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Helmut Merschmann
Grenzüberschreitende Ästhetik löst
sich von Traditionen
Das Berliner Haus der Kulturen der Welt zeigt
eine Ausstellung "Über Schönheit" in der Kunst
Über Geschmack lässt sich trefflich streiten.
Über Schönheit nicht. Seit dem antiken Goldenen Schnitt
hat in der westlichen Kultur ein fester Schönheitsbegriff alle
Zeiten und Wenden überdauert. Weder die moderne Kunst mit
ihrer Destruktion alles Schönen, noch die unselige Renaissance
des griechischen Ideals im Nationalsozialismus oder seine Negation
im Zuge der 68er-Generation konnten dem Schönheitsdiskurs
wahrhaft etwas anhaben. Allen Anfeindungen zum Trotz existiert er
weiter. Heute allerdings ist Schönheit keine Gottesgabe mehr,
sondern mehr eine Frage von Geld und Chirurgie. Vor allem die
Massenmedien reproduzieren unablässig ästhetische
Idealvorstellungen, die bis tief in die Psyche wirken. In der
Werbung, auf den Modelaufstegen, in Musikvideos und Seifenopern
vermitteln sich Bilder des perfekten Menschen: jung, dynamisch,
anmutig. So will jeder sein. Sich gegen diese Bilder zur Wehr zu
setzen, erscheint beinahe aussichtslos.
Auch die zeitgenössische Kunst feiert eine Wiederkehr des
Schönen. In der Berliner Ausstellung "Über
Schönheit" präsentieren 24 internationale Künstler
einen vielgestaltigen Blick auf die Schönheit in Zeiten ihrer
Kommerzialisierung durch eine bildmächtige visuelle Kultur.
Dass der westliche Schönheitsbegriff nicht auf der ganzen Welt
gilt, zeigen die Arbeiten asiatischer Künstler, die mit einer
grenzüberschreitenden Ästhetik ihre eigenen Traditionen
unterlaufen, zugleich die westlichen ablehnen. Zum westlichen
Schönheitsbegriff wiederum gehört, dass er von ganzen
Künstlergenerationen als diskriminierend empfunden wurde.
"Eines Abends nahm ich die Schönheit auf meinen Schoß.
Und ich fand sie bitter", lauten Arthur Rimbauds dunkle Worte. Zum
hiesigen Bildungskanon gehört eine ausgesprochene Skepsis
gegenüber dem Schönen als solchen.
Ist Schönheit nun eine universalistische Eigenheit jenseits
des Geschmacks? So haben viele Philosophen das Phänomen
beschrieben. Oder ist Schönheit eine soziale Konstruktion, die
bestimmte gesellschaftliche Funktionen erfüllt, aber nicht
ewig und allerorten gültig ist? Die Ausstellung versucht, das
gesamte mögliche Spektrum zwischen Affirmation und
Verweigerung auszuloten. Nicht allein die bildende Kunst, sondern
auch Fotografie, Architektur, Multimedia und Musik haben sich mit
Schönheit befasst und finden sich in der Ausstellung wieder.
Vertreten sind Künstler wie Matthew Barney, Nam June Paik,
Shirin Neshat oder Zhuang Hui. Ein Begleitprogramm umfasst Tanz und
Performance, Künstler- und Podiumsgespräche, Filme sowie
die Konferenz "The Re-Turn of Beauty".
"Über Schönheit", Ausstellung im Haus der Kulturen der
Welt, John-Foster-Dulles-Allee 10, 10557 Berlin, bis 15. Mai
2005.
Im Internet: www.ueber-beauty.com
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