|
|
Shlomo Spiro
"Für Israels Sicherheit paktieren wir sogar
mit dem Teufel"
50 Jahre deutsch-israelische Beziehungen der
Nachrichtendienste
Im Winter 1958 fuhr ein kleines Auto vor dem
Hauptquartier des Bundesnachrichtendienstes in Pullach bei
München vor, schmutzig und mit Schlamm bespritzt von der
neunstündigen Fahrt von Paris. Nur wenige Augenzeugen waren
während dieses historischen Augenblickes zugegen, als ein
kleiner, elegant gekleideter Herr dem Wagen entstieg und von dem
groß gewachsenen Chef des BND begrüßt wurde.
Der Besucher war Isser Harel, der Chef des
israelischen Mossad. Er wurde empfangen von General Reinhard
Gehlen, dem Präsidenten des neu gegründeten BND und
ehemaligen Chef des Militärischen Nachrichtendienstes an der
Ostfront während des Dritten Reichs. Das Treffen der Chefs der
deutschen und israelischen Nachrichtendienste festigte eine
Zusammenarbeit, die bereits 1955 begonnen hatte. Am Ende des
Zweiten Weltkrieges hatte sich Gehlen den Amerikanern ergeben und
der CIA seine umfassenden Kenntnisse über die Sowjetunion
angeboten. Mit ihrer Zustimmung konnte er seine eigene
nachrichtendienstliche Organisation mit Hauptsitz in der
"Rudolf-Hess-Siedlung" in Pullach aufbauen. Mitte der 50er-Jahre
wollte Gehlen allerdings seinen Dienst aus der Abhängigkeit
von den USA lösen. Zu diesem Zeitpunkt waren zahlreiche seiner
während des Krieges aufgebauten Netzwerke hinter dem Eisernen
Vorhang entweder verschwunden oder in Auflösung begriffen.
Gehlen suchte potenzielle Partner, die den BND mit Informationen
über die DDR und den Warschauer Pakt versorgen könnten.
Mit der Bitte um Hilfe wandte er sich an Israel, dessen
Auslands-Nachrichtendienst Mossad im sowjetischen Machtbereich sehr
aktiv war.
Weniger als zehn Jahre nach Kriegsende,
hatten viele Mossad-Beamte entweder selbst den Holocaust
überlebt oder Familienangehörige in den
Konzentrationslagern der Nazis verloren. Viele von ihnen lehnten
eine Zusammenarbeit mit den Deutschen ab, besonders mit Gehlen, der
während des Dritten Reichs einen solch hohen Rang innegehabt
hatte. Isser Harel wusste jedoch, dass sein Dienst strategische
Partner finden musste, um Informationen über die arabischen
Staaten zusammen zu tragen. "Für Israels Sicherheit werden wir
sogar mit dem Teufel kooperieren", sagte er und akzeptierte eine
begrenzte Zusammenarbeit mit dem BND. Er ernannte den in Paris
ansässigen Mossad-Beamten Shlomo Cohen zum Verbindungsbeamten
mit dem BND. Der gebürtige Hamburger war ein Meister der
Anwerbung arabischer Diplomaten als Agenten und hatte innerhalb
weniger Jahre zahlreiche Angehörige der arabischen
diplomatischen Kreise in Bonn rekrutiert. Auf Seiten des BND war
General Wolfgang Langkau zuständiger Verbindungsbeamter
für den Mossad. Um ein Maximum an Sicherheit zu
gewährleisten, führte Langkau seine Arbeit von einem
Büro in München aus, da der Mossad befürchtete,
Pullach sei von sowjetischen Spionen unterwandert.
In den ersten Jahren konzentrierte sich die
Zusammenarbeit zwischen Mossad und BND auf Osteuropa und die
arabischen Länder. Der Mossad wurde von jüdischen
Immigranten, die nach Israel eingewandert waren, sowie von seinen
Agenten hinter dem Eisernen Vorhang mit umfangreichen Informationen
über die DDR und die Sowjetunion versorgt. Im Gegenzug erhielt
er Informationen, die der BND mittels extensiver Kontakte in den
arabischen Staaten, in erster Linie in Ägypten, Syrien und dem
Irak, zusammen getragen hatte. Der BND belieferte den Mossad
außerdem mit gefälschten Papieren und stellte falsche
Identitäten für in arabische Städte entsandte
Agenten zur Verfügung. Viele Mossad-Agenten waren deutsche
Muttersprachler, die in Deutschland oder Österreich geboren
waren und problemlos für deutsche Staatsbürger gehalten
werden konnten. Der BND versorgte sie mit falschen Identitäten
aus Gegenden, in denen Dokumente und Melderegister während der
alliierten Bombenangriffe verloren gegangen waren. Die
Mossad-Agenten wurden in arabische Hauptstädte entsandt, wo
sie jahrelang unentdeckt unter ihrer deutschen Identität
erfolgreich tätig waren.
Wolfgang Lotz und Aharon Moshel waren zwei
dieser Agenten. Der in Mannheim geborene und später nach
Israel ausgewanderte Lotz verbrachte ein Jahr in Deutschland, um
sich eine falsche Identität als reicher ehemaliger
Wehrmacht-Offizier und Pferdezüchter zu kreieren. 1961 wurde
er nach Kairo entsandt, wo er ein Pferdegestüt eröffnete,
das innerhalb kurzer Zeit zu einem Treffpunkt der Kairoer
Gesellschaft wurde. Auf diese Weise hatte er Kontakt zu
hochrangigen ägyptischen Politikern und Armeeoffizieren und
konnte wichtige Informationen über Ägyptens
Vorbereitungen für einen Krieg gegen Israel an das
Mossad-Hauptquartier in Tel Aviv weitergeben. Moshel wurde als
Journalist einer deutschen Tageszeitung nach Ägypten entsandt
und schickte seine geheimen Berichte an eine fiktive "Tante" in
Köln. Er trug ebenfalls umfangreiche Informationen zusammen,
unter anderem einen Ausweis der ägyptischen Geheimpolizei, der
von Mossad und BND für ihre eigenen Agenten kopiert wurde.
Gehlen war sehr engagiert in der Ausbildung der Mossad-Agenten und
nahm sogar persönlich mit ihnen zusammen an
Schießübungen auf dem BND-Schießplatz teil.
Mossad-Chef Harel war jedoch bestrebt, allzu enge Kontakte zu den
deutschen Beamten zu vermeiden. Gehlens Bitte, Israel besuchen zu
können, wurde abgelehnt, und Harel selbst zog einer
Übernachtung in Deutschland die lange Rückreise nach
Frankreich vor.
Am 6. November 1961 wurde der hochrangige
BND-Beamte Heinz Felfe als KGB-Spion verhaftet. Felfe, ein
ehemaliger SS-Obersturmbannführer und einer der engsten
Vertrauten Gehlens, hatte zehn Jahre als Spion für die Sowjets
gearbeitet und Dutzende von BND-Operationen an die sowjetische
Seite verraten. Von einem Tag auf den anderen verlor der BND nahezu
seine gesamte Basis hinter dem Eisernen Vorhang. Die Krise zwang
Gehlen, verstärkt auf Unterstützung durch den Mossad
zurückzugreifen, um die deutsche Regierung mit Informationen
über die DDR zu beliefern. Dafür räumte er ihm die
Möglichkeit ein, gegen deutsche Wissenschaftler vorzugehen,
die Lang-
streckenraketen für die ägyptische
Armee entwickelten. Ägyptens Präsident Nasser
verkündete großspurig, dass seine "deutschen" Raketen
jede jüdische Stadt in Israel zerstören würden. Mit
der "Operation Damokles" wollte der Mossad das ägyptische
Raketenprojekt zum Scheitern bringen. Viele deutsche
Wissenschaftler, die während des Krieges an den V1- und
V2-Projekten in Peenemünde gearbeitet hatten, wurden mit
Einschüchterungsmethoden dazu gebracht, Ägypten zu
verlassen. Andere wurden durch Briefbomben verletzt oder Opfer
mysteriöser Überfälle. Innerhalb eines Jahres brach
das ägyptische Projekt und mit ihm die Bedrohung israelischer
Städte zusammen.
In den 60er-Jahren wurde Afrika zu einem
weiteren Gebiet der Zusammenarbeit zwischen Mossad und BND. Sowohl
Deutschland als auch Israel entwickelten enge Beziehungen zu den in
die Unabhängigkeit entlassenen afrikanischen Staaten, welche
an deutscher Technologie und an israelischer Ausbildung in den
Bereichen Militär und Landwirtschaft interessiert waren. Der
Mossad knüpfte enge Kontakte zu afrikanischen Führern und
konnte dem BND umfassende Informationen über die
Aktivitäten der DDR-Gewerkschaften in Afrika liefern,
einschließlich des Weltgewerkschaftsbundes (WGB) und des
Internationalen Verbandes der Freien Gewerkschaften (ICFTU), die
ihren Sitz in Ost-Berlin hatten.
Im August 1966 erschütterte der Mossad
die westlichen Nachrichtendienste, als er in Besitz eines
irakischen Kampfflugzeugs vom Typ MiG-21 gelangte. Der Mossad hatte
einen unzufriedenen irakischen Piloten rekrutiert, der sich bereit
erklärte, für eine Million Dollar und eine neue
Identität mit seinem Flugzeug nach Israel zu fliegen. Die
MiG-21 war zu jener Zeit das modernste sowjetische Kampfflugzeug,
ausgestattet mit streng geheimen Elektronik- und Waffensystemen.
Die BND-Experten wollten so viel wie möglich über die
MiG-21 in Erfahrung bringen, die von den Sowjets an alle
Luftstreitkräfte des Warschauer Paktes geliefert wurde. Es gab
sogar Pläne des BND, die MiG-21 für Testflüge nach
Deutschland zu bringen. Dieser Vorschlag wurde verworfen, da die
NATO-Streitkräfte geschult waren, die charakteristische Form
der MiG sofort zu erkennen und das Auftauchen eines solchen
Flugzeuges über der Bundesrepublik einen Alarmzustand
hätte auslösen können. Stattdessen belieferte Israel
den BND mit umfangreichen Erkenntnissen über die MiG, welche
in Testflügen zusammen getragen wurden. Sie wurden an die
Luftwaffe weitergeleitet und von dieser zur Neuausrichtung der
deutschen Ausbildung und Taktik im Luftkampf verwendet.
Während des Sechstagekrieges 1967
gelangte die israelische Armee in den Besitz großer Mengen
moderner sowjetischer Panzer, Artillerie, Flugzeuge und anderer
Waffen. Viele dieser Waffensysteme wurden auch von der DDR
verwendet. Der Mossad konnte dem BND zahlreiche sowjetische
Waffentypen zu Test- und Auswertungszwecken zur Verfügung
stellen. Die Bundeswehr führte umfangreiche Tests mit diesen
sowjetischen Waffen durch und modifizierte viele ihrer eigenen
Waffen, um der sowjetischen Bedrohung wirksam zu begegnen. Ein
Beispiel hierfür war die Entscheidung der Deutschen, ihren
Panzer Leopard II mit einem 120mm-Geschütz auszurüsten.
Die NATO verwendete damals 105mm-Geschütze als Standard, und
die deutsche Entscheidung führte zu Verstimmungen in
Brüssel und Washington. Die deutschen Militärplaner
hatten aber die Panzerung der sowjetischen T-62-Panzer getestet,
die sie unter Geheimhaltung von Israel erhalten hatten, und
wussten, dass die Stärke des NATO-Geschützes unzureichend
war. Es gelang ihnen auch, die deutsche Regierung zu
überzeugen, sich über NATO-Verträge hinweg zu setzen
und der militärischen Schlagkraft Vorrang vor einer konformen
Haltung in der Allianz einzuräumen.
In den 70er-Jahren verlagerte sich der
Schwerpunkt der nachrichtendienstlichen Zusammenarbeit zwischen
Deutschland und Israel von den Themen des Kalten Krieges auf den
Terrorismus. Aufgrund der engen Beziehungen zwischen deutschen und
palästinensischen Terrorgruppen waren beide Länder daran
interessiert, Informationen gemeinsam auszuwerten und zusammen
gegen den internationalen Terrorismus vorzugehen. Israelische
Agenten, die in palästinensischen Flüchtlingslagern aktiv
waren, lieferten Informationen über RAF-Mitglieder, die im
Libanon ausgebildet wurden. Durch eine schnelle und
unbürokratische gemeinsame Nutzung der verfügbaren
Informationen konnten zahlreiche terroristische Anschläge
verhindert werden. Das Massaker an elf israelischen Sportlern, das
durch palästinensische Terroristen während der
Olympischen Spiele von München 1972 verübt wurde,
verstärkte die Zusammenarbeit zur Terrorabwehr zwischen beiden
Ländern.
Im Januar 1976 wurden drei
palästinensische Mitglieder der Volksfront für die
Befreiung Palästinas (PFLP) am Flughafen von Nairobi
festgenommen. Sie führten Waffen und tragbare
Flugabwehrraketen mit sich, die sie gegen einen ankommenden
EL-AL-Flug aus Tel Aviv einsetzen wollten. Einige Tage später
wurden zwei deutsche RAF-Mitglieder, die nach ihren verschwundenen
PFLP-Kameraden suchen wollten, bei ihrer Ankunft in Nairobi
verhaftet. Diese Festnahmen stellten den Höhepunkt einer
langen und komplexen deutsch-israelischen Operation dar, die zum
Ziel hatte, die Bewegungen von Terrorverdächtigen zu
überwachen. Die beiden Deutschen wurden unter Geheimhaltung
nach Israel gebracht, vor Gericht gestellt und wegen Terrorvergehen
zu Haftstrafen von jeweils sieben Jahren verurteilt. Ihre
Freilassung erfolgte einige Jahre später in aller Stille.
Mitte der 70er-Jahre unterstützte Israel Deutschland beim
Aufbau der Anti-Terror-Einheit GSG-9, unter anderem durch die
Ausbildung von GSG-9-Kommandeuren in Israel. Die enge
Zusammenarbeit zwischen deutschen und israelischen
Terrorabwehrexperten wurde während der erfolgreichen
Befreiungseinsätze bei den Flugzeugentführungen von
Entebbe und Mogadishu sichtbar.
Nach dem Libanon-Krieg 1982 verlagerte sich
die Arbeit der Nachrichtendienste auf die Entführung
westlicher Geiseln in Beirut sowie auf die neu aufgekommene
Bedrohung in der Region, die Hisbollah. Der BND unterhielt gute
Kontakte zum iranischen Nachrichtendienst und konnte mehrmals
zwischen Israel und der Hisbollah vermitteln. Während diese
Vermittlungsbemühungen sich in der Regel auf humanitäre
Themen konzentrierten, wie beispielsweise den Austausch
getöteter Soldaten oder die Freilassung von Gefangenen, wurden
die Kontakte auch als indirekter, effektiver Kommunikationsweg
zwischen Jerusalem und Teheran genutzt. Sie erlangten noch
größere Bedeutung für die Stabilität im Nahen
Osten, als offensichtlich wurde, dass der Iran die Hisbollah
maßgeblich unterstützte und durch entsprechenden Druck
auf die Organisation hinsichtlich der Angriffe gegen Israel
mäßigenden Einfluss ausüben konnte.
Im weltweiten Kampf gegen den Terrorismus
nach dem 11. September 2001 setzen Deutschland und Israel ihre
lange Tradition der Zusammenarbeit der Nachrichtendienste fort.
Deutsche Nachrichtendienstchefs sind willkommene Gäste in
Israel, während hochrangige israelische Vertreter ihre
deutschen Kollegen zu Unterrichtungszwecken besuchen. Seit 50
Jahren haben sowohl der Mossad als auch der BND eine lange
Entwicklung durchlaufen. Sie haben Großes für die
Sicherheit geleistet und entscheidend zur Verständigung zweier
Völker beigetragen, die mit einem schweren historischen Erbe
zu kämpfen hatten.
Shlomo Shpiro ist Politikwissenschaftler und
Terrorismusexperte an der Universität Tel Aviv.
Zurück zur Übersicht
|