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bes/joh
Die Chance auf ein zweites Leben
Organspende
Gesundheit und Soziale Sicherung. Es ist oft ein
Wettlauf mit der Zeit. Der Wetteinsatz: Das Leben. Mehr als 12.000
Menschen in Deutschland befinden sich in einem Schwebezustand
zwischen Leben und Tod - sie warten auf eine Organspende. Das
Thema, jüngst durch negative Schlagezeilen nach dem Tod von
zwei tollwutinfizierten Organspendeempfängern der
Öffentlichkeit ins Bewusstsein gerufen, hat am 17. März
erneut den Bundestag beschäftigt: Die Enquete-Kommission
"Ethik und Recht der modernen Medizin" übergab dem
Bundestagspräsidenten Wolfgang Thierse (SPD) ihren
Zwischenbericht zur Organlebendspende (15/5050); das Plenum beriet
eine Große Anfrage der Union zur Organspende (15/270) und die
Antwort der Regierung darauf (15/4542).
Eine völlige Neuorientierung und Abkehr
von den grundlegenden Prinzipien des Transplantationsgesetzes
hält die Enquete-Kommission "Ethik und Recht der modernen
Medizin" nicht für notwendig. Das teilte der Vorsitzende der
Kommission, René Röspel (SPD), bei der Vorstellung des
Zwischenberichts zur Organlebendspende mit. Der Gesetzgeber
müsse die Situation der Lebendspender aber unbedingt
verbessern, beispielsweise durch die Einführung eines
Lebendspenderegisters, das eine regelmäßige Betreuung und
die Erfassung von Komplikationen gewährleiste, so Röspel
weiter. Auch müssten die Lebendspender finanziell und
versicherungsrechtlich abgesichert werden, etwa durch einen
angemessen Versicherungsschutz oder den Ausgleich finanzieller
Nachteile durch Lohnausfall oder Krankheit in Folge der
Operation.
Die große Kluft zwischen Angebot und
Bedarf an Spenderorganen ist ein wichtiger Anlass, so der Bericht,
acht Jahre nach Verabschiedung des Transplantationsgesetzes (TPG),
über neue Wege in der Transplantationsmedizin nachzudenken.
Derzeit warteten über 12.000 Menschen auf ein Spenderorgan.
Eine Wartezeit von sechs Jahren sei keine Seltenheit, weil viel zu
wenig Spenderorgane aus postmortaler Spende (also durch hirntote
Spender) zur Verfügung stünden. Dennoch lehnt die
Mehrheit der Kommission in ihrem Bericht eine Erweiterung des
gesetzlich zulässigen Spenderkreises ab. "Wir halten an den
bisherigen Regelungen im Transplantationsgesetz fest",
erklärte Röspel. Eine Ausdehnung der Lebendspende auf
Überkreuzspenden, bei denen sich Organspender und
Organempfänger nicht in besonderer persönlicher
Verbundenheit nahe stehen, sei abzulehnen. Diese Auffassung
entspricht der geltenden Rechtslage, nach der nur Angehörige
und andere sehr nahe stehende Menschen spenden dürfen. Die
Kommissionsvertreter von CDU/CSU und FDP kritisierten allerdings
diese Position. Thomas Rachel von der Union sprach sich dafür
aus, eine Überkreuzspende zwischen zwei Paaren, deren
jeweilige Partner einander besonders nahe stehen, zuzulassen.
Michael Kauch von der FDP schloss sich dem an und forderte
überdies, anonyme Lebendspenden in einem Organpool zu
ermöglichen und in Notfällen sogar auf gezielte
Lebendspenden unter Freunden zurückzugreifen. Die anonyme
Lebendspende wird von der Mehrheit der Kommissionsmitglieder aber
strikt abgelehnt.
Einig war sich die gesamte Kommission, dass
eine Kommerzialisierung von Lebendorganspenden unbedingt zu
verhindern sei. Wie Wolfgang Wodarg von der SPD bemerkte, gebe es
massive Versuche, mit finanziellen Anreizen die Lebendspende zu
forcieren. Das sei ein "Riesenproblem", denn dadurch würden
insbesondere Menschen zur Spende bewogen, die sich in sozialen
Notlagen befänden. Professor Linus Geisler, der als
sachverständiges Mitglied der Kommission angehört, merkte
dazu an, dass Ärzte im Fall von Lebendspenden ohnehin in einer
schwierigen Situation seien, denn sie müssten einen
völlig gesunden Menschen operieren. Jede Operation berge
Risiken. Die Auswahl des Spenderkreises müsse man daher
"vernünftig und sinnvoll" handhaben. "Spot-Märkte"
für Organe, wie sie in den USA teilweise existierten,
kämen aus ethischen Gründen nicht in Frage.
Bundestagspräsident Thierse lobte bei
der Übergabe des Berichts die Arbeit der Sachverständigen
und Abgeordneten als "sehr wichtig für die eigene
Entscheidungsfindung". Besonders bei der Meinungsbildung in so
schwierigen ethischen Fragen seien die Bürger und auch er
selbst auf den Sachverstand von Experten unbedingt
angewiesen.
In der abschließenden Beratung der
Großen Anfrage der Union spielte auch die postmortale
Organspende eine Rolle. Fraktionsübergreifend beklagten die
Abgeordneten eine große Diskrepanz zwischen der bekundeten und
der tatsächlichen Spendenbereitschaft in Deutschland und
forderten die Krankenhäuser auf, sich stärker für
postmortale Organspenden zu engagieren. Nach Meinungsumfragen
genieße die Organspende bei 80 Prozent der Bevölkerung
eine hohe Akzeptanz. Einen Spendenausweis besäßen dennoch
lediglich 12 Prozent der Menschen hierzulande.
Redner und Rednerinnen aller Fraktionen
unterstrichen daher die Notwendigkeit einer gezielten
Aufklärung der Bevölkerung, damit mehr Leben gerettet
werden könnten. "Wir brauchen mehr Öffentlichkeit
für dieses Thema. Information und Aufklärung sind
Voraussetzungen für eine höhere Bereitschaft zur
Organspende", sagte die Parlamentarische Staatssekretärin,
Marion Caspers-Merk (SPD), in der Debatte. Die Bundesregierung habe
hier ihre Hausaufgaben gemacht. Seit 1998 wurden nach Angaben
Caspers-Merks 6 Millionen Euro dafür ausgegeben.
Dagegen kritisierte die Opposition die
Mittelkürzung der Bundeszentrale für gesundheitliche
Aufklärung in diesem Bereich: "Spendenbereitschaft
fördern wollen und zugleich die Aufklärung fast
einstellen, das passt nicht zusammen", so die Gesundheitsexpertin
der Union, Annette Widmann-Mauz. Für die
Grünen-Politikerin Petra Selg ist es hingegen "zu kurz
gesprungen", einfach nur mehr Geld für die
Öffentlichkeitsarbeit zu fordern. Aus der Sicht des
FDP-Abgeordneten Detlef Paar müssten die Abgeordneten mit
gutem Beispiel vorangehen und einen Organspendeausweis
ausfüllen. Gleichzeitig plädierte er für die
Aufhebung der Nachrangigkeit der Lebendspende gegenüber der
postmortalen Spende und die Zulassung von
Überkreuzspenden.
Konsens herrschte darin, dass sich zu wenig
Krankenhäuser bei der Förderung der Organspende
engagieren. Nur 44 Prozent der Kliniken mit Intensivstationen
beteiligten sich an der Suche nach geeigneten Organspendern,
beklagte Paar. Das Fazit der Staatssekretärin hierzu: Die
Kooperation zwischen den Kliniken müsse neu organisiert
werden. Die Aufsichtspflicht über die Krankenhäuser liege
aber bei den Ländern, so der Vorsitzende des
Gesundheitsausschusses, Klaus Kirschner (SPD).
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