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Kinan Jäger
Eine subtile Frage der Balance
Die Araber als "Störfaktor" in den
deutsch-israelischen Beziehungen
Das Verhältnis der Bundesrepublik
Deutschland zum Staate Israel gilt heute als durchaus
freundschaftlich. Nicht immer jedoch war es so freundschaftlich,
wie offiziell bekundet. Insbesondere dann nicht, wenn die Deutschen
versuchten, ihre Beziehungen zur arabischen Seite aufzubessern.
Zwei Punkte lassen sich hier als permanente "Störelemente"
für die deutsch-israelischen Beziehungen erkennen:
Deutschlands Versuch, Erdöllieferungen zu sichern und
Waffenverkäufe in die arabische Welt zu tätigen sowie
Deutschlands Verhältnis zu den Palästinensern.
Einerseits dem Staat Israel
historisch-moralisch gegenüber in die Verantwortung genommen,
andererseits wirtschaftliche Interessen gegenüber der
arabischen Welt wahrnehmend, fiel es der Bonner Außenpolitik
extrem schwer, einen geeigneten Standpunkt zu finden. Eine
Spagatpolitik wurde erforderlich, in der immer wieder
Rückschläge auftraten. Jeglicher Einsatz zugunsten der
arabischen Seite wurde von der israelischen als Verrat bezeichnet -
ein Verrat an der sich aus dem Holocaust ergebenden Verpflichtung
gegenüber dem jüdischen Volk. Die Deutschen - so der
Vorwurf aus Jerusalem - würden ihre historische Schuld
abwälzen und sich von Interessen an arabischen
Öllieferungen und eigenen Waffenverkäufen eher leiten
lassen als durch die Gebote der Sühne.
Wurde also die Moralpolitik tatsächlich
der Realpolitik untergeordnet? In der Retrospektive ergibt sich ein
durchwachsenes Bild: Bis zum Sechs-Tage-Krieg wurden die Politik
Israels und sein anfänglicher Kampf ums physische
Überleben unkritisch akzeptiert, sogar gewürdigt. Geheime
Waffenlieferungen sollten die Existenz des Staates Israel sichern.
1965 flog der Waffenhandel auf. Heftige diplomatische Reaktionen
folgten. Der ägyptische Staatspräsident Nasser übte
politische Vergeltung und empfing den Staatschef der DDR, Walter
Ulbricht, offiziell und mit allen militärischen Ehren in
Kairo. Die DDR war damit diplomatisch anerkannt worden - ein
Vorgang, der Bonn massiv verärgerte. Die Bundesregierung
verzichtete auf die Anwendung der Hallstein-Doktrin, die einen
Abbruch der diplomatischen Beziehungen zu Ägypten vorgesehen
hätte. Statt dessen wurde noch im selben Jahr der Staat Israel
diplomatisch anerkannt - ein Schritt, der aus Sicht vieler
Deutscher längst überfällig war. Für die
arabische Seite hingegen, die Israel als ihren Todfeind
betrachtete, lag darin jedoch ein besonderer Affront: Bis auf
wenige Ausnahmen brachen die Araber ihre diplomatischen Beziehungen
zu Bonn für mehrere Jahre komplett ab.
Die jungen Beziehungen zwischen der
Bundesrepublik und Israel erhielten bereits früh Risse - die
"uneingeschränkte Solidarität" erfuhr schnell
Einbrüche. Verantwortlich hierfür war einerseits die
anhaltende Besatzungspolitik Israels, die seit 1967
(Sechs-Tage-Krieg) den Nahen Osten in Spannung hielt und für
die palästinensisch-arabische Flüchtlingsfrage keinerlei
Perspektive bot. Erschwerend kam andererseits die Ölkrise im
Gefolge des Yom-Kippur-Krieges von 1973 hinzu. Die arabischen
Staaten drohten, jedem Staat, der Israel unterstützen
würde, die Öllieferungen einzuschränken. In der
Wirtschaft wurden dramatische Einbrüche verzeichnet. Aus
realpolitischer Sicht konnte nur eines die Konsequenz sein: Ein
subtiles Abrücken von der stark Israel verbundenen Position
und eine Zuwendung in Richtung der Araber und ihrer Interessen.
Denn die Abhängigkeit von arabischem Erdöl, das
seinerzeit einen Anteil von etwa 50 Prozent der bundesdeutschen
Gesamtrohöleinfuhren ausmachte, war erdrückend. Zunehmend
wurden im Westen Zugeständnisse in der
Palästinenser-Frage gemacht, da sich alle Araber mit ihr
identifizierten. Zwar haftete den Palästinensern in der
Bundesrepublik nach dem verheerenden Anschlag auf die israelische
Olympiamannschaft in München 1972 das Stigma von Terroristen
an, jedoch waren die palästinensische "Sache" und ihr
Befreiungskampf seither weiträumig bekannt.
Im September 1974, nach der Rede des
PLO-Chefs Yassir Arafat vor der UN-Generalversammlung, kam es zum
Eklat. Die Bundesrepublik Deutschland forderte als erstes Land der
westlichen Welt, das "Selbstbestimmungsrecht des
palästinensischen Volkes" anzuerkennen. Als Konsequenz dessen
müssten die Palästinenser selber entscheiden, ob sie "auf
dem von Israel zu räumenden Gebiet eine eigene Autorität
errichten" wollen "oder eine andere Lösung wählen".
Israel, das die Palästinenser nicht als eigenes Volk
anzuerkennen bereit war, sah sich durch die Forderung Bonns
maßlos enttäuscht. Das "Land der Täter" habe mit
dieser Forderung seine historisch-moralische Verantwortung aufs
gröbste verletzt.
Verkannt wurde hierbei, dass es nicht die
Absicht der Bundesregierung war, dem Staat Israel damit zu schaden.
Vielmehr sollte über den Umweg der Palästinenser darauf
hingewiesen werden, dass auch in Deutschland das
Selbstbestimmungsrecht bis dato nicht für alle Deutschen
umgesetzt worden sei.
Die "Verbundenheit" mit Israel blieb, wie
auch das folgende Beispiel zeigt: Anfang der 80er-Jahre platzte ein
milliardenschwerer Verkauf von deutschen Leopard II. Panzern an die
Saudis, die sich durch die sowjetische Afghanistan-Invasion bedroht
fühlten. Saudi Arabien, der erklärte Gegner Israels,
dürfe keinesfalls mit deutschen Waffen beliefert werden, so
seinerzeit die Mehrheitsmeinung im Deutschen Bundestag. Kanzler
Helmut Schmidt fuhr 1982 also mit leeren Händen zum
Staatsbesuch nach Riad. Aufgrund der angespannten
Energieversorgungslage zu Beginn des Iran-Irak-Krieges galt es
jedoch, Saudi-Arabien als Freund zu halten. Ohne Panzer im
Gepäck konnte Schmidt den Saudis nur Konzessionen in der
Palästinenser-Frage anbieten. Man könne - so Schmidt - im
Nahost-Konflikt nicht einer Seite alle Moral zubilligen und bei der
anderen Seite "die Achseln zucken".
Zunehmende militärische
Auseinandersetzungen im Nahen Osten im Juni 1982 entfachten in
Deutschland einen erneuten Sturm der Entrüstung bezüglich
israelischer Politik - diesmal im Libanon. Nachdem Christenmilizen
unter Duldung der israelischen Armee in zwei palästinensischen
Flüchtlingslagern (Sabra und Shatilla) ein Massaker an
mehreren hundert Menschen angerichtet hatten, wurde der israelische
Verteidigungsminister Ariel Sharon gedrängt, von seinem Amt
zurückzutreten. Viele Deutsche fragten sich seinerzeit, wie
ein Volk, das selber den Holocaust erfahren hatte, eine solche
Vorgehensweise seiner Armee tolerieren konnte. Vergleiche der
israelischen Armee mit den Nazis wurden insbesondere in
linksradikalen Kreisen der Bundesrepublik erstellt. Konnte ein
Staat wie Israel, in dem viele Opfer des Holocausts ihre Zuflucht
gefunden hatten, von Deutschen, den "ehemaligen Tätern", in
seiner Politik kritisiert werden? Andere argumentierten, dass
gerade die Deutschen - eben wegen der Ereignisse von Auschwitz -
die Verpflichtung hätten, auf Menschenrechtsverletzungen
ausdrücklich hinzuweisen, dies auch im Falle
Israels.
Die Diskussion darüber sollte nicht
abreißen. Mit Beginn der ersten Intifada liefen vermehrt
Bilder von angeschossenen jugendlichen Palästinensern
über die Bildschirme, die auf israelische Soldaten Steine
geworfen hatten. Der Bundestag debattierte im Dezember 1987
über das Thema, wobei die Frage aufgeworfen wurde, ob die
Palästinenser als "Opfer der Opfer" zu betrachten seien. Mit
den Worten, es seien gierige Gleichungen unterwegs, die den
Holocaust verharmlosen wollten, brach Otto Schily seine Rede mit
Tränen in den Augen vorzeitig am Rednerpult ab. "Das Blut
lässt sich nicht abwaschen."
Der Beginn des Nahost-Friedensprozesses 1993
brachte auch für die bundesdeutsche Nahost-Politik einen
Wandel. Das Palästinenser-Problem verlor seither zunehmend
seine Bedeutung als Konfrontationspunkt innerhalb der
deutsch-israelischen Beziehungen. Heute nimmt Deutschland
gegenüber der PLO und im Nahost-Friedensprozess eine
europäische Vorreiterrolle ein. Als erstes EU-Land
eröffnete es in Jericho ein Verbindungsbüro und setzte in
der EU-Erklärung von Berlin die Forderung nach einem
"unabhängigen" und "eigenständigen Staat Palästina"
durch. Deutschland ist heute auch zum wichtigsten Geldgeber und
größten Nettofinanzier für die
Palästinensischen Autonomiegebiete geworden, die umgerechnet
auf ihre eigene Bevölkerungszahl die höchsten deutschen
Entwick-lungszuwendungen erhalten. Bundestagspräsident
Wolfgang Thierse brachte es am 23. Mai 2002 im Deutschen Bundestag
auf den Punkt: Bezug nehmend auf den Friedensprozess in Nahost
erklärte er, dass die Deutschen "…diese
Friedensinitiative nachdrücklich unterstützen, weil wir
vor dem Hintergrund unserer Geschichte eine besondere, eine
doppelte Verantwortung tragen: für Israel und für die
Palästinenser".
Deutsche Waffenverkäufe verlaufen heute
offenbar problemlos an beide Seiten. Israel erhält mehrere
U-Boote kostenlos aus deutschen Beständen, gleichzeitig werden
den Vereinigten Arabischen Emiraten Fuchs-Spürpanzer
angeboten. Auch beim Öl hat sich einiges verändert:
Deutsche Rohöleinfuhren aus dem arabischen Raum sind auf etwa
zwölf Prozent zurückgefahren worden, der größte
Teil deutscher Energie kommt heute aus Norwegen,
Großbritannien und Russland.
Dr. Kinan Jäger, geboren in Damaskus,
ist Lehrbeauftragter für Politische Wissenschaft an der
Universität Bonn.
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