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Barbara Minderjahn
Bericht aus einer fernen und zugleich nahen
Perspektive
Israels erster Botschafter in Deutschland hat
seine Erinnerungen geschrieben
Was kommt dabei heraus, wenn der erste israelische Botschafter
in Deutschland, Asher Ben-Natan, ein Buch über seine
Erfahrungen in Deutschland schreibt? Zunächst einmal ein
Geschichtsbuch, bei dem es nicht nur um die diplomatischen
Beziehungen zwischen Deutschland und Israel geht. Asher Ben-Natan
beginnt seine Erzählung, noch bevor der Staat Israel
überhaupt gegründet wurde. Eindrucksvoll beschreibt er
die ersten Monate nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, als
Hunderte von Flüchtlingen aus Europa versuchten, illegal in
Palästina einzuwandern. Das Gebiet stand zu dieser Zeit noch
unter dem Mandat der britischen Regierung, und diese versuchte, die
jüdische Einwanderung zu unterbinden, weil die dort lebende
arabische Bevölkerung sich durch die vielen neuen Siedler in
ihren angestammten Rechten bedroht sah. Doch die Juden kamen, weil
sie kommen mussten. Sie hatten in Europa keine Heimat mehr. Vor
allem in Osteuropa wurden die Überlebenden des Holocausts auch
nach dem Zweiten Weltkrieg noch immer verfolgt. "Die
Überlebenden waren nach dem Krieg in vielen Ländern nicht
mehr willkommen, aber nur in Osteuropa kam es zu sich pogromartig
steigernden Hassausbrüchen", erklärt Asher Ben-Natan in
seinem Buch, und weiter schreibt er: "Die ersten massiven
antijüdischen Übergriffe gab es in Krakau. Am 11. August
1945 kam es zu Ausschreitungen, eine jüdische Schule wurde
durch Brandstiftung zerstört. (...) In einem Flugblatt
erklärte die faschistische NSZ am 25. März 1945, dass es
ein Zeichen von Patriotismus sei, Juden zu töten. (...) Sie
erzählen uns, wie es passiert ist. Sie erzählen uns, wie
mehrere tausend Männer, Frauen und Kinder, Zivilisten und
Uniformierte, von morgens bis abends in Raserei durch die
Straßen zogen und ein Freudenfest abhielten, als ihre ?Arbeit'
getan war (...). Auch heute noch, fast 60 Jahre nach den
Ereignissen, frage ich mich, wieso die Feindseligkeiten gegen Juden
und dann gegen die Überlebenden viele nichtjüdische
Menschen so ausfüllen konnte. Unsere Antwort damals hieß:
Bricha. Flucht. Wir wollten den Juden Europas, vor allem jenen aus
Osteuropa, neue Hoffnung geben. Diese Hoffnung hatte einen Namen:
Eretz Israel."
Bis zum Sommer 1947 leitete Asher Ben-Natan die Organisation
"Bricha" in Österreich, die es sich zur Aufgabe gemacht hatte,
den europäischen Juden bei ihrer illegalen Flucht nach
Palästina zu helfen. Von Osteuropa aus wurden die
Überlebenden zum Beispiel über Österreich und
Italien in das Mandatsgebiet geschleust. Rund 200.000 Immigranten
gelang es, so noch vor Gründung des Israelischen Staates zu
fliehen. Asher Ben-Natan schildert in den ersten Kapiteln seines
Buches die wichtigsten Ereignisse der jüdischen Geschichte
zwischen dem Zweiten Weltkrieg und der Gründung des
jüdischen Staates. Und zwar so, dass der Leser nicht nur
erfährt, was er wissen muss, sondern auch fühlt, was die
Erfahrungen bei Asher Ben-Natan ausgelöst haben: Da war zum
Beispiel der absolute Wille, für die Interessen des
israelischen Volkes zu kämpfen. "Ich wusste, dass ich für
die Bricha und die jüdischen Flüchtlinge alles in meiner
Macht Stehende getan hatte. Um alliierte Regeln und
Formalitäten hatte ich mich um der jüdischen
Überlebenden willen nicht immer beziehungsweise nur selten
geschert." Vor allem die Briten hat Asher Ben-Natan in diesen
Jahren eher als Feinde, denn als Freunde erlebt. Den Umgang mit den
Flüchtlingen auf dem Schiff "Exodus" führt er nur als
eines von vielen Beispielen an: "Die Haganah hatte das Schiff -
einen ehemaligen Luxusdampfer - Anfang 1947 in den USA erworben.
Bereits im Hafen von Sète hatten die Briten die Reparatur des
Schiffes zu verhindern versucht, während der Überfahrt
begleiteten britische Kriegsschiffe und Zerstörer die Exodus.
Am Abend des 17. Juli war die Exodus nah an die
palästinensische Küste gefahren, da für den
nächsten Morgen das Anlaufen eines flachen Strandes geplant
war (...). In der Nacht griff die britische Flotte das Schiff an,
obwohl es noch in internationalen Gewässern ankerte." Doch
nicht nur, dass die Briten die jüdische Einwanderung nach
Palästina mit allen Mitteln versuchten zu verhindern. Auch
später noch versagten sie dem Volk ihre Hilfe. "Im Oktober
1955 trafen bereits die ersten Waffenlieferungen in Ägypten
ein, was in Israel natürlich mit größter Besorgnis
beobachtet wurde. Waffenlieferungen an unser Land wurden immer noch
von einer 1950 von den USA; Großbritannien und Frankreich
gebildeten Kommission blockiert. Diese ?Near East Armament
Commission' hatte festgelegt, Waffenlieferungen an den Nahen Osten
dürften nur mit Zustimmung aller drei Partner erfolgen - um
ein militärisches Gleichgewicht in der Region zu garantieren.
Großbritannien lieferte jedoch munter weiter seine Waffen an
den Irak und nach Jordanien ..." Erst beim Suez-Feldzug 1956 stellt
sich die Kolonialmacht auf die Seite der jüdischen
Bevölkerung. Zu diesem Zeitpunkt existiert bereits der
Israelische Staat, aber noch keine offiziellen diplomatischen
deutsch-israelischen Beziehungen. Sie entstanden 1965, als bekannt
wurde, dass Deutschland trotz gutem Verhältnis zur arabischen
Welt Waffen nach Israel geliefert hatte.
Auch von diesen Ereignissen berichtet Asher Ben-Natan aus dem
Zentrum der Ereignisse: Der erste Botschafter in Deutschland war
zwischen 1956 und 1959 Beauftragter des Verteidigungsministeriums
in Europa und Leiter der Einkaufskommission in Frankreich sowie von
1959 bis 1965 Generaldirektor des Verteidigungsministeriums. Asher
Ben-Natan nahm also an den Geheimtreffen teil und erzählt in
seinem Buch davon. Interessanter als dieses Insiderwissen mag
jedoch das sein, was der Leser über die deutsche Haltung zu
jener Zeit erfährt, und zwar aus einer fernen und zugleich
nahen Perspektive. Asher Ben-Natan kennt Deutschland und seine
Menschen. Er hat sie als Nazis erlebt, als diejenigen, die ihre
Vergangenheit am liebsten verdrängen würden, und die, die
eine Verpflichtung spüren, zu helfen: "Die folgenden
Geheimtreffen und späteren Äußerungen von
Strauß zeigten, dass er ein typischer Vertreter seiner
Generation war. Er war befangen im Umgang mit der Vergangenheit und
sich seiner eigenen Geschichte durchaus bewusst, auch wenn er diese
nicht kritisch hinterfragte. Innenpolitisch war er der Ansicht, es
müsse einen Schlussstrich unter die Auseinandersetzung mit der
Vergangenheit geben, außenpolitisch begriff er den Staat
Israel als wichtigen Partner in einer Region, die von der
Sowjetunion dominiert war."
Die Vorgeschichte hilft dem Leser zu verstehen, in welcher
politischen und emotionalen Atmosphäre die Annäherung
zwischen Deutschland und Israel stattfand. Natürlich
erzählt der Autor die Geschichte aus seiner persönlichen
Wahrnehmung heraus. Die Biografie lebt von der Persönlichkeit
des Autors und seiner Zeitgenossen und zeigt, was sie in einer so
wichtigen Zeit geleistet haben. So haben seine Erfahrungen und
Kenntnisse mit und über Deutschland den gebürtigen Wiener
Asher Ben-Natan zum Realisten, nicht zum Pessimisten gemacht. Als
er 1965 zum Botschafter berufen wurde, kam ihm dies und seine, von
anderen auch als Sturheit beschriebene Art - "ich hatte nie auf
Diplomatie, sondern immer auf Ehrlichkeit und Chuzpe gesetzt" - zu
Gute. "Ich hatte schon vorher und im Gegensatz zu meiner Frau
beschlossen, Deutsch zu sprechen, ich verstand es als Sprache
Goethe, Heines, Thomas Manns und Einsteins. Deutsch war auch die
Sprache Herzls und der Zionistenkongresse gewesen, und ich wollte
das Deutsche nicht von den Nationalsozialisten okkupiert wissen,
auch wenn sie die Sprache in mancherlei Hinsicht verändert
hatten."
Ben-Natan versuchte beispielsweise, die Interessen Israels und
der Juden in Deutschland gleichermaßen zu vertreten, was auch
zu dieser Zeit schon nicht selbstverständlich war. "Viele
Juden in Israel und der außerdeutschen Diaspora waren der
Meinung, dass es nach der Shoah keine jüdischen Gemeinden in
Deutschland geben dürfe. Es hatte sogar Sitzungen des Wold
Jewish Congress gegeben, an denen jüdische Gemeinden der
Bundesrepublik nicht hatten teilnehmen können. (...) Ich war
selbstverständlich der Meinung, dass Juden sich zuerst in
Israel niederlassen sollten, aber ich verstand gut, dass
überlebende Juden, die nach dem Krieg als DPs in Deutschland
hängen geblieben waren und sich dort mühsam eine neue
Existenz aufgebaut hatten, nicht noch einmal die Kraft aufbrachten,
neu anzufangen." Gleichzeitig erzählt er in seinem Buch, was
er "als Botschafter niemals öffentlich sagte", nämlich
wie emotional er und seine Frau sich auf persönlicher Ebene
Deutschland näherten "Erika erlebte einmal einen für sie
schrecklichen Moment auf dem Markt in Bonn, als sie an einem Stand
das Gemüse anfasste und dessen Qualität somit eingehend
begutachtete, wie es in Israel üblich war. Die
Verkäuferin blaffte sie an: ?Das ist unhygienisch, was Sie das
machen!' Erika entgegnete in ruhigem Ton: ?Sie haben seinerzeit
auch noch hygienisch gemordet.' Es herrschte Stille, als sie sich
umdrehte und nach Hause ging."
Gerade solche Einblicke machen das Buch spannend. Sie sind nicht
selbstverständlich, denn auch ein ehemaliger Botschafter kann
sich angreifbar machen, wenn er persönliche Haltung zeigt.
Gepaart mit der Schilderung historischer Ereignisse und der
Begegnungen mit Politikern wie Adenauer, Erhard oder Kiesinger
trägt das Persönliche dazu bei, Geschichte spürbar
zu machen. Wer die Biografie liest, weiß nicht nur etwas
über das deutsch-israelische Verhältnis, er versteht auch
mehr davon.
Asher Ben-Natan
Brücken bauen - aber nicht vergessen.
Als erster Botschafter Israels in der Bundesrepublik.
Droste-Verlag, Düsseldorf 2005.
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