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Ralf Hanselle
Boheme vor dem Absturz
Der Gesprächskreis Kultur und Politik der
SPD diskutierte die Lage der bildenden Künstler in
Deutschland
Kunst ist schön, darf aber nichts kosten.
Betrachtet man die gegenwärtige soziale Lage von bildenden
Künstlern in der Bundesrepublik, dann scheint klar: Was viel
Arbeit macht, bringt wenig Geld. Laut einer aktuellen Umfrage,
durchgeführt vom Berufsverband Bildende Künstler (BBK)
Leipzig, nimmt ein Künstler in Sachsen durchschnittlich
lediglich 287 Euro im Monat aus dem Verkauf seiner Werke ein. Dabei
liegt junge deutsche Kunst auf dem internationalen Kunstmarkt
durchaus im Trend. Mancher Absolvent der Leipziger Kunsthochschule
wird derzeit als kommender Malerfürst durch die Szene
gereicht. Die breite Mehrheit jedoch kann an diesem Boom nicht
partizipieren. Die ökonomischen Rahmenbedingungen für
freischaffende Künstler in Deutschland sind so schlecht wie
selten.
Manfred Stolpe, Bundesminister für den
Aufbau Ost, wird daher geahnt haben, worauf er sich einließ,
als er am 11. März zu einer weiteren Runde des
"Gesprächskreises Kultur und Politik" im Rahmen des "Forums
Ostdeutschland" ins Willy-Brandt-Haus lud. 16 Vertreter aus
Kulturpolitik und Kunstbetrieb, darunter der Maler Johannes Heisig
und der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrats, Olaf
Zimmermann, diskutierten unter der Überschrift "Zwischen
Überlebenskunst und künstlerischem Erfolg - Zur Lage der
bildenden Kunst (nicht nur) in Ostdeutschland" die Probleme der
Szene - und die sind groß.
Kunst fehlt es gemeinhin an Lobby. Das ist
nicht nur im Osten so. Aber dort trifft es die Freischaffenden
besonders hart. Oft mangelt es an einer weit gefächerten
Galerienszene, an Kunstvereinen und an finanzkräftigen
Käufern. Mag der Weg in den Kunstmarkt in Köln und
Düsseldorf schon kompliziert sein, so ist er in den fünf
neuen Bundesländern fast unmöglich. Der Berliner Maler
und Fotograf Matthias Müller, einer der wenigen
freischaffenden Künstler in der Runde, kühlte die in den
einschlägigen Magazinen gefeierte Hausse in der deutschen
Kunst denn auch auf nüchterne Zahlen runter. Lediglich ein
Prozent der Kunstschaffenden, so Müller, könne derzeit
wirklich von ihrer Kunst leben. Der Rest schlägt sich mit
Nebenjobs durch. Das permanente Neuerfinden der künstlerischen
Existenz scheint ein Drahtseilakt zwischen Stipendien, Mäzenen
und Minijobs. Was für die Gesellschaft die Romantik der Boheme
ist, das ist für den einzelnen Künstler ein Kampf ums
Überleben.
Dennoch ist das Berufskünstlertum noch
immer attraktiv. Angelika Krüger-Leißner (SPD), Mitglied
des Kulturausschusses im Deutschen Bundestag, wies darauf hin, dass
Deutschland im europäischen Vergleich die höchste
Zulaufrate in die künstlerischen Berufe aufweise. In Zeiten,
in denen immer mehr Menschen von Arbeitslosigkeit bedroht sind oder
von ihren Arbeitgebern "outgesourct" werden, bietet Kunst ein
trügerisches Alternativkonzept. Dieses geht nicht nur zu
Lasten des einzelnen Künstlers, sondern der sozialen
Sicherungssysteme. Die Künstlersozialkasse (KSK), einst
gefeiertes Vorreitermodell in Europa, steht mehr und mehr vor dem
Kollaps. Krüger-Leißner ist sich jedenfalls sicher: Wenn
nicht in den nächsten Jahren mehr Verwerter erfasst
würden, ließe sich die KSK nicht mehr
finanzieren.
Die Politik steht unter Handlungszwang.
Schließlich, so verdeutlichte Bundestagspräsident
Wolfgang Thierse bereits ganz zu Anfang der Diskussion, leiste
Kunst einen erheblichen Beitrag für die freie Gesellschaft.
Dabei geht es nicht nur um das willkommene "corporate design" von
Staaten wie Unternehmen, sondern um die Sicherung öffentlicher
Güter. Doch wer vom Kulturstaat redet, der darf von den
ökonomischen Missverhältnissen nicht
schweigen.
Und diese, das wurde im Willy-Brandt-Haus
nicht zuletzt in der anschließenden öffentlichen
Diskussion deutlich, sind zahlreich. Noch immer erfolgt das
Ausstellen in öffentlichen Museen für die Künstler
unentgeltlich, zahlreiche Künstler verlieren im Zuge von Hartz
IV ihre Atelierräume, und Honorare werden im öffentlichen
wie im privaten Sektor von einer Ehrensache mehr und mehr zu einer
Glückssache.
Die freie Kunst steht im Abseits der
Kulturpolitik. Das betrifft nicht nur die Fördermittel,
sondern die politische Aufmerksamkeit. "Künstler", so
formulierte es Olaf Zimmermann, "können im Bedarfsfall eben
nicht soviel Tamtam machen wie Opernhäuser." Zumeist agieren
sie unsichtbar; und dort, wo sie sich organisieren, müssen sie
oft für jeden Euro betteln gehen. Dieser Auffassung waren
zumindest die Sprecher der Verbände.
Auf vielen Gebieten mag es eine regulierende
Marktmacht geben. Kultur aber folgt anderen Gesetzen. So waren sich
in einem Punkt nahezu alle Teilnehmer einig: Der Kunstmarkt ist
nicht in der Lage, die unzähligen Kunstschaffenden
aufzufangen. Nicht nur weil er letztlich zu klein ist, sondern weil
er mehr denn je unberechenbaren Wellen unterliegt. Gerhard Pfennig,
Geschäftsführer der Stiftung Kunstfonds, formulierte es
anschaulich: "Der Kunstmarkt", so Pfennig, "funktioniert zu 60
Prozent wie die Bekleidungsindustrie: Er folgt einem
Vierjahrestrend." Daraus folgt, dass Karrieren immer weniger zu
planen sind. Wer sich in frühen Jahren am Markt platzieren
kann, der kann später durchaus von Altersarmut bedroht sein.
Rein marktorientiert zu denken, hilft also zumeist nicht weiter.
Ein Gemälde ist schließlich kein Pullover. In einem
künstlerischen Werk spiegeln sich individuelle
Ausdrucksweisen. So ist eine ästhetisch herausragende Leistung
nicht automatisch gleichbedeutend mit wirtschaftlichem
Erfolg.
Soll die Breite der Kunst aber erhalten
bleiben - und nur sie kann Ausdruck einer kulturell geprägten
Gesellschaft sein -, dann muss die ökonomische Grundlage der
meisten Künstler anders abgesichert werden. Vorschläge
hierzu gab es reichlich. Sie reichten von einer vermehrten
öffentlichen Förderung von Kunst im öffentlichen
Raum bis zur Einbindung der Freischaffenden in die
künstlerische Bildung.
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