|
|
Igal Avidan
"Auch die dunkelste Nacht endet mit einer
Morgendämmerung"
Die Feuerprobe der deutschen
Demokratie
Am 12. Mai 1965 erwarteten Hunderte von Journalisten aus aller
Welt auf einer Pressekonferenz in Bonn eine wichtige Mitteilung.
Regierungssprecher Karl-Günther von Hase verlas eine kurze
Erklärung, die in die Geschichte einging: "Die deutsche
Regierung und die israelische Regierung haben sich darauf
verständigt, diplomatische Beziehungen aufzunehmen." Zwei
Jahrzehnte nachdem im Holocaust sechs Millionen Juden durch
Deutsche ermordet wurden, war die Aufnahme diplomatischer
Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und Israel keineswegs
selbstverständlich. Seit dem Reparationsabkommen von 1953
versuchte die Adenauer-Regierung zwar, die Bundesrepublik als einen
gewandelten Staat zu präsentieren, als einen Staat, der mit
dem nationalsozialistischen "Dritten Reich" nicht mehr vergleichbar
war. Dabei kam der deutschen Israel-Politik eine besondere
Bedeutung zu. Einige Jahre zuvor hatte der amerikanische
Hochkommissar für Deutschland, John McCloy, gesagt, die Art,
wie die Deutschen sich den Juden gegenüber verhalten
würden, sei die Feuerprobe der deutschen Demokratie. Dieser
Satz galt in Bonn in der Zeit der Aufnahme der diplomatischen
Beziehungen zum Judenstaat weiterhin. Doch es gab immer wieder
Zeiten, in denen das Verhältnis zwischen den beiden Staaten
angespannt war. Im Winter 1964 beispielsweise sanken die
deutsch-israelischen Beziehungen auf solch ein beispielloses
Tief.
Geheimdienstchef Isar Har'el legte Dokumente vor, dass deutsche
Wissenschaftler bei der Entwicklung zweier neuer ägyptischer
Raketen beteiligt waren, die Israel treffen konnten. Weil die
Bundesregierung Israels Bitten, die Wissenschaftler nach
Deutschland zurückzuholen, nicht nachging, wurde der Mossad
eingeschaltet. Zwei Wissenschaftler verschwanden, andere wurden
durch Bombenbriefe verletzt, einige erhielten Drohungen.
Gleichzeitig war die Lage in Jerusalem angespannt, weil sich der
Zeitpunkt der Verjährung von NS-Schwerverbrechen näherte.
Die Morde, die in der NS-Zeit begangen worden waren, sollten laut
Bundestagsbeschluss am 8. Mai 1965 verjähren. Dies löste
im israelischen Parlament zahlreiche Proteste aus. (Am 25.
März 1965 wurde die Verjährung zunächst auf Ende
1969 verschoben, dann auf 1979 und erst danach gänzlich
aufgehoben.) Schließlich enthüllte die Presse geheime
deutsche Waffenlieferungen an Israel, was sowohl in Deutschland als
auch in der arabischen Welt für großen politischen Wirbel
sorgte. Die Bundesregierung musste reagieren. Sie bot Ägypten,
dem größten und wichtigsten arabischen Staat, an, die
Lieferungen an Jerusalem einzustellen. Doch dieses Angebot, das
dann auch umgesetzt wurde, konnte nicht verhindern, dass
Ägyptens Präsident Nasser Ende Februar 1965 als Rache
für die Waffenlieferungen an Israel den DDR-Staatschef Walter
Ulbricht offiziell nach Kairo einlud. In Bonn, wo man die
diplomatische Anerkennung der DDR jahrelang zu verhindern versucht
hatte, war man empört und beschloss daraufhin im März
1965, Israel für die Einstellung der Waffenlieferungen
finanziell zu entschädigen. Darüber hinaus bot
Bundeskanzler Erhard, auch angesichts des zunehmenden politischen
Drucks der USA, Israel die Aufnahme diplomatischer Beziehungen an.
Nun musste Israel rasch entscheiden. Am 14. März stimmte das
Kabinett nach einer vierstündigen Sitzung für die Annahme
von Erhards Angebot.
Allerdings waren die Wogen im deutsch-israelischen
Verhältnis damit noch längst nicht geglättet. Israel
stellte Bedingungen. Die deutschen Waffenlieferungen sollten
fortgesetzt werden. Bonn sollte selbst gegen die deutschen
Raketenexperten in Ägypten vorgehen. Die Verjährungsfrist
für NS-Kriegsverbrechen sollte endgültig aufgehoben
werden, und schließlich sollte die deutsche Botschaft in
Jerusalem, nicht in Tel Aviv entstehen. Deutschland lehnte die
israelischen Forderungen ab, und mit der Wahl von Rolf Pauls zum
ersten deutschen Botschafter verärgerte das Auswärtige
Amt die Israelis noch mehr. Israel wünschte sich eine
Persönlichkeit mit antifaschistischer Vergangenheit und nicht
einen ehemaligen Generalstabsoffizier und Träger des
Ritterkreuzes, der im Zweiten Weltkrieg einen Arm verloren hatte.
"Man zwingt die Israelis, ihn zu akzeptieren - womit man nicht so
sehr Bosheit dokumentiert als eine Weltfremdheit, einen Mangel an
Fingerspitzengefühl und politischer Intelligenz", schrieb Amos
Elon, damals einziger israelischer Korrespondent in Bonn, in seinem
Buch "In einem heimgesuchten Land - Berichte aus beiden
Deutschland."
Rolf Pauls war nie Mitglied der NSDAP gewesen und er war ein
Berufsdiplomat mit Erfahrung in israelischen Angelegenheiten.
Dennoch wusste er, wie heikel seine Israel-Mission war und er traf
entsprechende Entscheidungen: "Ich habe damals mit allem
Möglichen gerechnet und, um meine Familie zu sichern, eine
sehr hohe Lebensversicherung abgeschlossen", erzählte er Jahre
später. Seine Angst war nicht übertrieben. In einem
Leitartikel hatte die liberale Tageszeitung "Haaretz" einige Jahre
zuvor gefordert, keine vollwertigen diplomatischen Beziehungen mit
Deutschland aufzunehmen. In einem Absatz hieß es, man
könne die Sicherheit deutscher Diplomaten in Israel nicht
gewährleisten. Der Chefredakteur entfernte diese Passage vor
der Veröffentlichung, schickte sie an den damaligen
Außenminister Moshe Sharet.
Nun aber war Golda Meir Außenministerin und musste zusammen
mit Staatspräsident Zalman Shazar der Akkreditierungszeremonie
für Pauls beiwohnen. "Meir war sehr emotional und konnte den
emotionslosen Pragmatismus Ben Gurions bezüglich der
Deutschland-Politik nicht übernehmen", schrieb Tom Segev in
seinem Buch "Die Siebte Million". An jenem 19. August war die
Stimmung in der Jerusalemer Residenz des Staatspräsidenten
sehr angespannt. Mit ernster Miene sprach Pauls von seiner
schwierigen Aufgabe. "Wenn ich bei meinen Bemühungen um die
Gestaltung unserer beiderseitigen Beziehungen auf die wohlwollende
Unterstützung Eurer Exzellenz und Ihrer Mitarbeiter rechnen
darf, so würde dies für mich eine sehr große
Ermutigung sein." Zum Schluss überreichte er seiner "Exzellenz
und dem israelischen Volk" die besten Wünsche für eine
glückliche und erfreuliche Zukunft. Israels Staatsoberhaupt
Shazar, um Fassung ringend, blickte in die Zukunft als er sagte:
"Auch die dunkelste Nacht endet mit einer
Morgendämmerung."
Kurz danach trat Pauls aus dem Vorgarten der Residenz des
Staatspräsidenten heraus, während eine Polizeikapelle die
israelische Nationalhymne Hatikwa anstimmte. Die Klänge der
Blasinstrumente wurden jedoch immer wieder von Demonstranten
übertönt: "Schande!", schrien sie. "Schande!" 1.500
Demonstranten durchbrachen den Sperrring der 400 Polizisten und
kamen bis an den Rand des Präsidentensitzes heran. Im
Handgemenge mit der berittenen Polizei wurden Dutzende von
Menschen, darunter KZ-Überlebende, zu Boden getrampelt, andere
mit Schlagstöcken traktiert. Die aufgebrachte Menge schlug auf
das Dach der Botschafterlimousine, Steine flogen und 16 Menschen
wurden verletzt.
Einer der Demonstranten war Raul Teitelbaum, Überlebender
des Konzentrationslagers Bergen-Belsen und Jahrzehnte später
israelischer Korrespondent in Bonn. Für ihn war die Aufnahme
der diplomatischen Beziehungen "eine riesengroße Provokation"
gewesen, "als ob man einen Juden dazu zwingen würde,
Schweinefleisch zu essen und dabei seinen Genuss zu demonstrieren.
Diese Beziehungen waren zu früh, denn sie waren eine Art
'Kosher-Stempel' für Deutschland und für dessen Aufnahme
in die Weltgemeinschaft. Bis heute ist es für mich unangenehm,
die deutsche Hymne zu hören, die für mich all den
Schrecken des Krieges symbolisiert." Nach diesen blutigen Szenen
kam kein Gast mehr zum Empfang des neuen deutschen Botschafters in
einem Tel Aviver Hotel. "Ich habe daher alle Sicherheitsleute und
Fahrer hineingebeten", erzählte Pauls.
In Bonn reagierte man mit Erstaunen auf die Demonstration "von
weinenden ehemaligen KZ-Insassen, denen die deutsche Nationalhymne
zum letzten Mal in Auschwitz ans Ohr schlug". Vizekanzler Erich
Mende sprach sogar von "faschistisch-bolschewistischen Methoden".
Bundespräsident Heinrich Lübke unterbrach nicht einmal
seinen Urlaub, um das Beglaubigungsschreiben des ersten
israelischen Botschafters in Bonn, Asher Ben Nathan, entgegen zu
nehmen. Ihn vertrat Bundesratspräsident Georg August Zinn. Als
sich Lübke und Ben Nathan einige Wochen später zum ersten
Mal auf einer Messe in Bonn trafen, wartete die Presse gespannt auf
den historischen Augenblick. "Lübke kam auf mich zu, gab mir
die Hand und sagte: Warum haben sie unseren Botschafter in
Jerusalem beschimpft und mit Steinen beworfen?"
Von Nathan, einem gebürtigen Wiener, waren einige in Bonn
wenig begeistert. Zum einen war er in die geheimen
Waffenlieferungen verwickelt. Zum anderen war er nach dem Krieg als
Nazi-Jäger tätig. Nun muss-te er Alt-Nazis begegnen.
"Wenn wir von jemandem wussten, dass er irgendwie mit
Nazi-Verbrechen in Verbindung gestanden hatte, bin ich ihm
ausgewichen", erzählte Ben Nathan später. "Ich habe zum
Beispiel Hans Globke nie getroffen." Adenauers Staatssekretär
und enger Vertrauter verfasste als Ministerialrat im
Reichsinnenministerium die antisemitischen Kommentare zu den
Nürnberger Rassengesetzen.
Bald jedoch entspannten sich die deutsch-israelischen
Beziehungen. Die Verjährungsfrist für NS-Kriegsverbrechen
wurde verlängert und irgendwann völlig abgeschafft. Die
militärische Zusammenarbeit mit Israel wurde fortgesetzt. Die
deutsche Botschaft wurde in Tel Aviv errichtet und diente als
Pilgerstätte für Jeckes, deutschstämmige Juden.
Tausende von Israelis nahmen am Jugendaustauschprogramm teil und
besuchten Deutschland. 40 Jahre nach der Aufnahme der
diplomatischen Beziehungen bleiben die Worte von Rolf Pauls, der
"mit Steinen empfangen und mit Rosen verabschiedet wurde" (Avi
Primor) Vermächtnis: "Aus der deutsch-jüdischen
Vergangenheit tragen wir Verantwortung für das Schicksal
Israels, ob wir oder die Israelis das wollen oder nicht. Wir
Deutschen neigen zur Gefühlsseligkeit. Dafür ist in den
deutsch-israelischen Beziehungen kein Platz. Sie erfordern, was uns
sehr viel schwerer fällt, ein Höchstmaß an
Sensibilität. Schuld kann nicht vererbt werden, die
geschichtliche Verantwortung bleibt und geht mit den
Generationen."
Igal Avidan ist Deutschland-Korrespondent des israelischen
Nachrichtenmagazins "Jerusalem Report".
Zurück zur
Übersicht
|