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Jens Mattern
Kaldaunensuppe und der "Club der polnischen
Versager"
Polen sind die zweitgrößte sprachliche
Minderheit in Berlin
Mit 30.000 Personen haben Polen die Bürger von
Ex-Jugoslawien als zweitgrößte Minderheit in Berlin
abgelöst, so die Informationen des statistischen Landesamtes
Berlin. Gezählt wurden nur die Besitzer eines polnischen
Passes. Über die Anzahl der Besitzer eines deutschen Passes,
die polnischer Herkunft sind, gibt es unterschiedliche
Schätzungen, man geht davon aus, dass über 100.000
Menschen mit Polnisch als Muttersprache in Berlin leben.
Gibt es ein polnisches Berlin? Viel fällt den meisten nicht
dazu ein. Die Putzfrauen oder der Polenmarkt, der längst
Geschichte ist. Doch so langsam macht sich sich die
zweitgrößte Minderheit der Hauptstadt bemerkbar, wobei
ihr noch wenig Aufmerksamkeit widerfährt. Wohl weil Polen eher
auf der unteren Sympathieskala angesiedelt sind, vielleicht auch
weil man in Deutschland dem "Fremden" erstmal kulinarisch begegnet.
In der Millionenstadt Berlin bleibt da allein der Gang zu "Klon",
dem polnischen Spezialitätengeschäft im ruhigen
Charlottenburg. Dort zieren künstliche Blumen die
Schaufensterauslage, ein Lowiczanski-Trachtenpüppchen sitzt
ein wenig verlorenauf einem Kunstrasen. In den Verkaufsregalen wird
als Delikatesse gefeiert, was sich 80 Kilometer weiter östlich
gegenüber Westprodukten einen harten Daseinskampf liefern
muss: Rote-Beete-Salat, Salzgurken, Sauerteigsuppenextrakt und
Kaldaunensuppe im Glas sowie Schlesische Wurst und Schinken in der
Kühlauslage.
Frau Klon, Eigentümerin hinter der Theke, gibt gern
Auskunft: Immer mehr Deutsche würden kaufen, sie machten
mittlerweile die Hälfte des Kundenstamms aus. Vielen Polen sei
es hier zu teuer, die Grenze sei ja nah, meint Frau Klon
achselzuckend. Dass jedoch im Stadtteil Tempelhof die Kirche der
Berliner Polen verkauft werden soll, das findet sie seltsam.
"Dabei sind wir die größte Pfarrgemeinde hier in
Berlin, am Sonntag kommen 3.000 Leute, betont Jacek Pajewski,
Priester der "Misja Katolicka Berlin", der in seinem kargen
Büro empfängt. Die Entscheidung, die schiffsartige St.
Johannes Capistran Kirche zu veräußern, steht noch aus,
der Unterhalt für die im Nebengebäude untergebrachten
Verlage und die Pfadfinder, spekuliert Pajewski, ist wohl dem
Berliner Erzbistum zu groß. Allerdings sympathisiert der als
medienscheu bekannte Endvierziger mit dem wenig integrativen Pater
Rydzyk sowie dessen Medieninstrumenten Radio Maria und dem
Fernsehkanal "trwam" (ich dauere an) im Heimatland, die nach seinen
Worten auch von den meisten Gemeindemitgliedern in Tempelhof
empfangen werden. Eigentlich ein Widerspruch, da etwa 90 Prozent
der polnischen Gemeinde die Staatsbürgerschaft gerade jenes
Landes haben, vor dem der Sender aus Torun/Thorn so
unermüdlich warnt.
Gegenüber der Kirche, im Flachbau der Paul Simon Schule
wird für den großen Orthographie-Wettbewerb von
Polnisch-Berlin geübt. "Einmal in der Woche drei Stunden
Polnisch lernen, das bringt mehr, als ich anfangs dachte",
erklärt Malgorzata Staszak, Pädagogische Vorsitzende des
Vereins "Oswiata" (Bildung).
Für die Eleven polnischstämmiger Eltern bietet die
Organisation Unterricht in der Herkunftssprache. Die Kinder
könnten sich so weniger in der deutschsprachigen Umgebung
integrieren - dies halten die Behörden darum dem Verein vor.
Dabei erfährt die vermeintliche Altlast und schwierigste aller
slawische Sprachen zur Zeit eine Aufwertung: aufgrund des
polnischen EU-Beitritts will sie nun von vielen deutschen Berlinern
gelernt oder kennengelernt werden.
Den Ruf einer Sprachschule will man im "Polnischen Institut
Berlin" im Zentrum der Stadt loswerden. "Wir wollen beispielsweise
den Berlinern zeigen, was sich in der jungen avantgardistischen
Kulturwelt Polens bewegt", erklärt Marcin Zastrozny,
Presseprecher des Kulturinistituts. Die deutschen Besucher der
hauseigenen Bibliothek ziehen ihre Schlüsse über
Annekathrin Genest. Geduldig hört die Bibliothekarin einem
älteren Herrn zu, der auf einem Jugendzentrum in Allenstein
beharrt; und einem Familienvater, der detaillierte Auskünfte
über seinen Urlaub mit zwei Kindern in Ostpommern
verlangt.
Solch auskunftheischende Besucher wären in Berlins zweitem
polnischen Kulturverein an der falschen Adresse. Im Vorraum des
"Clubs der polnischen Versager", in einem ehemaligen Laden, sehen
verarmte schlesische Kohlegräber aus Fotos auf den Betrachter.
Heute ist der "Frage-und-Antwort-Tag". Jeder, der auftreten will,
darf mit seinem Projekt vorstellig werden. Zwei arbeitslose
Schauspielerinnen und ein Drehbuchautor wollen aus Briefen
rezitieren: Halbautobiografisches über die Qualen des Alltags.
Pawel fordert streng das Manuskript, es entsteht eine gespannte
Ruhe, mit übertrieben schulmeisterlicher Mine wirft er einen
Blick auf den Text, eine halbe Minute lang, und gibt zackig sein
Einverständnis.
Sein desintegrierendes Spiel verwirrt die Profi-Darsteller,
schnell wird der Auftrittstermin ausgehandelt, erleichtert
verschwinden sie. Auch der Name des bekannten Clubs ist kalkulierte
Provokation, zumindest in der Berliner Kulturszene kann von
"Versagen" keine Rede mehr sein. Piotr, Grafiker und
Mitbegründer des vor drei Jahren ordentlich eingetragenen
Vereins, verweist zudem auf das Bedürfnis des intellektuellen
Austauschs und auf das riesige Bücherregal hinter ihm, das
keine Dekoration sei. Auch hier wird wieder auf Abgrenzung Wert
gelegt - zum elitären Habitus des Polnischen Instituts und
schon gar zum folkoristischen Polenbild des polnischen Konvents,
ein Dachverband polnischer Organisationen.
Alina Winiarski und Izabela Ebertowska gilt die vollzogene
EU-Osterweiterung nicht als großes Thema. "Die hat doch
längst stattgefunden", meint Alina, die zweite Vorsitzende von
"Nike Polnische Unternehmer-innen e.V" ist. Über Integration
und Probleme mag sie als Chefin eines Consultingunternehmens
für deutsch-polnische Wirtschaftskontakte nicht gern
debattieren. "Wettbewerbsfähigkeit ist allein entscheidend."
Mut will Sie polnischen wie deutschen Unternehmern machen, im
jeweiligen Nachbarland zu investieren. Flexibel und fantasievoll
seien die polnischen Unternehmerinnen und Unternehmer und
hätten Erfahrungen mit einem Markt ohne Fördermittel.
"Wer Arbeit braucht, der ist schon hier", so Frau Ebertowska,
Vorsitzende des Polnischen Sozialrates. Das Büro, in einem
Hinterhof der Kreuzberger Oranienstraße, steuern viele an,
deren Unternehmungen ohne Finanzamt auskommen, die sich schwarz als
Putzhilfen, Prostituierte, Handwerker in Berlin verdingen. Hier
erhalten sie Ratschläge über Ausländerrecht und
Aufenthaltserlaubnis oder psychologische Hilfe, ohne dass nach
einem Namen gefragt wird. Darum findet das Gespräch auch
außerhalb der Besuchszeiten statt. "Jeder kann zu uns kommen,
ob Pole oder nicht, sonst würde der Senat die halbe Stelle
nicht bezahlen", erklärt Frau Ebertowska, die sich für
den Sozialrat einmal in der Woche frei nimmt. Zu Solidarnosc-Zeiten
wurde der Verein gegründet, anfänglich um politische
Emigranten zu betreuen. Die Emigrationswelle sei abgelaufen. Das
Problem mit der Schattenwirtschaft bleibe aber noch länger, da
die Arbeitnehmer-Freizügigkeit erst sieben Jahre nach dem
Beitritt gilt.
Im Rundfunk Berlin Brandenburg (RBB), verfolgt Jacek Tyblewski
das polnische Leben in Deutschland von Berufs wegen. Täglich
30 Minuten wird "po polsku" gesendet, wobei sich die Programmmacher
nicht als "Brücke zur Heimat" verstehen. Die einst bundesweite
Ausstrahlung wurde leider auf Berlin, Bremen und Nordrhein
Westfalen reduziert.
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