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Volker Koop
Realität oder nur Phantome?
"Imbissväter" - Diskussion um erneute
Reform des Kindschaftsrechts
Ein 31 Jahre alter Berliner dürfte derzeit
in Deutschland einen wohl einsamen Rekord halten: Er ist Vater von
neun Kindern - allerdings nur auf dem Papier. Die Vaterschaft hat
er für Kinder anerkannt, deren Mütter, Migrantinnen, vor
der Ausweisung standen. Die Kinder bekamen damit die deutsche
Staatsangehörigkeit, die Mütter ein Bleiberecht - und der
Berliner für jede "Vaterschaft", wie er einräumte, ein
gutes Honorar. "Imbissväter" - so heißen im Alltagsjargon
die deutschen Männer, die ihre Vaterschaft verkaufen.
Gezielt wird an öffentlichen
Plätzen eine gewisse Klientel - meist
Sozialhilfeempfänger - für eine Vaterschaftsanerkennung
gesucht, und dies ist laut Jürgen Gehb kein Zufall. "Denn", so
der CDU-Bundestagsabgeordnete, "aufgrund ihrer besonderen Lage
müssen und können diese Männer ihre mit der
Anerkennung entstehenden Unterhaltsverpflichtungen für das
Kind und selbstverständlich auch für die Mutter nicht
tragen. Stattdessen zahlt der Steuerzahler." Eine Handhabe gegen
diese "Vaterschaften" gebe es bisher nicht, die rechtliche
Anerkennung nicht leiblicher Kinder sei legal. Es sei kein
Geheimnis, dass es hierfür regelrechte Tarife gebe: um die
50.000 Euro liege der Lohn für den Scheinvater. Sei die Mutter
ausreisepflichtige Ausländerin, sei darüber hinaus mit
der Vaterschaftsanerkennung eines deutschen Mannes das Bleiberecht
für Mutter und Kind verbunden. Der CDU-Parlamentarier verweist
darauf, dass die Innenministerkonferenz davon ausgehe, dass es in
nicht unerheblicher Anzahl zu Vaterschaftsanerkennungen komme, die
primär der Vermittlung eben dieses Bleiberechtes dienten.
Gehb: "Folgerichtig plädieren die Innenminister dafür,
dass im Bürgerlichen Gesetzbuch bei Vaterschaftsanerkennungen
ein befristetes Anfechtungsrecht für einen Träger
öffentlicher Belange geschaffen werden soll." Die Union habe
deshalb im Herbst des vergangenen Jahres die Bundesregierung
aufgefordert, einen entsprechenden Gesetzesentwurf vorzulegen,
passiert sei jedoch noch nichts.
Einen solchen Handlungsbedarf sieht der
Grünen-Abgeordnete Josef Winkler aus mehreren Gründen
nicht. Für ihn ist unklar, wie die Union zu der
Einschätzung komme, dass die Zahl von Scheinvaterschaften seit
2001 zunehme, denn eine von der Innenministerkonferenz initiierte
Erhebung erfasse nur den Zeitraum Frühjahr 2003 bis
Frühjahr 2004. Außerdem handele es sich um Verdachts- und
nicht um Missbrauchsfälle. "In der Erhebung der
Ausländerbehörden wurde nämlich allein die Zahl der
Vaterschaftsanerkennungen erfasst, woraus noch lange nicht die
Missbrauchsfälle abzulesen sind." Dass es im Gegensatz zu
anderen europäischen Rechtsordnungen eine Anfechtungsbefugnis
öffentlicher Stellen noch nicht gebe, liege unter anderem auch
am reformierten Kindschaftsrecht. Vor dieser Reform, habe auch ein
nichteheliches Kind einer Vaterschaftsanerkennung zustimmen
müssen, was aber durch das Jugendamt in Amtspflegschaft
erfolgt sei. Diese Bevormundung der Mutter durch den Staat habe man
jedoch gerade abschaffen wollen. Winkler: "Die Feststellung der
sozialen Beziehung kann nicht wie bei einer Scheinehe an einer
familiären Lebensgemeinschaft festgemacht werden. Väter
kümmern sich heutzutage häufig auch viel um ihre Kinder,
ohne mit ihnen zusammen zu wohnen. Ein Abstellen auf die fehlende
Bereitschaft des Vaters, für das Kind zu sorgen, würde zu
einer Diskriminierung und zu einem Generalverdacht gegen
Sozialhilfeempfänger führen." Der Grünen-Politiker
wendet sich strikt gegen ein Zurückdrehen der
Kindschaftsrechtsreform. Der Gesetzgeber habe bewusst auf eine
behördliche Beteiligung bei der Vaterschaftsfeststellung
unehelicher Kinder verzichtet und damit die Rechte der Mütter
gestärkt: "Staatliche Stellen haben weder bei ehelichen noch
bei unehelichen Kindern von Deutschen das Recht, die Vaterschaft
des biologischen oder auch des sozialen Vaters in Zweifel zu
ziehen. Gleiches muss auch für die Kinder von
ausländischen Vätern oder Müttern und binationale
Paare gelten."
Auf den erwähnten Bericht der
Innenministerkonferenz geht auch Joachim Stünker als
rechtspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion ein. Die
Erhebungen hätten zwar einen hohen Anteil von Fällen
ergeben, in denen die Vaterschaftsanerkennung für ein
deutsches oder ausländisches Kind mit der Ausreisepflicht der
unverheirateten ausländischen Mutter (72 Prozent)
zusammengetroffen sei. Mit 83 Prozent sei der Anteil der
Vaterschaftsanerkennungen durch deutsche Männer ebenfalls hoch
gewesen. Der Bericht räume jedoch ein, dass es sich bei diesen
Zahlen nur um ein Indiz handele. Es fehlten Kriterien, anhand derer
festgestellt worden sei, ob die Anerkennung "echt" oder nur zur
Erlangung von Aufenthaltstiteln beziehungsweise Sozialleistungen
vollzogen worden sei. Die Rechtspolitiker der
SPD-Bundestagsfraktion plädierten deshalb dafür, sich mit
dem Zahlenmaterial sachlich auseinanderzusetzen. Bei der Reform
hätten sie sich mit gutem Grund gegen eine behördliche
Beteiligung bei der Vaterschaftsfeststellung entschieden. Joachim
Stünker: "Es besteht kein Anlass, diesen Grundsatz
unüberlegt über Bord zu werfen. Hinzu kommt, dass die
geforderten Änderungen Ausländer und Ausländerinnen
betreffen. Zur Begründung einer derartigen
Gesetzesänderung muss das Zahlenmaterial besonders belastbar
sein." Sollten sich die Befürchtungen jedoch bestätigen,
werde sich die SPD-Bundestagsfraktion des Themas annehmen und eine
Lösung erarbeiten.
Unter Verweis auf ein nicht gesichertes
Datenmaterial lehnt auch die FDP-Bundestagsabgeordnete Sibylle
Laurischk eine Änderung des derzeitigen Kindschaftsrechtes ab.
Die Daten der Innenministerkonferenz wiesen nur nach, wie viele
ausreisepflichtige Ausländerinnen einen Aufenthaltstitel
erhalten hätten, nachdem ein Deutscher die Vaterschaft
für ihr Kind anerkannt habe. "Schon hier von vornherein zu
unterstellen, dass diesen Vaterschaftsanerkenntnissen nicht auch
eine tatsächliche, biologische oder sozial-familiär
vermittelte Vaterschaft zugrunde liegt, ist voreilig." Mit der
Reform des Kindschaftsrechtes 1998 sei die Rechtsstellung und
Verantwortung der nichtehelichen Mutter gestärkt worden.
Für Sibylle Laurischk gilt: "Ein ausländerrechtliches
Problem mit den Mitteln des Zivilrechtes lösen zu wollen, ist
abwegig, da die Auswirkungen auf in der Mehrzahl legal verlaufende
Fälle eine überbordende Schnüffelbürokratie
bedeuten würde. Vielmehr sollten die ausländerrechtlichen
Instrumente voll ausgeschöpft werden, um im Tatsächlichen
zu ermitteln, ob die Vaterschaft auch sozial-familiär oder
materiell durch Unterhaltszahlungen
gelebt wird und damit der Artikel 6 unserer
Verfassung tatsächlich einem Verlassen der Bundesrepublik
Deutschland entgegenstünde." Binationale Kinder dürften
nicht mit dem Generalverdacht der fehlenden Legitimation belegt
werden.
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