Andrea Thom
Zwischen Heuchelei und Feindseligkeit
Eckdaten zum Verhältnis der DDR und
Israel
1948: Die SED-Führung unterstützt die UN-Resolution
181 vom April 1947, die die Teilung Palästinas vorsieht.
Politbüro-Mitglied Paul Merker schreibt im Februar 1948 im
"Neuen Deutschland": "Der jüdischen Bevölkerung
gehören die Sympathien und die tatkräftige Hilfe aller
fortschrittlichen Kräfte. Besonders die demokratischen
Kräfte Deutschlands haben die Verpflichtung, ihre Sympathien
und Hilfsbereitschaft zum Ausdruck zu bringen."
Otto Grotewohl, Co-Vorsitzender der SED, lehnt gegenüber
dem Gesandten der Jewish Agency, Chaim Jachil, eine individuelle
Rückgabe des durch die Nationalsozialisten "arisierten"
jüdischen Eigentums ab, spricht jedoch von der
Möglichkeit einer kollektiven Entschädigung an den zu
gründenden jüdischen Staat.
1951: Die israelische Regierung übermittelt allen vier
Besatzungsmächten Deutschlands Noten, in denen sie eine
Milliarde US-Dollar von der Bundesrepublik und 500 Millionen
US-Dollar von der DDR fordert, um die Kosten für die
Eingliederung von Holocaust-Überlebenden in den Staat Israel
zu decken. Während die Westmächte die Aufnahme direkter
deutsch-israelischer Verhandlungen befürworten, lehnt die
UdSSR Reparationszahlungen ab.
1952/1953: Das SED-Zentralkomitee fasst einen Beschluss
über die "Lehren aus dem Prozess gegen das Verschwörertum
Slansky", in dem Israel der Spionage- und Diversantentätigkeit
in den volksdemokratischen Ländern Osteuropas im Auftrag der
USA beschuldigt wird. Ferner heißt es, Paul Merker sei Leiter
einer zionistischen Agentengruppe und habe "die Entschädigung
der jüdischen Vermögen" nur gefordert, "um dem
USA-Finanzkapital das Eindringen in Deutschland zu
ermöglichen". Merker wird verhaftet und in einem Geheimprozess
1955 zu acht Jahren Zuchthaus verurteilt; 1956 wird er aus der Haft
entlassen, eine vollständige Rehabilitierung jedoch bleibt
aus.
Die durch den Slansky-Prozess ausgelöste antisemitische
Kampagne führt zur panikartigen Flucht hunderter Juden aus der
DDR, unter ihnen die Vorsitzenden nahezu aller jüdischen
Gemeinden.
1954/1955: Nach Gesprächen zwischen Diplomaten der DDR und
Israels in Moskau über die "Wiedergutmachungsfrage" lehnt die
DDR-Regierung am 28. Dezember 1955 Zahlungen an Israel
grundsätzlich ab.
1956: Während des Suezkrieges unterstützt die DDR
Ägypten; die "Dreieraggression Großbritanniens,
Frankreichs und Israels" wird scharf verurteilt. Außenminister
Lothar Bolz fordert die Bundesregierung auf, die im Luxemburger
Abkommen fixierten Zahlungen nicht an Israel, sondern an
Ägypten zu leisten.
1961: DDR-Rechtsanwalt Friedrich Karl Kaul nimmt als Beobachter
am Eichmannprozess in Jerusalem teil. Er führt Gespräche
mit dem israelischen Justizminister und dem Generalstaatsanwalt.
Seine Aktivitäten zielen vor allem auf eine Diskreditierung
der Bundesrepublik. Die DDR ist mit Nachdruck bestrebt, "die
Kontinuität deutscher Geschichte von Adolf Hitler bis Konrad
Adenauer" nachzuweisen und BRD-Staatssekretär Globke zum
Rücktritt zu veranlassen.
1965: Der DDR-Staatsratsvorsitzende Walter Ulbricht besucht
Kairo. In einer gemeinsamen Erklärung mit dem ägyptischen
Präsidenten Gamal Abdel Nasser wird betont, Israel sei "als
Speerspitze des Imperialismus" geschaffen worden. Mit Hilfe der
arabischen Staaten sucht die DDR die Hallstein-Doktrin zu
durchbrechen und internationale Anerkennung zu erlangen.
1967-1975: Alle osteuropäischen Staaten mit Ausnahme
Rumäniens brechen während des Sechstagekrieges 1967 die
Beziehungen zu Israel ab und verstärken ihre antiisraelische
Polemik. Die DDR - 1969 von Irak, Ägypten, Syrien, Sudan und
Südjemen diplomatisch anerkannt - unterstützt auf
internationalem Parkett mit Vehemenz die Positionen der PLO und der
arabischen Staaten im Nahostkonflikt. Israel spricht sich
anlässlich der Aufnahme beider deutscher Staaten in die UNO
1973 gegen den Beitritt der DDR aus.
Im November 1975 stimmt die DDR der UN-Resolution zu, in der der
Zionismus als "eine Form von Rassismus und Rassendiskriminierung"
verurteilt wird.
1976: Die DDR verbietet ostdeutschen Außenhandelsfirmen
jeglichen Handel mit Israel.
1982 und 1987/88: Während des Libanonkrieges und der ersten
Intifada solidarisiert sich die DDR mit der PLO; die
antiisraelische Propaganda erreicht einen Höhepunkt. Israel
wertet die politische und militärische Unterstützung der
Palästinenser durch die DDR als "feindlichen Akt".
1988: Der Präsident des World Jewish Congress, Edgar M.
Bronfman, weilt auf Einladung Erich Honeckers in Berlin. Er setzt
sich für die Normalisierung der Beziehungen zwischen der DDR
und Israel sowie für eine Regelung der Wiedergutmachungsfragen
ein. An den staatlichen Gedenkveranstaltungen in der DDR, die aus
Anlass des 50. Jahrestages der Pogromnacht von 1938
durchgeführt werden, nehmen offizielle Gäste aus Israel
teil.
1989: DDR-Staatssekretär für Kirchenfragen
Löffler reist im Januar auf Einladung des World Jewish
Congress und der Gedenkstätte Yad Vashem nach Israel. In
Jerusalem trifft er unter anderem mit dem israelischen
Religionsminister Hammer zusammen.
Der Fall der Berliner Mauer am 9. November wird von israelischer
Seite begrüßt. Ministerpräsident Schamir bringt
jedoch zugleich die "Zweifel und Ängste des jüdischen
Volkes" angesichts der sich abzeichnenden deutschen
Wiedervereinigung zum Ausdruck.
1990: Vertreter der Außenministerien Israels und der DDR
führen in Kopenhagen Gespräche über die Aufnahme
diplomatischer Beziehungen. Israel fordert die Begleichung des
"dritten Drittels" der Reparationszahlungen, veränderte
Positionen zum Zionismus sowie die Einstellung der
militärischen Unterstützung für
Palästinenser-Organisationen. Die Verhandlungen werden
allerdings nach der dritten Runde erfolglos abgebrochen.
Am 12. April erklären die Abgeordneten aller Fraktionen der
frei gewählten Volkskammer einstimmig: "Wir bitten die Juden
in aller Welt um Verzeihung. Wir bitten das Volk in Israel um
Verzeihung für Heuchelei und Feindseligkeit der offiziellen
DDR-Politik gegenüber dem Staat Israel und für die
Verfolgung und Entwürdigung jüdischer Mitbürger auch
nach 1945 in unserem Land. (...) Wir erklären, uns um die
Herstellung diplomatischer Beziehungen und um vielfältige
Kontakte zum Staat Israel bemühen zu wollen."
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