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Gisela Dachs
"Die Deutschen sind gar nicht so kalt und
pedantisch"
Die Vergangenheit ist der Grundstein
deutsch-israelischer Begegnungen
Wann immer heute die Rede auf die
deutsch-israelischen Beziehungen kommt, taucht die Sorge nach der
Zukunft auf. Viele der alten Jekkes, die einst Nazi-Deutschland
verlassen mussten und später zu Brückenbauern wurden
zwischen der alten und neuen Heimat, leben nicht mehr. Ihre Kinder
und Enkel sind meist der deutschen Sprache nicht mehr mächtig.
Wer und was bleibt, um das besondere Verhältnis zu pflegen?
Wie denken junge Israelis über die Nazi-Vergangenheit? Wie
nehmen sie die Haltung Deutschlands gegenüber dem Staat Israel
wahr? Und wie schätzen sie den demokratischen Charakter
Deutschlands ein?
Mit diesen Fragen hat sich eine in diesem
Frühjahr erschienene Studie im Auftrag der
Friedrich-Ebert-Stiftung beschäftigt. Demnach interessieren
sich 69 Prozent der jüdisch-israelischen Jugendlichen für
den Holocaust. In einer früheren Studie von 1998 waren es nur
60 Prozent gewesen. Ein gutes Drittel ist der Meinung, Deutschland
gehöre zu den Staaten, die Israel am freundlichsten gesinnt
seien. Fast die Hälfte der Befragten glaubt, dass das
Ausmaß der Fremdenfeindlichkeit in Deutschland ähnlich
sei wie in anderen Staaten. 69 Prozent (1998 waren es 75 Prozent)
glauben, dass die Vernichtung der Juden im Holocaust faktisch von
der Mehrheit des deutschen Volkes und nicht nur von der
NS-Führung unterstützt wurden. Während also die Last
der Vergangenheit immer noch deutlich zu spüren ist, sogar bei
steigendem Interesse, betrachtet immerhin eine knappe Mehrheit der
jüdischen Jugend Israels Deutschland als fortschrittlichen
demokratischen Staat. Soweit die Statistik.
Ein anderer Gradmesser für das Interesse
der jungen Israelis an Deutschland mag das Goethe-Institut sein.
Wer am Abend kurz vor Beginn des Unterrichts die geschwungene
Treppe zum Tel Aviver Goethe-Institut hinaufsteigt, wird empfangen
von einer bunten Gruppe von Israelis, die alle ihre ganz
persönlichen Gründe haben, warum sie deutsch lernen
wollen. Alex, 27 Jahre alt, ist Pianist und will sich an einer
Hochschule für Musik in Deutschland auf eine internationale
Karriere vorbereiten. Tal, 20, macht noch seinen Armeedienst und
will einfach eine zusätzliche Sprache lernen. Er möchte
Biologie studieren, aber erst später. Vorher will er erst
einmal "herausfinden, wie es woanders ist, und dann vielleicht
sogar dort bleiben. Wer weiß." Seine Eltern allerdings finden
es gar nicht gut, dass er ins Ausland gehen will, "und besonders
Deutschland löst bei fast allen Israelis immer noch Vorbehalte
aus". Die 42jährige Anat lernt deutsch, weil sie sich mit
ihrem deutschen Freund besser verständigen möchte. Ein
junger Mann besucht den Kurs, um als DJ in Ostdeutschland
aufzulegen. Weil man dort kein Englisch verstehe, müsse er
Deutsch lernen. Das Interesse an Deutschland sei in den letzten
Jahren gestiegen, bestätigt die Leiterin der Sprachkurse. Nach
einer Umfrage vom Frühjahr 2003 wollen 25 Prozent Deutsch
lernen, um mit Freunden zu reden, 15 Prozent, um
Geschäftskontakte zu knüpfen, 24 Prozent, um zu
studieren, und 21 Prozent, um dort zu arbeiten.
Jahrelang galt es als Herausforderung, gerade
die junge Generation für deutsche Themen zu interessieren.
Amos Dolav, Israeli und seit 17 Jahren Programmdirektor des
Goethe-Instituts, redet von einem Umbruch, der in dieser Hinsicht
im vergangenen Jahrzehnt stattgefunden habe. Früher habe er
oft Hemmungen bei den israelischen Partnern verspürt, wenn er
gemeinsame Veranstaltungen vorschlug. Diese
Berührungsängste würden allmählich
verschwinden. Den Grund sieht er in der entspannteren politischen
Lage und in der allgemeinen Globalisierung. "Unter anderem hat auch
das Kabelfernsehen Israel weltoffener, was eben auch heißt,
Deutschland gegenüber offener gemacht." Viel häufiger als
früher gebe es Veranstaltungen außerhalb des
Hauses.
Vor allem Berlin übt eine starke
Anziehungskraft auf junge Israelis aus. Auf Kurztrips spüren
sie dort den Spuren der Geschichte nach. So machen sie dann eben
auch Bekanntschaft mit dem Deutschland von heute. Nach Hamburg oder
München wäre früher kaum jemand zu einem Ausflug
gefahren, bei Berlin aber ist das anders. Die Stadt macht
neugierig. Sie befindet sich in Deutschland, ist aber eine
europäische Metropole. Und immer mehr junge Israelis, deren
Eltern oder Großeltern aus Deutschland stammen, machen heute
von ihrem Anspruch auf einen deutschen Pass Gebrauch, der zum
Aufenthalt in der EU berechtigt. Dahinter stecken keine neu
entdeckte Liebe zum Alten Kontinent, sondern ganz pragmatische
Gründe. In vielen EU-Ländern kann man gebührenfrei
studieren. Der Wunsch nach einem zweiten Pass aber hat auch mit der
schwierigen Lage im Nahen Osten zu tun. Ein EU-Pass also für
alle Fälle. "Die EU hat keine klare Identität. Da kann
sich auch ein Israeli zurechtfinden", befand die Tageszeitung
Maariv. Deutschland geht dort ein wenig unter.
Jene, die seit Jahren mit dem Jugendaustausch
zwischen beiden Ländern beschäftigt sind, kennen
allerdings auch die Kehrseite der gestiegenen Mobilität und
Globalisierung: Heute ist es schwieriger als vor etwa 20 Jahren,
Teilnehmer für den Austausch zu gewinnen. Es sei zum Beispiel
ein ganz anderer Reisemarkt entstanden, den man bei der Planung mit
berücksichtigen müsse, stellt Ursula Kopp vom
Bundesjugendministerium fest. Denn wenn man heute von Berlin nach
Madrid schon für 19 Euro fliegen könne, dann brauche man
schon gute Gründe, um sich einer organisierten Gruppe
anzuschließen. "Die Entfremdung hat zugenommen - auf beiden
Seiten", beklagt auch Michael Cares vom evangelischen Jugendwerk.
Als Grund führt er die veränderten
Lebensverhältnisse der Jugendlichen an, zu denen auch die neue
ethnische Zusammensetzung der deutschen Gesellschaft gehöre.
Kinder von türkischen Gastarbeitern wollen sich nicht mit der
Shoah beschäftigen. Viele Jugendliche verplanten ihre Freizeit
außerdem zunehmend nach Verwertungsmotiven; ein Sprachkurs in
England sei unter diesem Gesichtspunkt attraktiver als ein
Israel-Aufenthalt. Deshalb müsse man heute "höhere
Hürden" überwinden als früher, um Jugendliche
für einen Austausch zu gewinnen, sagt Cares, "aber wenn er
stattfindet, wird daraus ein Selbstläufer. Wer sich auf Israel
einlässt, kommt davon nicht mehr weg."
Den Jugendaustausch gab es schon, bevor 1965
erstmals Botschafter ausgetauscht wurden. Konrad Adenauer und David
Ben Gurion hatten sich dafür eingesetzt, der deutsche Kanzler
hatte das deutsch-französische Jugendwerk als Modell im Auge.
Später zog es viele Deutsche nach dem Abitur in den Kibbuz,
oder sie meldeten sich für den Freiwilligendienst bei Aktion
Sühnezeichen, die gerade ihr 42-jähriges Bestehen in
Israel gefeiert hat. Die Anziehungskraft war groß - über
den Abgrund der Shoah hinweg.
Nachdem die Intifada in den letzten Jahren
viele deutsche Besucher abgeschreckt hat, geht der Trend jetzt
erstmals wieder nach oben. Rund 200 Projekte sind für 2005
geplant, Städtepartnerschaften nicht mitgerechnet.
Überzeugungsarbeit gehört auf beiden Seiten im Vorfeld
dazu: Oft müssen die Eltern überredet werden, wenn sie
ihre Zöglinge nicht ins gefährliche Israel fahren lassen
wollen. Angst prägt auch viele Israelis, die sich vor
Antisemitismus in Deutschland fürchten. Francoise Cafri, die
in der Jerusalemer Stadtverwaltung seit 20 Jahren für den
Jugendaustausch verantwortlich ist, weiß um das negativ
geprägte Deutschlandbild in Israel. "Es war nie leicht und
wird es auch nicht sein, Jugendliche nach Deutschland zu bringen",
sagt sie. Man versuche ganz gezielt, nicht nur die Eliten, sondern
alle Bildungsschichten für eine solche Reise zu gewinnen.
Allein aus Jerusalem fahren jedes Jahr immerhin 10 bis 15 Gruppen
nach Deutschland. Dass die Teilnehmer heute der dritten oder sogar
vierten Generation der Nachkommen von Holocaust-Überlebenden
angehören, mache den Umgang mit Deutschland leichter. Der
Generationenwechsel eröffnet neue Formen der Erinnerung. Waren
bis vor wenigen Jahren die Deutschen bei Erinnerungszeremonien in
KZs ausgeschlossen, so seien die Jugendlichen heute "Partner in der
Erinnerung".
Die Vergangenheit sei nach wie vor der
Grundstein der deutsch-israelischen Begegnung, betont Michael Cares
vom protestantischen Jugendwerk. Die Unmittelbarkeit von Geschichte
mache den Austausch einzigartig. Dennoch sucht man im gemeinsamen
Ausschuss nach Themenfeldern, die für die Jugendlichen aus
beiden Ländern relevant und Zukunftsgerichtet sind. So wurde
2006 auf deutschen Wunsch unter das Motto "Migration und
Partizipation" gestellt.
Die treibende Kraft hinter dem
Jugendaustausch ist die deutsche Seite. Dort ist der Stellenwert
solcher Reisen viel höher als in Israel. Als das israelische
Erziehungsministerium vor zwei Jahren neue Richtlinien für
Gruppenreisen einführte, protestierten die deutschen Partner.
Strengere Sicherheitsmassnahmen hatten gefordert, auch jede
kleinste Programmänderung erst bei der israelischen Botschaft
in Berlin genehmigen zu lassen. Außerdem sollte die Reise
ausschließlich vergangenheitsgerichtet sein.
Das Ungleichgewicht ist spürbar. So
wünschte man sich von deutscher Seite mehr israelisches
Engagement, wenn es etwa um die Aufnahme von deutschen Jugendlichen
in Gastfamilien geht. Das Wort "Einbahnstraße" fällt oft,
wenn die Schwachpunkte des Jugendaustauschs angesprochen werden.
Doch selbst wenn die Treffen zwischen Jugendlichen
hauptsächlich in Deutschland stattfinden, sind sie eine
immense Bereicherung für die Teilnehmer. Davon ist zumindest
Hila Lahar überzeugt, die schon als Kind oft mit ihrem Vater
Deutschland besucht hat. Im vergangenen Jahr begleitete die
25-jährige Israelin aus Holon erstmals eine Gruppe nach
Leipzig. "Bridges through art" hieß das Programm, das Musiker,
aber auch Tänzer oder Sänger aus beiden Ländern
zusammenbringen sollte. Die Teilnehmer waren zwischen 14 und 16
Jahre alt und zuvor fast alle schon einmal im Ausland gewesen und
hatten nicht daran gedacht, nach Deutschland zu fahren,
erzählt Hila. "Solche Reise verändert die Leute, in beide
Richtungen, Vorurteile werden abgebaut, man lernt sich von Menschen
zu Mensch kennen. Hinterher stellte man erleichtert fest, dass die
Deutschen ja gar nicht kalt und pedantisch seien." Oft werde sie
gefragt, warum sie immer wieder nach Deutschland fahre. Dann
antwortet sie, dieses Land sei nicht so, wie es im Fernsehen
aussehe, und jeder Israeli, der fahre, die Funktion eines kleinen
Botschafters habe.
Dass sich einmal geknüpfte Kontakte oft
ein Leben lang erhalten, bestätigt Francoise Kafri von der
Jerusalemer Stadtverwaltung. Viele ehemalige Teilnehmer besuchen
sich noch nach Jahren und laden sich gegenseitig auf ihre Hochzeit
ein. Sie hält es für äußerst wichtig. dass sich
beide Staaten weiter in diesem Bereich engagieren. Viele, die am
Jugendaustausch teilgenommen hätten, seien künftige
Entscheidungsträger. Und Reisen in diesem Alter prägten
fürs Leben.
Gisela Dachs ist Israel-Korrespondentin der
Wochenzeitung "Die Zeit".
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