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Das Parlament
Nr. 15 / 11.04.2005

 
Bundeszentrale für politische Bildung
 

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Thomas R. Henschel

Das Lavieren zwischen US-Kritik und Israelunterstützung

Deutsche Nahostpolitik in der Glaubwürdigkeitskrise

Deutschland war in den letzten vier Jahren Teil einer europäischen Politik, die Israel isolierte und verurteilte, während wir gemeinem Terrorismus ausgesetzt waren", schrieb die "Jerusalem Post" anlässlich des Besuches von Horst Köhler in Israel. Der Artikel war im Übrigen sehr wohlwollend und gerade dadurch bringt er das Dilemma deutscher Nahost und Sicherheitspolitik auf den Punkt. Die Beziehungen zwischen Israel und Deutschland werden immer besondere sein. Die historisch-moralische Verantwortung für das Menschheitsverbrechen der systematischen und planmäßigen Ermordung von Juden in Europa gilt für das demokratische Deutschland fort.

Joschka Fischer drückt dies immer wieder aus, wenn er sagt, dass dies "den ganz besonderen Charakter unserer Beziehungen prägt". Der Außenminister genießt in Israel ein hohes Ansehen. Sein Engagement für Frieden und Sicherheit und sein Bekenntnis zum Existenzrecht Israels werden als glaubwürdig wahrgenommen. Fischer hat sich, lange bevor er Minister wurde, deutlich gegen eine diffuse, unter Linken in den 80er-Jahren populäre, kritische Haltung gegenüber Israel gewandt. Und er hat seine Haltung immer wieder durch Worte und Taten bekräftigt. Das macht seine Glaubwürdigkeit aus, stärkt das Vertrauen der Israelis in den deutschen Außenminister. Das sind keine Kleinigkeiten und ist keine Selbstverständlichkeit.

Auf der anderen Seite genießen die Deutschen auch bei den Palästinensern ein hohes Ansehen und ihr Wort hat Einfluss und Gewicht. Zu gut wissen auch die Repräsentanten der Palästinenser, wer sie beim Aufbau der Infrastruktur und bei ihren Bemühungen einen eigenen Staat zu bekommen, der diesen Namen verdient, unterstützt.

Doch, welche sicherheitspolitischen Ziele verfolgt die deutsche Außenpolitik im Nahen Osten? Und, existieren im Auswärtigen Amt Strategien, wie diese Ziele erreicht werden können?

Mit dem Fall der Berliner Mauer haben sich die alten sicherheitspolitischen Konzepte und Strategien überholt. Die größten Gefahren für unsere regionale und globale Sicherheit gehen heute nicht mehr primär von Staaten aus, sondern wir sehen uns einer Vielzahl von neuen, asymmetrischen Bedrohungen gegenüber. Es sind vor allem religiöser Fundamentalismus, übersteigerter Nationalismus und die gleichzeitige unkontrollierte Verbreitung von Massenvernichtungswaffen, aus denen die Krisen und Konflikte des 21. Jahrhunderts bestehen. Seit dem 11. September 2001 sind diese neuen Bedrohungen auf brutale Weise sichtbar geworden. Bedrohungen, die für Israel nicht neu sind. Terrorismus und Terror gehören nach wie vor zum Alltag in Israel und machen das Leben für alle dort lebenden Menschen, egal welcher Herkunft und welchen Glaubens, immer wieder zur Hölle.

Die deutsche Außenpolitik betont, dass diesen Gefahren und Bedrohungen nicht mit militärischen Mitteln allein beizukommen ist. Vielmehr müsse diesen eine positive Globalisierung entgegen gesetzt werden. Im Zeitalter des weltweiten Austausches im Waren-, Güter- und Geldverkehr sollen auch Demokratie und Rechtsstaat, die Menschenrechte ebenso, wie die Teilhabe an sozialer Sicherheit, Fortschritt und vor allem an Informationen und Bildung global sichergestellt werden. Für Fischer ist diese "positive Globalisierung" die eigentliche strategische Antwort auf die "tödliche Herausforderung durch die neue totalitäre Bedrohung, mit der uns islamistische Terroristen konfrontieren". Im 21. Jahrhundert, so lautet das Credo Fischers hängt Sicherheit auch und gerade von Teilhabe und Fortschritt, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit ab.

In Afghanistan hat diese Bundesregierung beeindruckend bewiesen, wie ernst es ihr damit ist. Das humanitäre Engagement, aber auch der umfassende Einsatz der Bundeswehr hat Deutschland zu einem wichtigen sicherheitspolitischen Partner der Weltgemein- schaft werden lassen. Dies ging und war so erfolgreich, weil Deutschland sich als Partner der USA verstand.

Auch für den Nahen Osten kann die Strategie der "Positiven Globalisierung" ein richtiger Schritt sein. Der UN-Report "Arab Human Development" hat ausgesprochen, was viele nicht wagten, zu sagen: In der arabischen Welt fehlt es an Freiheit, Perspektiven und Schulsystemen, die nicht zornige junge Männer, sondern kritische Geister hervorbringen. Und nicht zuletzt fehlt es an Entfaltungsmöglichkeiten für Frauen. Aber auch hier gilt: es wird keine positiven Veränderungen ohne die USA geben können. Wenn Deutschland dort seinen Einfluss und seine Kompetenz einbringen will, so wird es dies nur an der Seite der USA können.

Doch wie sieht es mit dem Verhältnis Deutschlands zu den USA zur Zeit aus? Man muss nicht so weit gehen, wie Arnulf Baring, der dieser deutschen Regierung gerade eine vernichtende Kritik ihrer Außenpolitik vor die Füße gepfeffert hat. Die Fakten sind an sich Besorgnis erregend genug: So populär und in der Sache richtig die Weigerung dieser Bundesregierung war, sich in keiner militärischen Weise am Irak-Krieg zu beteiligen, stellt sich doch die Frage, ob es notwendig und politisch weitsichtig, historisch geboten und klug war, die transatlantischen Seile zu kappen, ohne eine neue transatlantische Strategie vorbereitet zu haben. Die scheinbare neue außenpolitische Beweglichkeit an der Seite Frankreichs wird die deutschen Möglichkeiten nur weiter schwächen. Frankreich stimmt in einigen zentralen Fragen des Nahost Konfliktes nicht mit Deutschlands Positionen und vor allem mit der deutschen Haltung überein. Bekanntermaßen gelten die Franzosen gemeinhin als sehr viel israelkritischer und vertreten eine stärker pro-arabische Haltungen.

Und genau das ist es, was die "Jerusalem Post" den Deutschen vorwirft. Als Teil der EU trägt Deutschland Positionen und politische Entscheidungen mit, die letztlich den Reden von Außenminister Fischer, wenn er über Israel und den Nahen Osten spricht, widersprechen. Die transatlantischen Beziehungen entsprechen, selbst bei allem Optimismus, mit dem man das Mainzer Treffen betrachten kann, zurzeit nicht mehr dem, was aufgrund der Nachkriegszeit und den Optionen, die diese jahrzehntelange Partnerschaft für Deutschland gehabt hätte, möglich wäre. Damit entsteht zunehmend eine Situation, in der Deutschland rhetorisch Positionen im Nahen Osten beschwört, die es aber aufgrund seines strategisch geschwächten Standpunktes in der Außen- und Sicherheitspolitik nicht unterstützen kann.

Einflussreichster Agent in Brüssel

Alle wissen, dass Deutschland in Brüssel der einflussreichste Agent für die Interessen Israels ist und immer wieder Schlimmeres verhindert. Bewertet wird aber, was zum Schluss herauskommt. Und zwischen einer Außen- und Sicherheitspolitik, die Schlimmeres in Brüssel verhindert und einer pro-aktiven, gestaltenden Politik der "positiven Globalisierung" ist ein Unterschied, der sich auf Dauer nicht leugnet lässt.

Schafft Deutschland diesen Spagat zwischen Freund und Partner Israels und der deutlich israel-skeptischeren Politik auf europäischer Ebene? Reicht der Einfluss Deutschlands hier aus, um wirklich Akzente zu setzen, oder hat Deutschland sich in eine fatale Abhängigkeit Frankreichs begeben, da die Koalition mit den USA, dem wichtigsten Akteur in diesem brisanten Politikfeld, für innenpolitische Vorteile geschwächt wurde. Wie soll Deutschland seinen Einfluss in der Region verstärken, wenn es gleichzeitig seinen Einfluss in den USA als verlässlicher Partner aufs Spiel setzt? Es ist eine Banalität, an die jetzt aus gegebenen Anlass wieder erinnert werden muss, dass die Nahost-Politik immer nur innerhalb der transatlantischen Beziehungen gedacht werden kann. Wie glaubt Fischer, diesen Spagat langfristig hinzubekommen und damit sicher zu stellen, dass seine israel-freundlichen Reden und seine derzeitige Reputation nicht binnen kürzester Zeit als rhetorisch geschickte, aber politisch nicht unterfütterte Luftblasen erkannt werden?

Die deutsche Außenpolitik und ihr Außenminister steuern auf eine gefährliche Situation zu. Noch überdeckt das hohe Ansehen von Fischer das Dilemma der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik im Nahen Osten. Ein Dilemma, das vielleicht das eigentliche Dilemma der derzeitigen deutschen Außenpolitik ist.

Dabei gebe es durchaus Optionen aus dem Dilemma eine Stärke zu gewinnen. Dies würde jedoch voraussetzen, dass das angeschlagene Vertrauen in die Verlässlichkeit deutscher Au-ßenpolitik in den USA wieder gefestigt werden kann. Der vor allem auf atmosphärische Fernsehbilder setzende Besuch des amerikanischen Präsidenten in Mainz war hier vielleicht ein positiv stimmender Beitrag. Ergreift Deutschlands diese von Bush ausgestreckte Hand, gelänge es den beiden Partnern, verloren gegangenes Vertrauen wieder herzustellen, dann könnte Deutschland einen angemessenen Beitrag im Nahen Osten leisten. Kein leichtes Unterfangen, denn die Administration in Washington verfolgt global weiterhin eigenen Ziele.

Eine Verbesserung des Verhältnisses kann und sollte nicht auf einer bloßen Anbiederung deutscher Politik an die jetzige Administration im Weißen Haus beruhen. Sinnvoller wäre es, wenn Deutschland zum Prozess der "positiven Globalisierung" einen Beitrag beisteuern könnte, der über die reine Wirtschaftshilfe und polizeiliche Zusammenarbeit hinaus-geht. In Deutschland und Europa betont man oft und gerne, dass Europäer ein besseres Verständnis für Vielfalt und Unterschiedlichkeit hätten. In der Außenpolitik der USA dominiert eine Strategie der die unterschiedlichen Kulturen und Traditionen in ihrer Bedeutung weniger würdigt. Eine Möglichkeit deutscher Politik, bestände demnach darin, die europäische Kompetenz im Umgang mit Vielfalt und Unterschiedlichkeit zukünftig stärker zu betonen. Bislang verweist Deutschland hier gerne auf seine Arbeit im Rahmen der OSZE (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa). Doch werden deren Aktivitäten eben wiederum nicht mit Berlin identifiziert. Wenn deutsche Außenpolitik hier einen sichtbaren Anlauf nehmen will, sollte es die Initiative übernehmen. In vielen Konfliktgebieten dieser Welt wäre es hilfreich, wenn für die dort notwendigen Verhandlungen kompetente und professionelle international conflict mediatoren zur Verfügung gestellt werden könnten. Eine kleine Gruppe von bestens ausgebildeten und erfahrenen Mediatoren kann einen bedeutenden Beitrag zur Verbreitung von Menschenrechten und gleichen Chancen leisten. Die Verfügbarkeit einer solchen Gruppe würde die Rolle und Bedeutung Berlins auch im transatlantischen Verhältnis positiv beeinflussen.

Noch fehlen allerdings solche konkreten Ansätze in der deutschen Außenpolitik. Noch fehlt auch der Akteur, der die europäische und amerikanische Nahost-Politik orchestriert und auf einander abstimmt. Der israelische Ministerpräsident Ariel Scharon hat erst kürzlich deutlich gemacht, dass eine solche gemeinsame Politik Europas und der USA in seinem Interesse liegen würde.

Die Bundesrepublik Deutschland wäre durch eine solche Konstellation in der einzigartigen Lage, hier als Partner der USA und Europas ihren eigenständigen Beitrag zur Implementierung der viel beschworenen und bisher leider erfolglosen Roadmap zu leisten. Es muss allerdings konstruktive Ansätze im transatlantischen Verhältnis finden, um damit aus dem bedrohlichen Dilemma seiner Nahostpolitik wieder heraus zu kommen.

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