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Thomas R. Henschel
Das Lavieren zwischen US-Kritik und
Israelunterstützung
Deutsche Nahostpolitik in der
Glaubwürdigkeitskrise
Deutschland war in den letzten vier Jahren Teil einer
europäischen Politik, die Israel isolierte und verurteilte,
während wir gemeinem Terrorismus ausgesetzt waren", schrieb
die "Jerusalem Post" anlässlich des Besuches von Horst
Köhler in Israel. Der Artikel war im Übrigen sehr
wohlwollend und gerade dadurch bringt er das Dilemma deutscher
Nahost und Sicherheitspolitik auf den Punkt. Die Beziehungen
zwischen Israel und Deutschland werden immer besondere sein. Die
historisch-moralische Verantwortung für das
Menschheitsverbrechen der systematischen und planmäßigen
Ermordung von Juden in Europa gilt für das demokratische
Deutschland fort.
Joschka Fischer drückt dies immer wieder aus, wenn er sagt,
dass dies "den ganz besonderen Charakter unserer Beziehungen
prägt". Der Außenminister genießt in Israel ein
hohes Ansehen. Sein Engagement für Frieden und Sicherheit und
sein Bekenntnis zum Existenzrecht Israels werden als
glaubwürdig wahrgenommen. Fischer hat sich, lange bevor er
Minister wurde, deutlich gegen eine diffuse, unter Linken in den
80er-Jahren populäre, kritische Haltung gegenüber Israel
gewandt. Und er hat seine Haltung immer wieder durch Worte und
Taten bekräftigt. Das macht seine Glaubwürdigkeit aus,
stärkt das Vertrauen der Israelis in den deutschen
Außenminister. Das sind keine Kleinigkeiten und ist keine
Selbstverständlichkeit.
Auf der anderen Seite genießen die Deutschen auch bei den
Palästinensern ein hohes Ansehen und ihr Wort hat Einfluss und
Gewicht. Zu gut wissen auch die Repräsentanten der
Palästinenser, wer sie beim Aufbau der Infrastruktur und bei
ihren Bemühungen einen eigenen Staat zu bekommen, der diesen
Namen verdient, unterstützt.
Doch, welche sicherheitspolitischen Ziele verfolgt die deutsche
Außenpolitik im Nahen Osten? Und, existieren im
Auswärtigen Amt Strategien, wie diese Ziele erreicht werden
können?
Mit dem Fall der Berliner Mauer haben sich die alten
sicherheitspolitischen Konzepte und Strategien überholt. Die
größten Gefahren für unsere regionale und globale
Sicherheit gehen heute nicht mehr primär von Staaten aus,
sondern wir sehen uns einer Vielzahl von neuen, asymmetrischen
Bedrohungen gegenüber. Es sind vor allem religiöser
Fundamentalismus, übersteigerter Nationalismus und die
gleichzeitige unkontrollierte Verbreitung von
Massenvernichtungswaffen, aus denen die Krisen und Konflikte des
21. Jahrhunderts bestehen. Seit dem 11. September 2001 sind diese
neuen Bedrohungen auf brutale Weise sichtbar geworden. Bedrohungen,
die für Israel nicht neu sind. Terrorismus und Terror
gehören nach wie vor zum Alltag in Israel und machen das Leben
für alle dort lebenden Menschen, egal welcher Herkunft und
welchen Glaubens, immer wieder zur Hölle.
Die deutsche Außenpolitik betont, dass diesen Gefahren und
Bedrohungen nicht mit militärischen Mitteln allein beizukommen
ist. Vielmehr müsse diesen eine positive Globalisierung
entgegen gesetzt werden. Im Zeitalter des weltweiten Austausches im
Waren-, Güter- und Geldverkehr sollen auch Demokratie und
Rechtsstaat, die Menschenrechte ebenso, wie die Teilhabe an
sozialer Sicherheit, Fortschritt und vor allem an Informationen und
Bildung global sichergestellt werden. Für Fischer ist diese
"positive Globalisierung" die eigentliche strategische Antwort auf
die "tödliche Herausforderung durch die neue totalitäre
Bedrohung, mit der uns islamistische Terroristen konfrontieren". Im
21. Jahrhundert, so lautet das Credo Fischers hängt Sicherheit
auch und gerade von Teilhabe und Fortschritt, Demokratie und
Rechtsstaatlichkeit ab.
In Afghanistan hat diese Bundesregierung beeindruckend bewiesen,
wie ernst es ihr damit ist. Das humanitäre Engagement, aber
auch der umfassende Einsatz der Bundeswehr hat Deutschland zu einem
wichtigen sicherheitspolitischen Partner der Weltgemein- schaft
werden lassen. Dies ging und war so erfolgreich, weil Deutschland
sich als Partner der USA verstand.
Auch für den Nahen Osten kann die Strategie der "Positiven
Globalisierung" ein richtiger Schritt sein. Der UN-Report "Arab
Human Development" hat ausgesprochen, was viele nicht wagten, zu
sagen: In der arabischen Welt fehlt es an Freiheit, Perspektiven
und Schulsystemen, die nicht zornige junge Männer, sondern
kritische Geister hervorbringen. Und nicht zuletzt fehlt es an
Entfaltungsmöglichkeiten für Frauen. Aber auch hier gilt:
es wird keine positiven Veränderungen ohne die USA geben
können. Wenn Deutschland dort seinen Einfluss und seine
Kompetenz einbringen will, so wird es dies nur an der Seite der USA
können.
Doch wie sieht es mit dem Verhältnis Deutschlands zu den
USA zur Zeit aus? Man muss nicht so weit gehen, wie Arnulf Baring,
der dieser deutschen Regierung gerade eine vernichtende Kritik
ihrer Außenpolitik vor die Füße gepfeffert hat. Die
Fakten sind an sich Besorgnis erregend genug: So populär und
in der Sache richtig die Weigerung dieser Bundesregierung war, sich
in keiner militärischen Weise am Irak-Krieg zu beteiligen,
stellt sich doch die Frage, ob es notwendig und politisch
weitsichtig, historisch geboten und klug war, die transatlantischen
Seile zu kappen, ohne eine neue transatlantische Strategie
vorbereitet zu haben. Die scheinbare neue außenpolitische
Beweglichkeit an der Seite Frankreichs wird die deutschen
Möglichkeiten nur weiter schwächen. Frankreich stimmt in
einigen zentralen Fragen des Nahost Konfliktes nicht mit
Deutschlands Positionen und vor allem mit der deutschen Haltung
überein. Bekanntermaßen gelten die Franzosen gemeinhin
als sehr viel israelkritischer und vertreten eine stärker
pro-arabische Haltungen.
Und genau das ist es, was die "Jerusalem Post" den Deutschen
vorwirft. Als Teil der EU trägt Deutschland Positionen und
politische Entscheidungen mit, die letztlich den Reden von
Außenminister Fischer, wenn er über Israel und den Nahen
Osten spricht, widersprechen. Die transatlantischen Beziehungen
entsprechen, selbst bei allem Optimismus, mit dem man das Mainzer
Treffen betrachten kann, zurzeit nicht mehr dem, was aufgrund der
Nachkriegszeit und den Optionen, die diese jahrzehntelange
Partnerschaft für Deutschland gehabt hätte, möglich
wäre. Damit entsteht zunehmend eine Situation, in der
Deutschland rhetorisch Positionen im Nahen Osten beschwört,
die es aber aufgrund seines strategisch geschwächten
Standpunktes in der Außen- und Sicherheitspolitik nicht
unterstützen kann.
Einflussreichster Agent in Brüssel
Alle wissen, dass Deutschland in Brüssel der
einflussreichste Agent für die Interessen Israels ist und
immer wieder Schlimmeres verhindert. Bewertet wird aber, was zum
Schluss herauskommt. Und zwischen einer Außen- und
Sicherheitspolitik, die Schlimmeres in Brüssel verhindert und
einer pro-aktiven, gestaltenden Politik der "positiven
Globalisierung" ist ein Unterschied, der sich auf Dauer nicht
leugnet lässt.
Schafft Deutschland diesen Spagat zwischen Freund und Partner
Israels und der deutlich israel-skeptischeren Politik auf
europäischer Ebene? Reicht der Einfluss Deutschlands hier aus,
um wirklich Akzente zu setzen, oder hat Deutschland sich in eine
fatale Abhängigkeit Frankreichs begeben, da die Koalition mit
den USA, dem wichtigsten Akteur in diesem brisanten Politikfeld,
für innenpolitische Vorteile geschwächt wurde. Wie soll
Deutschland seinen Einfluss in der Region verstärken, wenn es
gleichzeitig seinen Einfluss in den USA als verlässlicher
Partner aufs Spiel setzt? Es ist eine Banalität, an die jetzt
aus gegebenen Anlass wieder erinnert werden muss, dass die
Nahost-Politik immer nur innerhalb der transatlantischen
Beziehungen gedacht werden kann. Wie glaubt Fischer, diesen Spagat
langfristig hinzubekommen und damit sicher zu stellen, dass seine
israel-freundlichen Reden und seine derzeitige Reputation nicht
binnen kürzester Zeit als rhetorisch geschickte, aber
politisch nicht unterfütterte Luftblasen erkannt werden?
Die deutsche Außenpolitik und ihr Außenminister
steuern auf eine gefährliche Situation zu. Noch überdeckt
das hohe Ansehen von Fischer das Dilemma der deutschen Außen-
und Sicherheitspolitik im Nahen Osten. Ein Dilemma, das vielleicht
das eigentliche Dilemma der derzeitigen deutschen Außenpolitik
ist.
Dabei gebe es durchaus Optionen aus dem Dilemma eine Stärke
zu gewinnen. Dies würde jedoch voraussetzen, dass das
angeschlagene Vertrauen in die Verlässlichkeit deutscher
Au-ßenpolitik in den USA wieder gefestigt werden kann. Der vor
allem auf atmosphärische Fernsehbilder setzende Besuch des
amerikanischen Präsidenten in Mainz war hier vielleicht ein
positiv stimmender Beitrag. Ergreift Deutschlands diese von Bush
ausgestreckte Hand, gelänge es den beiden Partnern, verloren
gegangenes Vertrauen wieder herzustellen, dann könnte
Deutschland einen angemessenen Beitrag im Nahen Osten leisten. Kein
leichtes Unterfangen, denn die Administration in Washington
verfolgt global weiterhin eigenen Ziele.
Eine Verbesserung des Verhältnisses kann und sollte nicht
auf einer bloßen Anbiederung deutscher Politik an die jetzige
Administration im Weißen Haus beruhen. Sinnvoller wäre
es, wenn Deutschland zum Prozess der "positiven Globalisierung"
einen Beitrag beisteuern könnte, der über die reine
Wirtschaftshilfe und polizeiliche Zusammenarbeit hinaus-geht. In
Deutschland und Europa betont man oft und gerne, dass Europäer
ein besseres Verständnis für Vielfalt und
Unterschiedlichkeit hätten. In der Außenpolitik der USA
dominiert eine Strategie der die unterschiedlichen Kulturen und
Traditionen in ihrer Bedeutung weniger würdigt. Eine
Möglichkeit deutscher Politik, bestände demnach darin,
die europäische Kompetenz im Umgang mit Vielfalt und
Unterschiedlichkeit zukünftig stärker zu betonen. Bislang
verweist Deutschland hier gerne auf seine Arbeit im Rahmen der OSZE
(Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa).
Doch werden deren Aktivitäten eben wiederum nicht mit Berlin
identifiziert. Wenn deutsche Außenpolitik hier einen
sichtbaren Anlauf nehmen will, sollte es die Initiative
übernehmen. In vielen Konfliktgebieten dieser Welt wäre
es hilfreich, wenn für die dort notwendigen Verhandlungen
kompetente und professionelle international conflict mediatoren zur
Verfügung gestellt werden könnten. Eine kleine Gruppe von
bestens ausgebildeten und erfahrenen Mediatoren kann einen
bedeutenden Beitrag zur Verbreitung von Menschenrechten und
gleichen Chancen leisten. Die Verfügbarkeit einer solchen
Gruppe würde die Rolle und Bedeutung Berlins auch im
transatlantischen Verhältnis positiv beeinflussen.
Noch fehlen allerdings solche konkreten Ansätze in der
deutschen Außenpolitik. Noch fehlt auch der Akteur, der die
europäische und amerikanische Nahost-Politik orchestriert und
auf einander abstimmt. Der israelische Ministerpräsident Ariel
Scharon hat erst kürzlich deutlich gemacht, dass eine solche
gemeinsame Politik Europas und der USA in seinem Interesse liegen
würde.
Die Bundesrepublik Deutschland wäre durch eine solche
Konstellation in der einzigartigen Lage, hier als Partner der USA
und Europas ihren eigenständigen Beitrag zur Implementierung
der viel beschworenen und bisher leider erfolglosen Roadmap zu
leisten. Es muss allerdings konstruktive Ansätze im
transatlantischen Verhältnis finden, um damit aus dem
bedrohlichen Dilemma seiner Nahostpolitik wieder heraus zu
kommen.
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