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Das Parlament
Nr. 15 / 11.04.2005

 
Bundeszentrale für politische Bildung
 

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Barbara Minderjahn

Bericht aus einer fernen und zugleich nahen Perspektive

Israels erster Botschafter in Deutschland hat seine Erinnerungen geschrieben

Was kommt dabei heraus, wenn der erste israelische Botschafter in Deutschland, Asher Ben-Natan, ein Buch über seine Erfahrungen in Deutschland schreibt? Zunächst einmal ein Geschichtsbuch, bei dem es nicht nur um die diplomatischen Beziehungen zwischen Deutschland und Israel geht. Asher Ben-Natan beginnt seine Erzählung, noch bevor der Staat Israel überhaupt gegründet wurde. Eindrucksvoll beschreibt er die ersten Monate nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, als Hunderte von Flüchtlingen aus Europa versuchten, illegal in Palästina einzuwandern. Das Gebiet stand zu dieser Zeit noch unter dem Mandat der britischen Regierung, und diese versuchte, die jüdische Einwanderung zu unterbinden, weil die dort lebende arabische Bevölkerung sich durch die vielen neuen Siedler in ihren angestammten Rechten bedroht sah. Doch die Juden kamen, weil sie kommen mussten. Sie hatten in Europa keine Heimat mehr. Vor allem in Osteuropa wurden die Überlebenden des Holocausts auch nach dem Zweiten Weltkrieg noch immer verfolgt. "Die Überlebenden waren nach dem Krieg in vielen Ländern nicht mehr willkommen, aber nur in Osteuropa kam es zu sich pogromartig steigernden Hassausbrüchen", erklärt Asher Ben-Natan in seinem Buch, und weiter schreibt er: "Die ersten massiven antijüdischen Übergriffe gab es in Krakau. Am 11. August 1945 kam es zu Ausschreitungen, eine jüdische Schule wurde durch Brandstiftung zerstört. (...) In einem Flugblatt erklärte die faschistische NSZ am 25. März 1945, dass es ein Zeichen von Patriotismus sei, Juden zu töten. (...) Sie erzählen uns, wie es passiert ist. Sie erzählen uns, wie mehrere tausend Männer, Frauen und Kinder, Zivilisten und Uniformierte, von morgens bis abends in Raserei durch die Straßen zogen und ein Freudenfest abhielten, als ihre ?Arbeit' getan war (...). Auch heute noch, fast 60 Jahre nach den Ereignissen, frage ich mich, wieso die Feindseligkeiten gegen Juden und dann gegen die Überlebenden viele nichtjüdische Menschen so ausfüllen konnte. Unsere Antwort damals hieß: Bricha. Flucht. Wir wollten den Juden Europas, vor allem jenen aus Osteuropa, neue Hoffnung geben. Diese Hoffnung hatte einen Namen: Eretz Israel."

Bis zum Sommer 1947 leitete Asher Ben-Natan die Organisation "Bricha" in Österreich, die es sich zur Aufgabe gemacht hatte, den europäischen Juden bei ihrer illegalen Flucht nach Palästina zu helfen. Von Osteuropa aus wurden die Überlebenden zum Beispiel über Österreich und Italien in das Mandatsgebiet geschleust. Rund 200.000 Immigranten gelang es, so noch vor Gründung des Israelischen Staates zu fliehen. Asher Ben-Natan schildert in den ersten Kapiteln seines Buches die wichtigsten Ereignisse der jüdischen Geschichte zwischen dem Zweiten Weltkrieg und der Gründung des jüdischen Staates. Und zwar so, dass der Leser nicht nur erfährt, was er wissen muss, sondern auch fühlt, was die Erfahrungen bei Asher Ben-Natan ausgelöst haben: Da war zum Beispiel der absolute Wille, für die Interessen des israelischen Volkes zu kämpfen. "Ich wusste, dass ich für die Bricha und die jüdischen Flüchtlinge alles in meiner Macht Stehende getan hatte. Um alliierte Regeln und Formalitäten hatte ich mich um der jüdischen Überlebenden willen nicht immer beziehungsweise nur selten geschert." Vor allem die Briten hat Asher Ben-Natan in diesen Jahren eher als Feinde, denn als Freunde erlebt. Den Umgang mit den Flüchtlingen auf dem Schiff "Exodus" führt er nur als eines von vielen Beispielen an: "Die Haganah hatte das Schiff - einen ehemaligen Luxusdampfer - Anfang 1947 in den USA erworben. Bereits im Hafen von Sète hatten die Briten die Reparatur des Schiffes zu verhindern versucht, während der Überfahrt begleiteten britische Kriegsschiffe und Zerstörer die Exodus. Am Abend des 17. Juli war die Exodus nah an die palästinensische Küste gefahren, da für den nächsten Morgen das Anlaufen eines flachen Strandes geplant war (...). In der Nacht griff die britische Flotte das Schiff an, obwohl es noch in internationalen Gewässern ankerte." Doch nicht nur, dass die Briten die jüdische Einwanderung nach Palästina mit allen Mitteln versuchten zu verhindern. Auch später noch versagten sie dem Volk ihre Hilfe. "Im Oktober 1955 trafen bereits die ersten Waffenlieferungen in Ägypten ein, was in Israel natürlich mit größter Besorgnis beobachtet wurde. Waffenlieferungen an unser Land wurden immer noch von einer 1950 von den USA; Großbritannien und Frankreich gebildeten Kommission blockiert. Diese ?Near East Armament Commission' hatte festgelegt, Waffenlieferungen an den Nahen Osten dürften nur mit Zustimmung aller drei Partner erfolgen - um ein militärisches Gleichgewicht in der Region zu garantieren. Großbritannien lieferte jedoch munter weiter seine Waffen an den Irak und nach Jordanien ..." Erst beim Suez-Feldzug 1956 stellt sich die Kolonialmacht auf die Seite der jüdischen Bevölkerung. Zu diesem Zeitpunkt existiert bereits der Israelische Staat, aber noch keine offiziellen diplomatischen deutsch-israelischen Beziehungen. Sie entstanden 1965, als bekannt wurde, dass Deutschland trotz gutem Verhältnis zur arabischen Welt Waffen nach Israel geliefert hatte.

Auch von diesen Ereignissen berichtet Asher Ben-Natan aus dem Zentrum der Ereignisse: Der erste Botschafter in Deutschland war zwischen 1956 und 1959 Beauftragter des Verteidigungsministeriums in Europa und Leiter der Einkaufskommission in Frankreich sowie von 1959 bis 1965 Generaldirektor des Verteidigungsministeriums. Asher Ben-Natan nahm also an den Geheimtreffen teil und erzählt in seinem Buch davon. Interessanter als dieses Insiderwissen mag jedoch das sein, was der Leser über die deutsche Haltung zu jener Zeit erfährt, und zwar aus einer fernen und zugleich nahen Perspektive. Asher Ben-Natan kennt Deutschland und seine Menschen. Er hat sie als Nazis erlebt, als diejenigen, die ihre Vergangenheit am liebsten verdrängen würden, und die, die eine Verpflichtung spüren, zu helfen: "Die folgenden Geheimtreffen und späteren Äußerungen von Strauß zeigten, dass er ein typischer Vertreter seiner Generation war. Er war befangen im Umgang mit der Vergangenheit und sich seiner eigenen Geschichte durchaus bewusst, auch wenn er diese nicht kritisch hinterfragte. Innenpolitisch war er der Ansicht, es müsse einen Schlussstrich unter die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit geben, außenpolitisch begriff er den Staat Israel als wichtigen Partner in einer Region, die von der Sowjetunion dominiert war."

Die Vorgeschichte hilft dem Leser zu verstehen, in welcher politischen und emotionalen Atmosphäre die Annäherung zwischen Deutschland und Israel stattfand. Natürlich erzählt der Autor die Geschichte aus seiner persönlichen Wahrnehmung heraus. Die Biografie lebt von der Persönlichkeit des Autors und seiner Zeitgenossen und zeigt, was sie in einer so wichtigen Zeit geleistet haben. So haben seine Erfahrungen und Kenntnisse mit und über Deutschland den gebürtigen Wiener Asher Ben-Natan zum Realisten, nicht zum Pessimisten gemacht. Als er 1965 zum Botschafter berufen wurde, kam ihm dies und seine, von anderen auch als Sturheit beschriebene Art - "ich hatte nie auf Diplomatie, sondern immer auf Ehrlichkeit und Chuzpe gesetzt" - zu Gute. "Ich hatte schon vorher und im Gegensatz zu meiner Frau beschlossen, Deutsch zu sprechen, ich verstand es als Sprache Goethe, Heines, Thomas Manns und Einsteins. Deutsch war auch die Sprache Herzls und der Zionistenkongresse gewesen, und ich wollte das Deutsche nicht von den Nationalsozialisten okkupiert wissen, auch wenn sie die Sprache in mancherlei Hinsicht verändert hatten."

Ben-Natan versuchte beispielsweise, die Interessen Israels und der Juden in Deutschland gleichermaßen zu vertreten, was auch zu dieser Zeit schon nicht selbstverständlich war. "Viele Juden in Israel und der außerdeutschen Diaspora waren der Meinung, dass es nach der Shoah keine jüdischen Gemeinden in Deutschland geben dürfe. Es hatte sogar Sitzungen des Wold Jewish Congress gegeben, an denen jüdische Gemeinden der Bundesrepublik nicht hatten teilnehmen können. (...) Ich war selbstverständlich der Meinung, dass Juden sich zuerst in Israel niederlassen sollten, aber ich verstand gut, dass überlebende Juden, die nach dem Krieg als DPs in Deutschland hängen geblieben waren und sich dort mühsam eine neue Existenz aufgebaut hatten, nicht noch einmal die Kraft aufbrachten, neu anzufangen." Gleichzeitig erzählt er in seinem Buch, was er "als Botschafter niemals öffentlich sagte", nämlich wie emotional er und seine Frau sich auf persönlicher Ebene Deutschland näherten "Erika erlebte einmal einen für sie schrecklichen Moment auf dem Markt in Bonn, als sie an einem Stand das Gemüse anfasste und dessen Qualität somit eingehend begutachtete, wie es in Israel üblich war. Die Verkäuferin blaffte sie an: ?Das ist unhygienisch, was Sie das machen!' Erika entgegnete in ruhigem Ton: ?Sie haben seinerzeit auch noch hygienisch gemordet.' Es herrschte Stille, als sie sich umdrehte und nach Hause ging."

Gerade solche Einblicke machen das Buch spannend. Sie sind nicht selbstverständlich, denn auch ein ehemaliger Botschafter kann sich angreifbar machen, wenn er persönliche Haltung zeigt. Gepaart mit der Schilderung historischer Ereignisse und der Begegnungen mit Politikern wie Adenauer, Erhard oder Kiesinger trägt das Persönliche dazu bei, Geschichte spürbar zu machen. Wer die Biografie liest, weiß nicht nur etwas über das deutsch-israelische Verhältnis, er versteht auch mehr davon.


Asher Ben-Natan

Brücken bauen - aber nicht vergessen.

Als erster Botschafter Israels in der Bundesrepublik.

Droste-Verlag, Düsseldorf 2005.

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