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Dirk Klose
"Zivilcourage verjährt nicht!"
Bundestag debattiert Aufbau Ost und Stand der
Deutschen Einheit
Beim Aufbau Ost ist in den vergangenen Jahren viel erreicht
worden; aber viel mehr bleibt noch zu tun. Insbesondere müssen
zukunftsfähige Industrien mit Vorrang gefördert werden;
auch sollten Bund, Länder und Kommunen in gemeinsamer
Anstrengung auf einen Abbau der Massenarbeitslosigkeit hinarbeiten.
Das war der Tenor einer Debatte zum Stand der Deutschen Einheit,
die am 18. März im Bundestag stattfand - genau 15 Jahre nach
dem Tag der ersten freien Volkskammerwahlen in der DDR.
Anlass für die Debatte war zum einen die Erinnerung an
dieses historische Datum, zum anderen die Aussprache über den
jedes Jahr vorgelegten "Jahresbericht der Bundesregierung zum Stand
der Deutschen Einheit". Diese Jahresberichte werden seit der
Wiedervereinigung von der Regierung zusammengestellt, um Parlament
und Öffentlichkeit einen Überblick über
wirtschaftliche und soziale Reformen in den neuen Ländern zu
geben. Nachdem zeitweise erwogen worden war, diese
Berichterstattung einzustellen, ist nun eine Fortsetzung bis zum
Jahre 2008 sichergestellt.
Erster Redner in der Debatte war der SPD-Politiker Wolfgang
Thierse, der in seiner Eigenschaft als Abgeordneter, nicht als
Bundestagspräsident sprach. Thierse würdigte
ausführlich die erste und einzige demokratische
Volkskammerwahl ("eine Wahl, die diesen verpflichtenden Namen
wirklich verdiente") und den Mut der Menschen in der DDR, sich in
friedlichen Demonstrationen der SED-Herrschaft zu widersetzen. Das
bleibe Vorbild auch für die Zukunft: "Zivilcourage
verjährt nicht!". Was die Volkskammer in ihrer kurzen Zeit bis
zur Einheit gearbeitet und erreicht habe, sei in der deutschen
Parlamentsgeschichte "ohne Vorbild". Heute erfülle ihn die
Politikverdrossenheit vieler Menschen "mit Sorge"; Thierse
plädierte dringend dafür, neben wirtschaftlichen Hilfen
auch politische Bildung zu verstärken, um die Werte der
freiheitlichen Demokratie zu vermitteln.
Der sächsische Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU)
und der für den Aufbau Ost zuständige Bundesminister
Manfred Stolpe (SPD) würdigten übereinstimmend, dass
durch westdeutsche Solidarität und ostdeutschen Aufbauwillen
"ein neues Land" geschaffen worden sei. Milbradt sagte, die
Menschen hätten aus ihren Fähigkeiten das Beste gemacht;
allerdings müssten die Strategien zum Aufbau Ost weiter
verbessert werden, vor allem Ausnahmegesetze, die wie beim
Flughafen Leipzig einen zügigen Aufbau ermöglichten,
sollten beibehalten werden. Der Ministerpräsident kritisierte
"deutsche Luxusgesetze, die auf jede EU-Richtlinie noch eins
draufsatteln". Deutschland ist nach Milbradts Worten ein
"gefesselter Gulliver, dem die Fesseln abgenommen werden
müssen".
Die letzte und frei gewählte DDR-Volkskammer hat gestaltet,
nicht verwaltet, so der sächsische FDP-Abgeordnete Joachim
Günther. Der Redner weiter: "Ganz so kompliziert haben wir uns
die Einheit damals nicht vorgestellt." Er beklagte ein mangelndes
Engagement des Bundeskanzlers in Sachen Aufbau Ost; dieser habe das
Thema zwar zur Chefsache erklärt, "aber bis heute hat der Chef
nicht auf den Tisch gehauen!" Auch Günther setzte sich
dafür ein, bestehende Ausnahmeregelungen, soweit sie sich als
erfolgreich erwiesen haben, zu verlängern; über die
Förderung industrieller Zentren und Ballungsgebiete
dürften die Grenzregionen nicht vergessen werden.
Eine gezielte Förderung kleiner und mittelständischer
Betriebe mahnte der ebenfalls aus Sachsen kommende
Bündnisgrüne Peter Hettlich an. Angesichts der
schwierigen, regional auch häufig sehr unterschiedlichen
Situation in den neuen Ländern könne es keine
einheitlichen Lösungen geben, sondern immer wieder
müssten vielfältige Möglichkeiten überlegt
werden. Die nicht zweckgebundene Verwendung von Mitteln aus dem
Solidarpakt durch mehrere Länder müsse endlich
aufhören, - "damit trügen wir unseren Teil zum
Solidarpakt bei".
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