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Andreas Elter
"Männer waren nur noch für's Schleppen
da"
Bei Jungs beginnt die Arbeitslosenkarriere
oftmals schon auf der Schulbank: Ein Besuch in einem
Jugendbüro
Immer mehr Jugendliche starten direkt von der
Schulbank aus eine Karriere in die Arbeitslosigkeit. Vor allem
junge Männer sind von dieser Entwicklung betroffen. Der
Deutsche Industrie- und Handelskammertag hat ermittelt, dass binnen
einer Dekade die Zahl der arbeitslosen jungen Frauen um 20.000
abgenommen hat. Im selben Zeitraum schnellte die Arbeitslosenzahl
bei den jungen Männern hingegen um 100.000 in die Höhe.
Arbeitsmarktexperten sprechen inzwischen von einer
Geschlechterlücke. Was bedeutet das in der Praxis?
Beobachtungen aus einer Beratungsstelle für arbeitslose
Jugendliche, dem Jugendbüro im Kölner Stadtteil Kalk.
Es ist ein grauer, verregneter Tag. Das
Gebäude des Jugendbüros gegenüber der roten
Backsteinkirche hat schon bessere Zeiten hinter sich. So wie es
aussieht, stammt es aus den 80er-Jahren: Graues Gemäuer,
Flachdach, eine braune Holzvertäfelung über dem Eingang.
Drinnen ist es gemütlicher: Eine Sitzecke aus Rattan, zwei
Schreibtische mit Computern - Grünpflanzen lockern das
Ambiente auf. In der Maschine läuft heißer Kaffee
durch.
Hier fühlen sich die arbeitslosen
Jugendlichen wohl. Aber nicht nur das: Hier wird ihnen vor allem
geholfen - bei der Stellensuche oder bei Bewerbungsschreiben. In
vergangenen Jahr brachte das kleine Kalker Jugendbüro schon
131 junge Menschen aus 14 Nationen in Weiterbildungsmaßnahmen,
Qualifizierungen oder in regulären Jobs unter. "Bei der
Vermittlung in den ersten Arbeitsmarkt hatten wir eine Quote von
35,28 Prozent. Die Bundesagentur für Arbeit hat nur eine von
4,6 Prozent", berichtet Ute Esser, die Leiterin des Büros. Sie
ist stolz darauf, dass sie bei ihrer alltäglichen Arbeit nicht
nur Rückschläge erlebt. Im Stadtteil Kalk ist die
Arbeitslosenquote besonders hoch.
Franco und Taifun sitzen am Computer und
surfen in den Stellenanzeigen im Internet. Beide tragen Jeans:
Franco ein weißes, frisch gebügeltes Hemd, Taifun einen
modischen Pullover. Ihre Frisuren sind akkurat. So könnten sie
eigentlich schon fast zum Bewerbungsgespräch gehen. Beide
haben einen Schulabschluss und einen Facharbeiterbrief in der
Tasche. Dennoch finden sie keine Arbeit. Der 21-jährige Franco
ist seit über einem Jahr ohne feste Stelle - Taifun, 22 Jahre
alt, bereits seit zwei Jahren. Er zieht an seiner Zigarette und
erzählt dann: "Ich habe bei der Bahn Fertigungsmechaniker
gelernt. Nach der Lehre war dort aber Schluss. Ich habe keine feste
Stelle gefunden. Nur ab und zu konnte ich über
Zeitarbeitsfirmen als Hilfsarbeiter jobben - die Stunde für
sechs Euro. Inzwischen weiß ich gar nicht mehr, ob ich meinen
Beruf überhaupt noch ausüben könnte."
Franco kommt aus einem ganz anderen Bereich.
Er hat Einzelhandelskaufmann gelernt. In seiner Branche gibt es
noch Jobs, aber eher für Frauen als für Männer. In
dem Baumarkt, in dem er ausgebildet wurde, waren 40 Frauen
angestellt, aber nur 10 Männer. Franco ist ein fröhlicher
Typ, ein wenig Enttäuschung klingt in seinen Worten aber schon
durch: "Den Rest der Arbeit machten die Frauen. Es ist doch so: Die
Chefs im Einzelhandel, wo es Kundenkontakt gibt, stellen Leute ein,
die für sie und die Kunden attraktiv sind. Bei uns im Baumarkt
gab es natürlich besonders viel männliche Kunden. Und da
hat der Chef eben keine Männer mit einer besonders guten
Qualifikation eingestellt, sondern Frauen. Ich glaube, er hat sich
gedacht: Wenn die Kunden eine nette, hilfreiche Verkäuferin
bedient, dann sagen die sich: Ich geh doch lieber in diesen
Baumarkt als zur Konkurrenz."
Francos Erfahrungen werden von
Arbeitsmarktexperten bestätigt. Auch Thomas Bauer vom
Rheinisch-Westfälischen Wirtschaftsinstitut glaubt, dass die
so genannten "Soft Skills" im Berufsleben immer wichtiger werden:
"Gerade im Dienstleistungsbereich ist die soziale Kompetenz
besonders gefordert, und da sind Frauen oft besser geeignet",
erläutert der Arbeitsökonom. Grundsätzlich spielten
natürlich die Abschlüsse bei der Arbeitssuche eine
große Rolle: "Alles was unter einem Realabschluss und einer
abgeschlossenen Lehre liegt, verringert die Berufschancen enorm."
Auch andere Experten, zum Beispiel vom DIHK, bestätigen dies.
Sie weisen daraufhin, dass junge Frauen bei der Ausbildung
aufgeholt hätten. Häufig seien ihre Noten besser als die
der männlichen Konkurrenz.
Ute Esser betrachtet die Fotos im Flur des
Kalker Jugendbüros. Sie zeigen junge Frauen an der Drehbank
oder am Schweißbrenner. Lange Zeit hat Ute Esser
Qualifizierungskurse für junge Mädchen geleitet. Das
würde sie auch jederzeit wieder tun. Allerdings, warnt sie,
müsse man aufpassen, dass die Jungs nicht auf der Strecke
blieben. "Es gab in den vergangenen Jahren einen Trend, junge
Frauen speziell zu fördern, zum Beispiel im
technisch-naturwissenschaftlichen Bereich. Viele haben gesagt: Die
Jungs können das sowieso - die brauchen keine Extra-Kurse. Das
wurde einfach immer so vorausgesetzt." Außerdem, so glaubt Ute
Esser, werde der Grundstein für die spätere
Arbeitslosigkeit von jungen Männern oftmals schon in der
Schule gelegt: "Viele Mädchen sind in der Schule eher ruhiger
und umgänglicher - die Jungen hingegen lauter und
unkonzentrierter. Deswegen machen sie den Pädagogen Probleme,
und das bedeutet dann oftmals nicht etwa eine spezielle Betreuung,
sondern einfach nur schlechtere Noten." Damit wiederum hätten
junge Männer bei der Suche nach einer Lehrstelle oder einem
Beruf schlechtere Chancen als junge Frauen, die die besseren
Zeugnisse vorweisen können. Die Leiterin des Jugendbüros
fordert daher spezielle Förderprogramme für junge
Männer, die sie realistisch auf den Arbeitsmarkt vorbereiten:
"Es ist nicht Muskelkraft und Lautsprecherei angesagt, sondern
soziale Kompetenz. Das muss denen beigebracht werden."
Taifun holt sich noch eine Tasse Kaffee. Er
umschließt sie mit beiden Händen, als ob er sich daran
wärmen wollte. Der gelernte Fertigungsmechaniker rät
anderen Jugendlichen, sich schon vor der Lehre genauer über
die Berufssaussichten zu informieren: "Wenn man erst nach drei
Jahren mitbekommt, dass es eigentlich gar keine Arbeit in diesem
Beruf gibt, steht man auf einmal dumm da." Klassische
"Männerberufe" wie seiner, oder der des KFZ-Mechatronikers
stehen bei jungen Männern immer noch auf Platz Eins der
Beliebtheitsskala. Allerdings gibt es in den "Männerberufen"
einfach nicht mehr genug Stellen. Gerade in Industrieregionen sind
sie dem Strukturwandel zum Opfer gefallen.
Die Arbeitswelt wandelt sich immer schneller.
Taifun hat das am eigenen Leib gespürt und sich deswegen auch
schon anderweitig orientiert. So legte er auf eigene Kosten eine
IHK-Prüfung zum Wachmann ab. Lakonisch sagt er: "Einen Job
habe ich damit zwar auch noch nicht gefunden, aber von zehn
Bewerbungsschreiben kommen immerhin nur noch fünf ungelesen
zurück."
Die statistische Geschlechterlücke bei
den jungen Arbeitslosen wird auch aufgrund der wachsenden Anzahl
von Niedriglohnjobs größer. Junge Frauen, gerade wenn sie
noch zusätzlich Kinder betreuen müssen, arbeiten
häufiger als junge Männer in Teilzeit oder nehmen 400
Euro-Jobs an. So fallen sie aus der offiziellen
Arbeitslosenstatistik heraus. Rein theoretisch könnten auch
Männer solche gering bezahlten Beschäftigungen annehmen.
Statistisch gesehen tun sie das aber nicht in demselben Maße
wie Frauen. Das sei für Männer aber auch schwieriger,
meint Franco: "In der Regel wird doch von einem Mann immer noch
erwartet, dass er die Familie ernährt. Von einem 400 Euro Job
kann man aber einfach nicht leben." Er drückt die
SMS-Nachricht auf seinem Handy weg, grübelt ein wenig und sagt
dann weiter: "Für eine Frau ist das schon etwas
anderes."
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