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Andrea Dunai
Erinnerung an die innere und an die
äußere Front
Russische Soldatinnen erzählen über
den Krieg
Frauen und Männer erzählen über dieselben
Ereignisse in verschiedener Weise, halten andere Erinnerungen fest
und berichten über ganz unterschiedliche Empfindungen. Auch
die Erinnerungskultur im Hinblick auf den Krieg hat zwei
Geschlechter. Die weibliche Sprache des Krieges war jahrelang tabu
und musste erst einmal erkundet werden.
In der Roten Armee waren über eine Million Frauen
eingesetzt, und bei weitem nicht alle im sanitären Bereich.
Viele von ihnen zogen freiwillig in den "Großen
Vaterländischen Krieg" und ließen sich für die
verschiedensten Einsätze und Waffenarten ausbilden. Als
Scharfschützinnen, Pilotinnen, Panzerkommandantinnen,
Aufklärerinnen und Geschützführerinnen standen sie
oft in der ersten Reihe. Ihre Motive waren mannigfaltig: Einige
wollten ihre gefallenen Männer ersetzen, andere traten
anstelle ihrer jüngeren Brüder an, manche aus
Solidarität zu ihren bereits eingezogenen Freundinnen oder
Ehemännern, wieder andere aus inniger Liebe zur Heimat oder
aus Hass auf den Feind. Manche waren noch nicht einmal 18 Jahre
alt.
Swetlana Alexijewitsch hat mit Hunderten von ehemaligen
Soldatinnen gesprochen. Ihr Buch erschien 1985 in der Sowjetunion
(1987 bei Henschel in Ostberlin) und machte Furore. Doch Zensur und
"Selbstzensur" der weißrussischen Schriftstellerin
änderten damals das Manuskript an vielen Stellen. Intime
Details passten eben nicht in das heroische Idealbild der
Sowjetfrau. Nach 19 Jahren liegt nun das Buch in
überarbeiteter Form und in einer hervorragenden deutschen
Übersetzung vor.
Keine Geschichte ähnelt der anderen und doch sind alle
gleich: Im Mittelpunkt der Berichte stehen Emotionen. Erzählt
wird über die verschiedensten Details: Über wund
gescheuerte Füße in Männerstiefeln, über ein
letztes Gespräch mit einer Freundin vor dem Gefecht, über
die medizinische Betreuung eines gefangenen deutschen Soldaten,
über die Amputation von zersplitterten Beinen im Lazarett, die
Beisetzung des eigenen Ehemannes, nach Blut riechende Wäsche,
Freude am Schminken, abgeschnittene Haarzöpfe, Menstruation
bei Fußmärschen, innere Verzweiflung, unerwünschte
Schwangerschaften, erzwungene Liebesaffären, wahre
Liebschaften und über Glücksgefühle nach einem
Sieg.
Der Übergang in das normale Leben brachte auch zahlreiche
Schwierigkeiten mit sich: Die Unfähigkeit, Damenschuhe mit
Absätzen zu tragen; die Scham auf dem Markt, wo es an
verkrüppelten ehemaligen Kämpfern wimmelte; die eigene
Uniform zu verkaufen; die Unlust, in der Familie von den
Erinnerungen zu erzählen; gesundheitliche Schäden; die
Konkurrenz mit den männlichen Helden; die Kindererziehung ohne
Väter oder die ewigen Gewissensbisse, schwer behinderte Kinder
zur Welt zu bringen.
Ein Grunderlebnis war fast allen gemein: Die Soldatinnen mussten
sich in höherem Maße behaupten als die Männer:
"Endlich bekamen wir den Einsatzbefehl. Ich wurde zu meinem Zug
geführt. Die Soldaten sahen mich an, manche spöttisch,
manche sogar böse, mancher zuckte die Achseln - alles klar.
Als der Kommandeur mich vorstellte, also, das ist euer neuer
Zugführer, heulten alle los: ,Bu-u-uh!' Einer spuckte sogar
aus. (…) Wenn Sie mich fragen, welche Farbe der Krieg hat,
dann sage ich: erdfarben. Für einen Pionier jedenfalls.
Schwarz, gelb, rot-braun wie die Erde."
Dieses Buch handelt nicht vom Krieg, sondern von dessen
kämpfenden Frauen, davon, wie sie sich an diese Zeit erinnern.
Verschönerungen, Stolz, Kummer, Trauer, aber auch
spürbare Hemmungen und Verdrängungen kennzeichnen die
Gespräche. Auffällig ist, dass die Mehrheit der Frauen
eher über "salonfähige" Ereignisse spricht; nur wenige
stellen den Krieg in der Komplexität ihres ganzen Lebens
dar.
Diese Tendenz ist verständlich. Die Soldatinnen kamen in
der sowjetischen "oral history" mit großer Verspätung zu
Wort. Dass sie in den Nachkriegsjahren an ihren Blusen mehrere
Orden trugen, bedeutete nicht die Gleichstellung mit den
männlichen Veteranen. Bis auf einige Ausnahmen verwendet die
russische Sprache bei militärischen Berufsbezeichnungen noch
immer die männliche Form. Swetlana Alexijewitsch ist es
gelungen, die tiefsitzende Barriere des Schweigens mit viel
Empathie und Neugier zu durchbrechen. Ihre Erzählkunst ist
spannend und überzeugend. Dennoch bleibt noch viel zu
entdecken.
Swetlana Alexijewitsch
Der Krieg hat kein weibliches Gesicht.
Aus dem Russischen von Ganna-Maria Braungardt.
Berliner Taschenbuch Verlag, 2004; 345 S., 11,90 Euro
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