aidsrate steigt. Der größte
Teil der Bevölkerung kann weder lesen noch schreiben. Ohne
Entwicklungshilfe geht hier gar nichts", sagt Henning Mankell,
weltberühmter Autor der Kurt-Wallander-Romane, mit festem
Wohnsitz in Maputo, der Hauptstadt von Mosambik. Im "Txhapo
Txhapo", zu deutsch "Schnell, Schnell", einem kleinen Café
neben Mankells Teatro Avenida, steht links hinten in der Ecke ein
Stuhl, der nur für ihn reserviert ist. Jeden Tag isst Mankell
hier, schlürft seinen Kaffee. Meist unrasiert, mit zersaustem
Haar, mürrischem Blick und einigen Kilo Übergewicht. Wie
die Hauptfigur seiner Romane, eben der grimmige Kurt Wallander, der
Kriminalbeamte, der auch immer irgendwie ungebügelt und
schwerfällig daherkommt. Henning Mankell, am 3. Februar 1948
in Härjedalen geboren, fühlte sich nie wirklich im kalten
Schweden zu Hause. Schon als Kind wollte er in Afrika leben. In
Maputo hat er vor 15 Jahren seine Wahlheimat gefunden, schreibt wie
besessen Romane sowie Theaterstücke und versucht, bei seinen
wenigen Europabesuchen das Bild, das viele von Afrika haben, ins
rechte Licht zu rücken, Afrika den Ruf und den Respekt zu
geben, den der Kontinent verdient.
Das Parlament: Herr Mankell
...
Henning Mankell: Henning.
Das Parlament: Henning, wie hast Du
Deinen Weg von Schweden ins Teatro Avenida gefunden?
Henning Mankell: Umgekehrt. Das
Theater hat mich gefunden. Eigentlich wollte ich nur einen Tag in
Maputo verbringen und weiter nach Sambia reisen. Aber mein Flugzeug
hatte einen Motorschaden. Eine Woche lang war ich hier gestrandet
und habe mich irgendwie in das Land verliebt. Schließlich bin
ich geblieben. Die Menschen sind wunderbar. Ich arbeite noch immer
mit den gleichen Freunden am Theater wie vor 15 Jahren. Was
wirklich ein kleines Wunder und sehr schön ist.
Das Parlament: Was macht Dir am
meisten Sorgen, wenn Du an Afrika denkst?
Henning Mankell: Aids. Aids ist
wirklich das größte Problem in Afrika. Wir Europäer
sollten uns schämen, Afrika und seine Probleme zu ignorieren.
Aids geht die gesamte Menschheit an. Statt zu urteilen, sollten wir
Solidarität demonstrieren und nicht unsere Augen
verschließen.
Das Parlament: Du siehst Dich also in
der Rolle des Afrika-Vertreters?
Henning Mankell:
Selbstverständlich. Diese Entscheidung habe ich schon vor
einer langen Zeit getroffen. Ich mag meine Rolle. Sie ist
authentisch. Schließlich lebe ich hier. Ich spreche die
Sprache, die Menschen akzeptieren mich, ich bin einer von
ihnen.
Das Parlament: In den westlichen
Medien kommt Afrika meist nur vor, wenn es etwas Schlimmes zu
berichten gibt. Und dann heißt es meist: ach ja,
Afrika.
Henning Mankell: Leider stimmt das und
trifft auch auf schwedische Zeitungen zu. Für mich ist das
aber der blanke Zynismus, den ich nicht akzeptieren werde. Afrika
ist vielfältiger als eine Horrormeldung hier oder eine
Katastrophe dort. In meinen Büchern kann man das nachlesen. Es
geht nicht um im Westen vorgefertigte Denkschablonen, sondern um
Realitäten, die man nur begreift, wenn man hier gelebt hat.
Wem das nicht möglich ist, der sollte wenigstens offen und
tolerant sein. Es sollte mehr Geschichten geben, die Hoffnung und
Fortschritt zeigen. Das verdient Afrika.
Das Parlament: Kennen die Menschen
hier Deine Bücher? Ist Kurt Wallander ein Begriff?
Henning Mankell: Das wäre
schön. Nur leider können die meisten Menschen hier weder
lesen noch schreiben. Sie brauchen keine Wallander-Romane. Was sie
brauchen, sind ABC-Bücher. Auf der anderen Seite lebe ich hier
in einer Anonymität, die ich sehr schätze. Ich bin der
Nachbar, der Freund und der Kollege vom Theater und nicht der
Autor, dessen Foto in den Zeitungen zu finden ist.
Das Parlament: Du bist hier
angekommen, als noch Krieg war, richtig?
Henning Mankell: Stimmt. Aber kurz
darauf fingen die Menschen an, ihre Häuser zu streichen. Da
wusste ich genau, hier will keiner mehr Krieg. Das war das Zeichen
eines Neuanfangs. Frieden wurde möglich. Alles war im Umbruch.
Die Leute wollten wieder Kunst sehen. Das Theater boomte. Eine
tolle Zeit.
Das Parlament: Als was siehst Du dich?
Als Europäer, als Afrikaner oder als Schwede?
Henning Mankell: Mein Leben in Afrika
hat mich zu einem besseren Schweden, also Europäer gemacht. Um
Afrika zu verstehen, muss man da gewesen sein. Aus der Distanz
versteht man diesen Kontinent nicht. Ich wünschte meine
Landsleute würden das endlich begreifen. Und die Deutschen
auch.
Das Parlament: Ein immerwährender
Konflikt, oder? Europa und Afrika.
Henning Mankell: Afrika hatte keine
Probleme mit Europa. Das fing erst Mitte des 19. Jahrhunderts an,
als sich die europäischen Großmächte Afrika
untereinander aufteilten wie eine große Torte. Afrika ist ein
reicher Kontinent, der von uns verarmt wird. Wir beuten ihn aus. Ob
es um Rohstoffe geht oder talentierte Fußballspieler. Sobald
wir Europäer Profit wittern, sind wir da, nehmen, was wir
kriegen können. Ohne Rücksicht auf Verluste. Wir tragen
die Schuld für die Armut der Menschen hier. Wir haben diese
Krise, die wir in unseren Medien anprangern, selbst gemacht. Wir
sollten dafür zur Rechenschaft gezogen werden.
Das Parlament: Kannst Du etwas daran
ändern?
Henning Mankell:
Selbstverständlich. Jeden Tag. Durch meine Arbeit baue ich
eine Brücke zwischen den Kulturen. Die Menschen hören zu.
In meinen Büchern. In meinen Mails an meine Freunde.
Während meiner Lesungen in Europa. Im Theater. Meine Freunde
nehmen sich sowieso die Zeit und verstehen, wenn ich über
Afrika spreche. Weil sie zuhören und keine vorgefertigten
Meinungen haben. Ich habe übrigens die Meinung vieler Menschen
ändern können. Das ist mir sehr wichtig.
Das Parlament: Dutzende von
Hilfsorganisationen sind in Mosambik tätig. Wie sieht für
dich moderne, sinnvolle Entwicklungshilfe aus?
Henning Mankell: Gemeinsam mit der
Bevölkerung die Strukturen stärken und eine Gesellschaft
aufbauen, die sich irgendwann selbst helfen kann. Solange man
Schritt für Schritt Resultate sieht, Geld nicht im Erdboden
versickert, ist Entwicklungshilfe gut.
Das Parlament: Deine Pläne
für die Zukunft?
Henning Mankell: Mein neues Buch
über Aids und wie die Menschen mit dem Verlust von
Angehörigen umgehen, ist gerade auf dem Markt erschienen. Das
heißt für mich eine neue Europatour. Oder besser gesagt,
eine Werbetour für Afrika. Darüber ist mein Roman
über einen deutschen Deserteur im 1. Weltkrieg fast fertig und
eine afrikanische Adaption von Büchners Woycek auch so gut
wie. Ums Theater muss ich mich eben auch noch kümmern. Wie Du
siehst, kann Langeweile deshalb bei mir bestimmt nicht
aufkommen.
Das Interview führte Sönke Giard-Weiss
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