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Angelika Timm
"Ein jüdischer Staat im Lande der
Väter"
Zionistische Vision und palästinensische
Realität
Am 14. Mai 1948 verkündete David Ben Gurion
die Gründung des Staates Israel: "Gleich allen anderen
Völkern", so der erste israelische Ministerpräsident,
"ist es das natürliche Recht des jüdischen Volkes, seine
Geschicke unter eigener Hoheit selbst zu bestimmen. Demzufolge
haben wir, die Mitglieder des Volksrates, als Vertreter der
jüdischen Bevölkerung und der Zionistischen Organisation,
heute, am letzten Tage des britischen Mandats über
Palästina, uns hier eingefunden und verkünden hiermit
kraft unseres natürlichen und historischen Rechtes und
aufgrund des Beschlusses der UNO-Vollversammlung die Errichtung
eines jüdischen Staates im Lande Israel - des Staates
Israel."
Die Unabhängigkeitserklärung
stellte nicht nur eine Zäsur in der jüdischen Geschichte,
sondern zugleich eine Weichenstellung für die Entwicklung der
Nahostregion dar. Sie war das Resultat von Geschehnissen, die sich
während der vorangegangenen Jahrzehnte auf dem
europäischen Kontinent, in den internationalen Gegebenheiten
und im Nahen Osten vollzogen hatten.
Die zionistische Vision, ein jüdisches
Gemeinwesen im "Lande der Väter" zu schaffen, war eine
Antwort, mit der jüdische Intellektuelle in Europa am Ausgang
des 19. Jahrhunderts auf die Herausforderungen der Moderne,
insbesondere auf Antisemitismus und Assimilationstrends, zu
reagieren suchten. Zentrale Anliegen waren, das Judentum zu
erhalten, die über den Erdball verstreuten Juden in einem
eigenen Staat zusammenzuführen und jüdische
Identität in der modernen Gesellschaft neu zu bestimmen.
Theodor Herzl, der "Vater des politischen Zionismus", hatte 1896 in
seinem Buch "Der Judenstaat" die Idee des jüdischen
Nationalstaates in Palästina allseitig begründet. Ein
Jahr nach Erscheinen des Manifests wurde in Basel die Zionistische
Weltorganisation gegründet. Damit begann eine neue Phase
jüdischen Emanzipationsstrebens und nationaler
Selbstbesinnung.
Die jüdische Nationalbewegung
verwandelte die tradierte Bindung an das "Heilige Land" in ein
aktives beziehungsweise aktivierendes Element; sie revolutionierte
- zögerlich zunächst - jüdisches Denken und Leben.
Hunderttausende Juden, in ihren Heimatländern nicht selten
diskriminiert und geächtet, während der Herrschaft des
Nationalsozialismus in Deutschland und weiten Teilen Europas von
der Auslöschung bedroht, fanden an der Levanteküste eine
neue Heimat.
Die zionistische Einwanderung ließ den
jüdischen Bevölkerungsanteil in Palästina schnell
anwachsen. Hatten 1882 nur annähernd 24.000 zumeist streng
gläubige Juden in der osmanischen Provinz, konzentriert auf
die vier heiligen Städte des Judentums Jerusalem, Hebron,
Tiberias und Safed, gelebt, so brachten die frühen
zionistischen Zuwanderungswellen vorwiegend säkulare
osteuropäische Immigranten ins Land. Die Neuankömmlinge
legten in den vom Jüdischen Nationalfonds aufgekauften
Ländereien landwirtschaftliche Siedlungen an oder ließen
sich in den Städten, insbesondere der Mittelmeerküste,
nieder. 1909 wurde der Grundstein für die heutige Metropole
Tel Aviv gelegt. Die Einwanderer - bis 1931 bereits 175.000 -
schufen jüdische Selbstverwaltungsorgane, einen eigenen
Wirtschaftssektor, politische Parteien, Gewerkschaftsverbände
und Verteidigungsorganisationen. Das modernisierte Hebräisch
wurde zur Umgangssprache.
Während der 30er Jahre gelangten weitere
200.000 europäische Juden - darunter 70.000 aus dem
deutschsprachigen Raum - an das östliche Mittelmeer. Letztere,
die Jeckes, leisteten einen bedeutenden Beitrag zur Entwicklung des
wirtschaftlichen und kulturellen Lebens sowie des Rechts- und
Pressewesens.
Der jüdische Anspruch auf Palästina
und das zionistische Siedlungswerk, seit Ende des Ersten Weltkriegs
unter dem Schirm des britischen Völkerbundmandats, gerieten
zunehmend in Widerspruch zu den Interessen der arabischen Bewohner
des Landes wie den Intentionen der arabisch-palästinensischen
Nationalbewegung. Deren Vertreter hatten die Befreiung von
osmanischer Herrschaft begrüßt; sie klagten nunmehr von
den Briten die versprochene Eigenstaatlichkeit ein. Arabische
Aufstände in den Jahren 1920, 1921, 1929 und 1936-39 richteten
sich nicht nur gegen die zionistischen Siedler, sondern
verstärkt auch gegen die Mandatsbehörden. Sie wurden von
britischer Polizei und Armee blutig niedergeschlagen. Aus Furcht
vor weiterer Eskalation beschränkte Großbritannien ab
1939, trotz Kenntnis der Judenverfolgungen in Deutschland, die
jüdische Einwanderung auf ein Minimum.
Nach dem Zweiten Weltkrieg erfuhr die
Weltöffentlichkeit von der Ermordung eines Drittels der
europäischen Juden in den nationalsozialistischen
Konzentrations- und Vernichtungslagern beziehungsweise durch
Sonderkommandos der deutschen Armee und deren Verbündete.
Hunderte jüdische Gemeinden waren ausgelöscht worden.
Überlebende irrten durch Europa und suchten eine neue Heimat;
nicht wenige wandten sich Palästina zu. Die britische
Mandatsmacht verweigerte weiterhin die Einwanderung.
Internationales Aufsehen und Proteste erregte die Tragödie des
Flüchtlingsschiffes "Exodus", dessen Insassen 1947 zwar
Palästina erreicht hatten, durch britische Kriegsschiffe
jedoch nach Europa eskortiert und schließlich nach Deutschland
verbracht wurden.
Angesichts zehntausender, in "Displaced
Person Camps" notdürftig untergebrachter jüdischer
Überlebender der Shoah und unter Berücksichtigung der
vehement artikulierten Unabhängigkeitsbestrebungen sowohl der
arabischen als auch der jüdischen Nationalbewegung sahen sich
die Vereinten Nationen veranlasst, der Palästinafrage
besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Nach monatelanger
Prüfung votierte die II. UN-Vollversammlung am 29. November
1947 mit Zweidrittelmehrheit für die Beendigung der
Mandatsherrschaft Großbritanniens und für die Teilung des
Landes. Auf dem rund 25.000 Quadratkilometer umfassenden
Territorium mit einer Bevölkerung von 1,3 Millionen Arabern
und 608.000 Juden sollten zwei Staaten - ein arabischer und ein
jüdischer - entstehen; Jerusalem - von zentraler Bedeutung
für Judentum, Christenheit und Islam - sollte internationalen
Status erhalten. Der UN-Beschluss legte fest, die drei Teile
Palästinas durch eine Wirtschaftsunion zu
verbinden.
Gemäß der Resolution der
Weltorganisation erfolgte am 14. Mai 1948 die Proklamation des
jüdischen Staates. Die parallele Gründung des
arabisch-palästinensischen Staates blieb aus, da die Arabische
Liga den Teilungsplan strikt ablehnte. Während jüdische
Menschen in den Straßen Tel Avivs jubelnd ihren Staat
begrüßten, fanden in den arabischen Hauptstädten
Protestdemonstrationen statt, in deren Umfeld Einrichtungen der
USA, Großbritanniens, Frankreichs und der UdSSR demoliert
wurden. Das Hohe Arabische Komitee, oberste Repräsentanz der
palästinensischen Nationalbewegung, vergab letztlich die
historische Chance, das Selbstbestimmungsrecht der
Palästinenser bereits 1948 in Gestalt eines eigenen Staates zu
verwirklichen.
Die unterschiedlichen Positionen der
regionalen Mächte und die nur teilweise erfolgte Realisierung
des UN-Beschlusses von November 1947 verliehen den sich
zuspitzenden Nahostspannungen einen neuen Rahmen und neue Brisanz.
In der Nacht vom 14. zum 15. Mai 1948 marschierten die Armeen
Ägyptens, Transjordaniens, Syriens, Iraks und Libanons in
Palästina ein mit dem Ziel, die Proklamation des
jüdischen Staates rückgängig zu machen. Für
Israel ging es um die nationale Existenz und um das Überleben
seiner Bürger. Dank umfangreicher Waffenlieferungen aus der
Tschechoslowakei sowie finanzieller Unterstützung aus den USA
und anderen Ländern konnte die israelische Armee im Juli 1948
den Umklammerungsring sprengen und zur Gegenoffensive
übergehen.
Der erste Nahostkrieg endete im Januar 1949
mit dem militärischen Sieg Israels. Durch Vermittlung der
Vereinten Nationen kamen während der folgenden Monate
Waffenstillstandsverträge mit Ägypten, Libanon, Jordanien
und Syrien zustande. Die Waffenstillstandslinien
vergrößerten das Territorium des jüdischen Staates
von den im UN-Beschluss 1947 fixierten 14.100 Quadratkilometern auf
20.700 Quadratkilometer. Die Chancen für das
arabisch-palästinensische Gemeinwesen waren durch die
Inbesitznahme eines Teils der seitens der Vereinten Nationen
dafür vorgesehenen Territorien durch Israel, die Eingliederung
des Westjordanlandes und Ostjerusalems in das 1950 ausgerufene
Haschemitische Königreich Jordanien sowie die Unterstellung
des Gazastreifens unter ägyptische Verwaltung für einen
langen Zeitraum zunichte gemacht.
Die Gründung des jüdischen Staates
und der Ausgang des ersten israelisch-arabischen Krieges
veränderten die politische Landschaft des Nahen Ostens. Eine
schwere Hypothek bildet seither insbesondere das Problem der
arabischen Palästinaflüchtlinge und seit dem
Sechstagekrieg 1967 die israelische Besetzung und Besiedlung
Ostjerusalems, des Westjordanlandes und des Gazastreifens. Die
aktuellen Entwicklungen in und um Israel verweisen
nachdrücklich darauf, dass eine einvernehmliche Regelung der
Palästinenserfrage nicht nur für die betroffene
Volksgruppe, sondern auch für den jüdischen Staat von
existenzieller Bedeutung ist.
Angelika Timm lehrt Politikwissenschaft an
der Bar-Ilan-Universität im israelischen Ramat Gan.
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