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Thomas R. Henschel
Gemeinsam am schwierigen Mosaik arbeiten
Junge Deutsche versuchen, mit kreativen
Projekten den Friedensdialog nicht abreißen zu
lassen
Auf einmal wird es ruhig. Friedlich liegt die Straße vor
einem und man lässt das quirlige, laute und lebendige
Jerusalem einfach hinter sich. Im Stadtteil Abu Tor stehen
schöne Einfamilienhäuser im gleißenden Licht der
Wintersonne und dort, wo sich der Blick über das Tal
öffnet, hat man einen atemberaubenden Blick über die
Altstadt von Jerusalem bis hinein in die Wüste. Irgendwo hier
müssen die Römer ihren Belagerungswall gehabt haben, als
sie Jerusalem angriffen und den Tempel zerstörten. Genau hier,
genau auf der grünen Linie, wollen wir zu einer einmaligen
Einrichtung, die junge Deutsche gemeinsam mit ihren Partnern aus
Israel und mit Palästinensern in mühsamer und
ausdauernder Arbeit aufgebaut haben.
Das Haus zeigt die typische, mit Jerusalemer Stein verkleidete
Fassade, ein unspektakulärer Bau, wäre da nicht seine
außergewöhnliche Nutzung. Die Politikwissenschaftlerin,
Repräsentantin der Jugendorganisation der Sozialdemokraten
(Jusos) in Jerusalem und Friedensfachkraft Heike Kratt leitet dort
seit Januar dieses Jahres als Koordinatorin das
Willy-Brandt-Zentrum für Begegnung und Verständigung. Das
Willy-Brandt-Zentrum ist ein einmaliges Projekt im Brennpunkt des
Konfliktes zwischen Israel und Palästina. Es gehört zu
den wenigen, aber dafür umso wichtigeren Projekten in Israel,
die versuchen, den Gesprächsfaden zwischen den verfeindeten
Parteien trotz der immensen Schwierigkeiten und des täglichen
Terrors nicht abreißen zu lassen. Auf Initiative der Jusos
gegründet, reicht das Projekt bis in das Jahr 1996 zurück
und wurde mit entschiedener Ausdauer zur Eröffnung im Oktober
2003 gebracht. Politische Partnerorganisationen der Jusos in Israel
und den palästinensischen Gebieten tragen gemeinsam mit den
Deutschen diese Initiative, wobei die finanzielle Hauptlast auf
deutscher Seite liegt. Es reicht einfach nicht, so das Credo des
zehnköpfigen trilateralen Teams im Zentrum, dass die
große Politik miteinander spricht - so sie dies überhaupt
tut - und über Krieg und Frieden entscheidet. Frieden entsteht
nur dann und dort, wo die Menschen sich kennen und
wertschätzen lernen können. Wo aus Feinden zwar keine
Freunde, aber zu respektierende Andere werden, die das gleiche
Recht auf ein Leben in Frieden und Freiheit haben, wie man selbst.
Die gleiche politische, also sozialdemokratische Ausrichtung, auch
wenn sie sich im gegnerischen Lager wieder findet, soll das
verbindende Element sein, auf dem der Dialog belebt werden kann.
Dabei hat gerade das Politische durch die Erfahrungen einer ganzen
Generation auf beiden Seiten des Konfliktes fast jedes positive
Ansehen verloren. Junge Israelis und Palästinenser sind gleich
tief enttäuscht von einer Politik, die die beiden Seiten immer
weiter in den Teufelskreis aus Terroranschlägen,
Vergeltungsmaßnahmen, wirtschaftlichem Niedergang und
persönlichen Tragödien hineingetrieben hat.
Heike Kratt, die jetzt in Jerusalem wohnt, hat sich einiges
vorgenommen für ihren zweijährigen Einsatz im
Willy-Brandt-Zentrum. Sie will, sagt sie, die aktuellen, vorsichtig
optimistisch stimmenden Veränderungen auf höchster
politischer Ebene nutzen, um in diesem Jahr bilaterale Treffen und
Seminare zwischen Palästinensern und Israelis im Zentrum
stattfinden zu lassen. Die bisherige Situation ließ das meist
nicht zu. Die Palästinenser konnten wegen der
Reisebeschränkungen nicht nach Jerusalem kommen, und auch die
gegenseitige Bereitschaft von Israelis und Palästinensern,
gemeinsam an Projekten zu arbeiten, war angesichts der - wie man
hier sagt - "Situation" äußerst eingeschränkt. Viele
Projekte, die während des Frie-densprozesses in den
90er-Jahren entstanden waren, haben irgendwann entmutigt aufgegeben
oder muss-ten, ohne weitere Förder- und Finanzmittel, das
Handtuch werfen. Nur wenige Initiativen haben die zweite Intifada
und den Terror überlebt. Das Willy-Brandt-Zentrum ist eine
davon.
Das liegt vielleicht auch daran, dass man hier neue Wege
beschreitet bei dem Versuch, der zerstörerischen Gewalt zu
entkommen. Man lässt sich beispielsweise auf die
gesellschaftliche Trennung ein und richtet seine Angebote
entsprechend aus, um von dort aus die Grundlagen für
Gemeinsamkeiten bei den beiden Bevölkerungsgruppen zu
erarbeiten. Adeeb Salim, der Entwicklungshilfe studierte, hat sein
Leadership-Training für junge Palästinenser mit acht
jungen Frauen und Männern am Zentrum durchgeführt. Sein
Ansatz, den Fokus des Projektes auf die Auseinandersetzung mit der
eigenen Identität und der eigenen Gesellschaft zu legen,
stellte für viele der Teilnehmenden ein völlig neues
Erlebnis dar. Damit konnte die verflixte Fokussierung auf den
"Anderen", den "Gegner" überwunden und, wie die Teilnehmenden
selbst sagen, eigene Kreativität angeregt und damit auch zu
einem aktiven und kritischen Engagement in der eigenen Gesellschaft
ermutigt werden. Yair Bortinger, Student der Politik-wissenschaft
in Tel Aviv, hat den gleichen Workshop für die Israelis
geleitet. Neben der Vermittlung von Kommunikations- und
Redefähigkeiten lag ein Schwerpunkt auf der Auseinandersetzung
mit unterschiedlichen Geschichtsnarrativen der
palästinensischen und israelischen Seite. Hier konnte Yair an
eines der langfristigen Projekte anknüpfen, die der
Gründungskoordinator Matthias Reiz initiiert hatte. In
getrennten Gruppen haben Israelis und Palästinenser Fotos
ausgesucht, die ihr Geschichtsverständnis ausdrücken. Die
Bilderauswahl hätte unterschiedlicher nicht ausfallen
können, und dennoch gibt es erstaunliche Parallelen. Die
israelische Auswahl beinhaltet immer auch Bilder aus der Zeit des
Dritten Reiches in Deutschland, um dann über die
Staatsgründung und die Nahost Kriege, den Friedensprozess zur
Intifada zu gelangen. Die palästinensische Auswahl umfasst
beispielsweise, die Flüchtlingslager, die Situation in den
"Gebieten" ebenso wie Bilder von den Grenzübergängen,
aber eben auch Bilder von Friedensbemühungen, zum Beispiel
Clinton mit Rabin und Arafat vor dem Weißen Haus. Solche
Seminare sollen jungen, politisch engagierten Menschen Wege
für ein Miteinander im Nahen Osten zeigen.
Die Arbeit des Willy-Brandt-Zentrums hat noch eine weitere,
wichtige Dimension: Hier engagieren sich junge Deutsche, um in der
Zusammenarbeit mit beiden Konfliktparteien ihren Beitrag zum
Friedensprozess leisten zu können. Dabei, so die Erfahrung von
Heike Kratt, werde sie gerade als Deutsche von beiden Seiten
akzeptiert. In den Gesprächen mit den Israelis spielen die
deutsche Geschichte und der Holocaust selbstverständlich eine
wichtige Rolle. Doch in Israel weiß man sehr gut, welchen
bedeutenden Beitrag Deutschland als Freund und Partner Israels
leistet. Umgekehrt wird den Deutschen des Willy-Brandt-Zentrums
auch von palästinensischer Seite Vertrauen entgegengebracht.
Deutschland gilt als starker und verlässlicher Partner beim
Aufbau eines palästinensischen Staates, der diesen Namen
verdient. Mit diesem Vertrauensvorschuss und dem Ruf als
zuverlässiger Partner auf beiden Seiten haben die jungen
Deutschen im Zentrum eine einmalige Möglichkeit, die Gegner in
konkreten Projekten zum Dialog miteinander zu bringen.
Trotz aller Schwierigkeiten gab es auch ein trilaterales
Projekt, eigentlich eine kleine Sensati-on in der derzeitigen
Situation: Unter der Leitung der Pädagogin Margaret Kirri und
der US Künstlerin Jeanette Auman hat eine Gruppe von
deutschen, israelischen und palästinensischen Frauen gemeinsam
ein Mosaikbild erstellt. So unspektakulär dies klingen mag,
für alle Beteiligten war das gemeinsame künstlerische
Arbeiten und die Möglichkeit, das fertige Mosaik dann rahmen
und ausstellen zu lassen, ein ganz neues Erlebnis. Alle erlebten
damit - oftmals zum ersten Mal in ihrem Leben - jemanden aus dem
gegnerischen Lager als Mitarbeiterin an einem gemeinsamen Projekt.
Und es scheint bezeichnend, dass es ein Frauenprojekt ist, das
diesen Brückenschlag geschafft hat.
Solche Erfolge sind nicht zuletzt der Atmosphäre zu
verdanken, die das Zentrum prägt: Weder Friedenspathos noch
depressiver Fatalismus, sondern ein umtriebiges Projektmanagement
wirbelt durch die Treppen, Räume und den umlaufenden Balkon
des Zentrums. Realismus, Augenmaß und die Kunst der kleinen
Schritte prägen das Haus. Schon die Eröffnungsfeier im
Oktober 2003 verlangte umsichtiges Krisenmanagement. Wieder einmal
hatte es neue Anschläge gegeben, wieder hatte die israelische
Regierung mit den entsprechenden Vergeltungsschlägen und der
Androhung neuer Gewalt reagiert. Folgerichtig weigerten sich
Israelis und Palästinenser, gemeinsam zur feierlichen
Eröffnung zu kommen. Die Deutschen organi-sierten zwei
getrennte Eröffnungen. Am Vormittag kamen die
Palästinenser, was schon aufgrund der Reisebeschränkungen
und -unsicherheiten geboten und der einzige praktikable Weg gewesen
war, und am frühen Abend dann die Israelis. So konnte die
Eröffnungsfeier an einem Tag stattfinden, mit allen Partnern.
Die deutschen Ehrengäste, darunter auch Mitglieder des
deutschen Bundestages und der damalige Gründungskoordinator
Matthias Reiz, erlebten damit hautnah, was es bedeutet,
Verständigung im Nahen Osten herstellen zu wollen.
Kreativität und der Mut zu unkonventionellen Methoden (alle
Deutschen mussten ihre Reden zweimal halten), sind die Kraft, die
solche zivilgesellschaftlichen Engagements antreibt.
Soll dieses Engagement langfristig und nachhaltig Erfolg haben,
so erfordert dies jedoch Kontinuität. Junge Palästinenser
brauchen einen Platz, an dem sie sich treffen, ihre Gedanken
austauschen und einfach auch mal einen Tee trinken können. Die
Idee eines Jugendclubs im Zentrum könnte all diese
Bedürfnisse Wirklichkeit werden lassen.
Noch fehlen die nötigen Gelder, um ein entsprechendes
Angebot einrichten zu können. Vielleicht, so Heike Kratt,
müsse man mittelfristig eher dezentral arbeiten und die Idee
eines offenen Hauses in Jerusalem für alle aufgeben. Die
Finanzierung ist nur für die nächsten zwei Jahre
gesichert, zu wenig Zeit für die Schaffung von Frieden in
einem Land, das seit Jahrtausenden mit Krieg, Terror und Gewalt
überzogen wird.
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