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Angelika Timm
Unbeirrt von den Stimmungslagen der Menschen in
beiden Staaten
Erste staatliche Kontakte zwischen Deutschland
und Israel: Das Luxemburger Abkommen von 1952
Am 10. September 1952 unterzeichneten der israelische
Außenminister Mosche Scharett, der Präsident der
Conference on Jewish Material Claims Against Germany, Nachum
Goldmann, und Bundeskanzler Konrad Adenauer das Luxemburger
Abkommen. Die nach komplizierten Verhandlungen erreichte
Vereinbarung sah zusätzlich zu individuellen
Entschädigungen für Holocaust-Überlebende
westdeutsche Zahlungen von drei Milliarden D-Mark an Israel und
Kompensationen in Höhe von 450 Millionen D-Mark an die Claims
Conference vor, die jüdische Opfer außerhalb Israels
vertrat. Die Leistungen erstreckten sich über einen Zeitraum
von zwölf Jahren und erfolgten vorwiegend durch deutsche
Warenlieferungen; rund eine Milliarde D-Mark war zur Finanzierung
israelischer Erdölkäufe vorgesehen. Den Hauptanteil der
deutschen Lieferungen bildeten im folgenden Jahrzehnt zu 55,3
Prozent Erzeugnisse des Maschinenbaus, der Kraftfahrzeugindustrie,
der Feinmechanik/Optik, des Schiffbaus, gefolgt mit 14 Prozent
chemisch-pharmazeutischer Produkte, Textilien, Lederwaren, Keramik-
und Glaserzeugnissen.
Das Abkommen war sowohl in Israel als auch in Deutschland
höchst umstritten. Der rechtskonservative israelische
Oppositionsführer Menachem Begin zum Beispiel lehnte das
"Blutgeld" ab; er forderte zum offenen Widerstand gegen die
Regierung Ben Gurions auf. Geld könne den millionenfachen
Judenmord nicht sühnen. Vergebung sei nicht käuflich.
Auch die linksgerichtete Mapam und die Kommunisten sprachen sich im
Parlament gegen die Gespräche und Vereinbarungen mit der
Bundesregierung aus. Im August 1952 in Deutschland
durchgeführte Meinungsumfragen wiesen gleichfalls nach, dass
zu diesem Zeitpunkt lediglich elf Prozent der Bundesbürger
Reparationszahlungen an Israel befürworteten; 24 Prozent sahen
sie als zu hoch an, 44 Prozent hielten sie für
überflüssig.
Die politisch Verantwortlichen in Jerusalem und Bonn ließen
sich von der Stimmungslage unter den Menschen in beiden Staaten
nicht beirren. Außenminister Scharett betonte am 14. März
1951 vor der Knesset, die israelischen Forderungen seien angesichts
der von Deutschen an den Juden begangenen Verbrechen in
höchstem Maße berechtigt. Er mahnte die Verantwortung
beider deutscher Staaten an. Während die Sowjetunion und die
DDR-Führung zu diesem Zeitpunkt jedoch jegliche Verpflichtung
gegenüber Israel mit dem Verweis auf die grundsätzliche
Erfüllung des Potsdamer Abkommens durch Ostdeutschland
ablehnten, bekannte sich Bundeskanzler Adenauer in
Übereinkunft mit den westlichen Besatzungsmächten,
insbesondere den USA, zu den "im Namen des deutschen Volkes
begangenen Verbrechen". Seine Regierungserklärung vom 27.
September 1951 ebnete den Weg zu den deutsch-israelischen
Verhandlungen.
Für die israelische Delegation war der Kontakt mit den
deutschen Verhandlungspartnern nicht einfach. Felix Schinnar, der
spätere Leiter der israelischen Vertretung in Köln,
schrieb in seinen Erinnerungen: "Zu schildern, was in uns vorging -
sieben Jahre nach Hitler und Kriegsende - ist ebenso schwer wie das
Erfassen und Verstehen der Tragödie, die den Anlass für
diese Begegnung bildete, bis zum heutigen Tag."
Neben der Erwägung, dass Deutsche sich nicht dauerhaft an
geraubtem jüdischen Eigentum bereichern dürften und zu
materieller Entschädigung verpflichtet seien, hatte Ben Gurion
die äußerst schwierige wirtschaftliche Situation zu
bedenken, in der sich sein junger Staat befand. Die
Wirtschaftskraft des Landes war noch gering. Sie beruhte vorwiegend
auf der Landwirtschaft und kleineren Industriebetrieben mit
geringer Produktivität. Nur 40 Prozent des Lebensmittelbedarfs
konnten durch eigene Produktion gedeckt werden. In dem
rohstoffarmen Land fehlte es an allem und viele Menschen lebten
unter dem Existenzminimum.
Hinzu kam, dass sich die Bevölkerung in den vier Jahren
nach der Unabhängigkeitserklärung verdoppelt hatte. Zu
den mehr als 680.000 Neueinwanderern, die ins Land strömten,
gehörten 330.000 Überlebende der Shoah, Menschen somit,
die Furchtbares durchlebt hatten und so schnell wie möglich
Europa verlassen wollten. Sie waren zumeist nur knapp dem Tode in
deutschen Konzentrations- und Vernichtungslagern entronnen und
gelangten ohne jegliches Hab und Gut nach Palästina. Die erste
"Massenalijah" der Jahre 1948-1952 umfasste zudem Hunderttausende
Juden aus der Türkei, Iran und arabischen Staaten, vor allem
aus Irak, Ägypten, Jemen, Marokko und Tunesien, die im Umfeld
des ersten Nahostkrieges Israel erreichten.
Viele der Neuzuwanderer mussten vorübergehend in Zelten und
Baracken hausen. Bis 1952 entstanden 111 Übergangslager, in
denen zeitweilig eine Viertel Million Menschen lebte. Neben der
Unterbringung waren die medizinische Versorgung, die schulische
Ausbildung der Kinder und die berufliche Integration der
Erwachsenen zu gewährleisten. Selbst die tägliche
Versorgung mit Lebensmitteln war nicht immer gesichert. Im Winter
1950/51 waren Brot und Mehl nur noch für wenige Tage
vorhanden. Israel befand sich am Rande eines Staatsbankrotts. Die
Aufnahme in das US-Hilfsprogramm bewahrte das Land zwar vor einer
Hungersnot und dem drohenden Zusammenbruch; viele Probleme jedoch
blieben ungelöst.
Die wirtschaftlichen und sozialen Existenzfragen wurden durch
den anhaltenden Konflikt mit den arabischen Nachbarstaaten
verschärft. Auf die Waffenstillstandsabkommen von 1949 waren
keine Friedensverträge gefolgt; das Problem der
Palästinaflüchtlinge blieb ungelöst.
Zwischenfälle an den Grenzen zu Ägypten, Jordanien und
Syrien häuften sich. Die Verteidigungsausgaben verschlangen
einen großen Teil des israelischen Staatsbudgets.
Ben Gurion sah sich somit nicht zuletzt aus wirtschaftlichen und
sicherheitspolitischen Gründen veranlasst, die Deutschen zur
Kasse zu bitten. Seine pragmatischen Erwägungen trafen sich
mit dem Interesse der Bundesregierung. Sie suchte die Eingliederung
in die internationale Staatengemeinschaft und in das westliche
Bündnis mit dem Nachweis zu untersetzen, dass der westdeutsche
Staat sich der jüngsten deutschen Vergangenheit stelle und zu
materieller wie ideeller Wiedergutmachung bereit sei.
Das Luxemburger Abkommen bildete in der Tat einen wichtigen
Schritt für die Herstellung internationalen Vertrauens in die
Bundesrepublik. Es schuf zudem wichtige Grundlagen für die
Entwicklung allseitiger Beziehungen zwischen Israel und
Deutschland, sei es für umfassende Handelskontakte oder
für die künftige wirtschaftliche,
wissenschaftlich-technische und militärische Kooperation. Die
Vereinbarung bestand ihren wichtigsten Test, als sich die
Bundesregierung während des Suezkrieges 1956 dem Druck seitens
der USA widersetzte, die Zahlungen an Israel zu stoppen. Im
März 1960 vereinbarten David Ben Gurion und Konrad Adenauer
bei einem Treffen im New Yorker Waldorf-Astoria Hotel
schließlich Maßnahmen für die Zeit nach Auslaufen
des Abkommens. Die Bundesrepublik wurde - nach den USA - zum
zweitwichtigsten Exportmarkt und Handelspartner Israels.
Den deutschen Beitrag für die Entwicklung des
jüdischen Staates während des ersten Jahrzehnts seiner
Existenz wertete Nachum Goldmann, bis 1977 Präsident des
Jüdischen Weltkongresses und einer der Architekten des
Luxemburger Abkommens, Mitte der 70er-Jahre: "Ohne die deutschen
Wiedergutmachungsleistungen, die in den ersten zehn Jahren nach der
Gründung Israels einsetzten, besäße der Staat kaum
über die Hälfte seiner heutigen Infrastruktur: alle
Züge, alle Schiffe, alle Elektrizitätswerke sowie ein
Großteil der Industrie sind deutschen Ursprungs."
Problemlos gestalteten sich die bilateralen Beziehungen in den
folgenden Jahren jedoch keinesfalls. Insbesondere der vom 11. April
bis 15. Dezember 1961 in Jerusalem gegen Adolf Eichmann, einen der
Hauptverantwortlichen für die Durchführung der
"Endlösung der Judenfrage" im Dritten Reich, geführte
Prozess rief sowohl der israelischen als auch der deutschen
Öffentlichkeit das Ausmaß der an den Juden begangenen
nationalsozialistischen Verbrechen ins Bewusstsein. Das Tribunal
ließ erkennen, dass mit materiellen deutschen Leistungen die
nationale wie die internationale Auseinandersetzung mit der Shoah
wie mit deutscher Schuld und fortdauernder Verantwortung keineswegs
abgeschlossen sein konnte.
Hinzu kam, dass eine Reihe offener Fragen durch das Luxemburger
Abkommen nicht beantwortet und künftigen Vereinbarungen anheim
gestellt wurde. Dazu gehörten unter anderem die Zahlung eines
Drittels der von Israel geforderten Reparationen durch die DDR, die
Entschädigung osteuropäischer
Holocaust-Überlebender, die Rückerstattung
beziehungsweise Kompensation geraubten jüdischen Eigentums
außerhalb Deutschlands, das Schicksal jüdischer
Bankguthaben und geraubter Kunstschätze sowie die
Entschädigung für Zwangsarbeiter während der
NS-Zeit. Einige der offen gebliebenen Rechtsansprüche und
Forderungen konnten erst 50 Jahre nach dem Luxemburger Abkommen
durch Kompromissvereinbarungen geregelt oder in ihrer negativen
Langzeitwirkung gemindert werden - zu einem Zeitpunkt freilich, da
viele der Opfer nationalsozialistischer Willkür nicht mehr
lebten oder bereits ein hohes Alter erreicht hatten.
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