Otfried Nassauer und Christopher
Steinmetz
Die Goldene Hochzeit der Waffenschmieden
50 Jahre deutsch-israelische
Rüstungskooperation
Es gibt Dinge, die es eigentlich gar nicht geben kann. 1955 und
1956 baute die deutsche Jacht-& Bootswerft Burmester zwei
Patrouillenboote und schickte sie auf die Reise nach Israel.
Rüstungsgüter, deren Herstellung Deutschland damals
eigentlich noch untersagt war. Die deutsch-israelische
Rüstungskooperation feiert in diesem Jahr 50. Geburtstag, die
diplomatischen Beziehungen lediglich den 40. Klarer kann es kaum
zum Ausdruck kommen: Deutsch-israelische Beziehungen sind nicht nur
besondere, sie sind auch von vielen Besonderheiten
geprägt.
Zwei Merkmale prägen diese Kooperation: Weitgehende
Geheimhaltung und der Nutzen auf Gegenseitigkeit. Beide Staaten
wollten in den 50er-Jahren so schnell wie möglich
schlagkräftige Armeen aufstellen. Deutschlands Interesse am
Aufbau rüstungswirtschaftlicher Kapazitäten und Israels
Interesse an einem günstigen, zuverlässigen und seiner
Existenz verpflichteten Lieferanten ließen sich in Deckung
bringen. Bereits 1958 vereinbarten Shimon Peres und Franz Josef
Strauß weitere Rüstungslieferungen nach Israel. Als diese
deutsch-israelischen Geschäfte öffentlich wurden, drohten
die arabischen Staaten mit diplomatischen Konsequenzen, unter
anderem mit der Anerkennung der DDR. Israel forderte ein Ende der
deutsch-ägyptischen Rüstungszusammenarbeit. Konrad
Adenauer entsandte als Teil seiner Lösungsstrategie den
Thyssen-Manager Kurt Birrenbach als "Sonderbeauftragten des
Bundeskanzlers für die Aufnahme diplomatischer Beziehungen"
nach Israel. Die Rüstungskooperation bekam eine
Katalysatorfunktion für die Aufnahme offizieller
Beziehungen.
Beide Seiten betrachteten die Kooperation über kurze und
informelle Wege von Anfang an als beste Strategie. Noch 1991 hielt
das Bundesministerium der Verteidigung (BMVg) fest: "Seit Beginn
der Zusammenarbeit mit Israel ist es ständige Praxis aller
Regierungen gewesen, diese Kooperation möglichst wenig
öffentlich zu gestalten oder zu formalisieren." Das minimierte
den Einfluss öffentlicher Kontroversen in beiden Staaten
über die deutschen Verbrechen im Krieg und den Holocaust auf
die Zusammenarbeit sowie das Risiko, die Beziehungen zu anderen
Kooperationspartnern wie den arabischen Staaten zu belasten.
Auf der Strecke blieb die parlamentarische und demokratische
Kontrolle. Zumindest bis gegen Ende der 80er-Jahre wurde die
Kooperation oft über Bundesnachrichtendienst (BND) und Mossad
koordiniert oder abgewickelt. Das belegen skandalträchtige
Beispiele wie die deutsche Bestellung israelischer
Störsendertechnik für den Jagdbomber Tornado am Bundestag
vorbei - Codewort "Cerberus" - in den 80er-Jahren und die Lieferung
von NVA-Waffen an Israel als "land- und forstwirtschaftliches
Gerät" 1991.
2002 bekräftigte Kanzler Schröder die Sonderstellung
Israels: "Ich will ganz unmissverständlich sagen: Israel
bekommt das, was es für die Aufrechterhaltung seiner
Sicherheit braucht, und es bekommt es dann, wenn es gebraucht
wird."
Im deutsch-israelischen Geschäft zum gegenseitigen Nutzen
dominierten in den ersten Jahrzehnten zwei Formen der
Zusammenarbeit: Die Lieferung von Waffen aus Deutschland nach
Israel und die gemeinsame Auswertung sowjetischer
Waffentechnologie. Später kam der Israel Devisen bringende
Kauf israelischer Rüs-tungsgüter durch die Bundeswehr
hinzu. Deutschland lieferte Israel anfangs Waffen der Wehrmacht und
ältere US-Panzer, die für den Aufbau der Bundeswehr nicht
gebraucht wurden. Später folgten modernisierte Modelle. Manche
Lieferung erfolgte über Umwege: Noratlas-Transportflugzeuge
erreichten Israel über Frankreich; U-Boote des Typs Gal wurden
nach deutschen Plänen von deutschen Ingenieuren in
Großbritannien zusammengebaut, Schnellboote in Frankreich
"endmontiert". Doch eine Einbahnstraße Richtung Israel war
dies nicht. Das zeigt die Kooperation bei der Auswertung
sowjetischer Waffentechnologie seit 1967. Bis weit in die
80er-Jahre stellte Israel Beutewaffen und Auswertungsberichte
über beschlagnahmte Rüstungsgüter Deutschland zur
Verfügung. Drei Kriege 1967, 1973 und 1982 sorgten für
neuen Nachschub. Die Bundeswehr und die deutsche
Rüstungsindustrie profitierten erheblich. Die Erkenntnisse
wurden für die Planung deutscher Waffen benutzt: Sowjetische
T-62-Panzer und BMP-1-Schützenpanzer standen Pate, als der
Leopard-Panzer und der Schützenpanzer Marder entwickelt
wurden. 1991 sagte der Parlamentarische Staatssekretär im
BMVg, Willi Wimmert: "Wir haben daraus großen Nutzen
gezogen."
Technische Fortschritte, die bundesdeutsche Rüstungsfirmen
machten, wurden oft auch in Israel genutzt. Israelische
Rüstungsunternehmen übernahmen in den 70er- und
80er-Jahren wesentliche Neuentwicklungen, die sie heute teils als
Eigenentwicklungen erachten. Dazu gehören Reaktiv-Panzerungen
und die 120-Millimeter-Glattrohrkanone des Leopard 2. Geheimhaltung
blieb weiterhin ein Markenzeichen der Zusammenarbeit: Als aus dem
AEG-Werk Wedel 1986 modernste Stabilisierungssysteme für
Panzertürme geliefert werden sollten, gab es die Anweisung an
die Beschäftigten: "Auf allen Einzelteilen (...) darf kein
AEG-Zeichen vorhanden sein."
Der Golfkrieg 1991 mit seinen irakischen Scud-Angriffen auf
Israel führte erneut zu einer Welle kostenloser deutscher
Waffenlieferungen an Israel. Die Bundesregierung schenkte Israel
zwei modernste Flugabwehr-Batterien vom Typ Patriot sowie acht
Spürpanzer Fuchs. Wichtiger noch war die Finanzierung eines
alten israelischen Wunsches: Zwei U-Boote des vom deutschen
Ingenieurbüro IKL für Israel entwickelten Typs Dolphin.
Später kam die Teilfinanzierung für ein drittes hinzu.
Sie wurden 1998 bis 2000 geliefert, in Israel aufwändig
umgebaut und in Dienst gestellt. Sie verfügen neben sechs
Standard-Torpedorohren über vier größere
Torpedorohre vom Kaliber 650 Millimeter. Als diese Tatsache bekannt
wurde, begannen intensive Diskussionen, ob Israel die deutschen
U-Boote umrüstet, um aus den großen Torpedorohren
Nuklearwaffen zu verschießen und sich ein seegestütztes
Abschreckungspotential zuzulegen.
Nützlich erwies sich Deutschland für Israel auch als
direkter Devisenbringer. Seit den 70er-Jahren waren deutsche
Rüstungsbestellungen bei israelischen Industrie eine wichtige
Geldquelle für Israel. Für Munitionslieferungen flossen
von 1973 bis 1989 rund 800 Millionen Euro. Das Cerberus-Projekt
brachte über 500 Millionen Euro. Nach der Vereinigung
Deutschlands, dem Ende des Kalten Krieges und den Erfahrungen mit
den Golfkriegslieferungen war die Bundesregierung bestrebt, die
Zusammenarbeit mit Israel an die Form der Zusammenarbeit mit
anderen Staaten anzupassen. Ziel war es, stabile und
verlässliche Rahmenbedingungen für die
Rüstungskooperation zu gewährleisten, direkte finanzielle
Hilfen aber zu vermeiden.
Dies schien möglich, weil die industrielle
Rüstungskooperation mittlerweile deutlich mehr Dynamik zeigte.
Unternehmen beider Staaten erkannten früh die Chancen, die
ihnen eine Kombination ihrer Stärken auf den
Rüstungsmärkten eröffnen würde. Die deutsche
Industrie besaß die Fähigkeit zur Systemintegration und
zur Modernisierung von Waffensystemen nach NATO-Standards.
Israelische Unternehmen verfügten unter. anderem über
hochmoderne militärische Komponenten in den Bereichen Avionik,
Sensorik, Kommunikationselektronik und elektronische
Kampfführung. Gemeinsam konnten sich zum Beispiel die deutsche
DASA und die israelische Elbit 1999 den Auftrag zur Modernisierung
von 39 griechischen Phantom-Kampfflugzeugen sichern.
Eine zweite Chance bestand darin, gemeinsam neue Märkte zu
erschließen oder Schlüsselkomponenten in Staaten zu
exportieren, die sonst nicht ohne weiteres bedient werden konnten.
So gelangten deutsche Rüstungsgüter über Israel nach
Indien, Sri Lanka oder in die Türkei. Umgekehrt öffnete
sich für israelische Firmen über ihre deutschen Partner
der vielversprechende europäische Markt. Seit 1995 bieten
Zeiss Optronik und die israelische Firma Rafael gemeinsam die
Aufklärungs- und Zielerfassungssysteme Litening Pod und Recce
Lite an. Rafael, eine israelische Firma, offeriert seine
Panzerabwehrrakete Spike seit 1998 in Europa über das
Konsortium Eurospike. Für europäische Kunden
übernehmen deutsche Firmen wie Atlas Elektronik, Diehl
Munitionssysteme und Rheinmetall DeTec wesentliche Teile der
Produktion. Für die israelische Rüstungsindustrie ist der
europäische Markt von zentraler Bedeutung, denn sie ist in
hohem Maß exportabhängig. 2003 erklärte Yossi
Ben-Hanan, Direktor der Exportagentur des israelischen
Verteidigungsministeriums (SIBAT), dass jährliche
Exportaufträge im Wert von etwa zwei Milliarden Euro notwendig
seien, um die Kapazitäten Israels auszulasten. Von
israelischer Seite besteht natürlich weiter ein starkes
Interesse, traditionelle, devisensparende Kooperationsformen mit
Deutschland weiterzuführen. So hofft man derzeit, rund 100
gepanzerte Truppentransporter vom deutschen Typ Dingo-2 mithilfe
amerikanischer Militärhilfemittel zu finanzieren und mit
Deutschland ein vorteilhaftes Finanzierungsmodell für zwei
weiterentwickelte U-Boote vom Typ Dolphin auszuhandeln.
Die Rüstungskooperation wird ein wesentlicher und politisch
brisanter Bestandteil der deutsch-israelischen Beziehungen bleiben.
Unter den Gesichtspunkten einer restriktiven
Rüstungsexportpolitik und der Nichtverbreitung bleiben Israel
und seine Rüstungsindustrie problematische Partner. Israel
gilt als unerklärte Atommacht in einer Krisenregion. Beim
Vorgehen seiner Armee in den palästinensischen
Autonomiegebieten kann eine erneute Verschärfung nicht
ausgeschlossen werden. Es wäre fahrlässig von der
Bundesregierung darauf zu hoffen, dass auch zukünftig wenige
große Exportvorhaben wie zum Beispiel weitere U-Boote die
Vielzahl der Geschäfte mit Rüstungskomponenten unter
anderem für Kampfpanzer überlagern und aus der Diskussion
halten werden. Die zunehmende rüstungspolitische Abstimmung in
der EU wird dafür sorgen, dass die anderen EU-Staaten sich
dieses Sonderverhältnis genauer anschauen.
Auf Dauer werden die traditionellen, legitimierenden
Argumentationsmuster der Bundesregierung kaum greifen. Ein
wachsender Teil der Kooperationsvorhaben mit Israel hat keinen
direkten Bezug zur Sicherheit und zum Existenzrecht Israels mehr.
Die gelieferten Rüstungskomponenten dienen auf beiden Seiten
wirtschaftlichen und finanziellen Interessen. Mit dem Ausbau der
industrieseitigen Kooperation bei Schlüsseltechnologien
wächst die gegenseitige Abhängigkeit. Dies verträgt
sich kaum mit einer pauschalen Duldung des bisher praktizierten
Handelns des Partners. Auch eine unwissentliche Beihilfe zum Auf-
oder Ausbau atomarer Kapazitäten oder zur Weiterverbreitung
von Trägertechnologien an Drittstaaten würde mehr als die
guten bilateralen Rüstungsbeziehungen erschüttern.
Otfried Nassauer ist freier Journalist und leitet das Berliner
Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit (BITS).
Christopher Steinmetz ist Diplom-Politologe und wissenschaftlicher
Mitarbeiter bei BITS (www.bits.de).
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