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Jörg Bremer
"Nur unabhängig sind wir stark"
Deutsche Protestanten in Jerusalem zwischen
allen Stühlen
Die israelisch-deutschen Beziehungen haben ihre Vorgeschichte.
Dazu gehören nicht nur Shoah und Weltkrieg, nicht nur die
reichen wie zwiespältigen deutsch-jüdischen Beziehungen.
Israel erbte auch Beiträge vor allem kirchlichen Engagements
im arabischen Palästina. Einiges blüht bis heute, so die
evangelische deutsche Erlöserkirche in Jerusalem mit ihren
Institutionen wie der Himmelfahrtkirche auf dem Ölberg. Die
meisten Erbstücke gingen im israelischen
Unabhängigkeitskrieg verloren: die Siedlungen der
freikirchlichen Templer aus dem Württembergischen. Oder das
"Syrische Waisenhaus" der Schneller-Stiftung; einst so groß
wie die Jerusalemer Altstadt. Israels Armee besitzt derzeit diesen
Komplex. Die Gebäude werden wohl nicht mehr zurückkehren,
auch wenn dazu eine Kirche gehört, deren
Eigentumsübertragung vor Gericht anfechtbar wäre.
Mit Israels Unabhängigkeitskrieg verloren die
Kaiserswerther Diakonissen ihre Mädchenschule Talitha Kumi im
Zentrum Westjerusalems. Nur noch der Uhrengiebel erinnert an sie.
In den 70er-Jahren eröffneten die Schwestern dann über
Bethlehem in Beit Jala eine neue Talitha-Kumi-Schule für
arabische Jungen und Mädchen, die heute das Berliner
Missionswerk trägt. Nun bedroht Israel auch diese Einrichtung.
Nach den jetzigen Plänen könnte der Trennzaun längs
der Siedlerstraße nach Hebron den Zugang für
palästinensische Schüler und Lehrer aus Nachbarorten
versperren. Talitha Kumi würde von Jerusalem abgeschnitten.
Bundespräsident Köhler und Außenminister Fischer
setzen sich bei Ministerpräsident Scharon für Talitha
Kumis Zukunft ein.
Stets hat im krisengeschüttelten Nahen Osten die Politik
entscheidenden Einfluss auf die Möglichkeiten religiöser
Institutionen genommen. Das dürfte so bleiben: Was will
Israel? Wie sieht das zukünftige "Palästina" aus. Die
Zukunft Jerusalems? Die Palästinenser fordern den arabischen
Teil. Bisher verteidigen aber alle israelischen Regierungen die
1980 zumindest gesetzlich vollzogene "Einheit" als "ewige
Hauptstadt" und verbauen das arabische Jerusalem. Wenn Jerusalem
allein israelisch wird, wohlmöglich mit Mauern und Siedlungen
abgeschottet gegen die arabischen Dörfer, dann würden die
Bande zwischen den Kirchenführern in der Stadt und den
Gemeinden draußen eingeschränkt. Im anderen Fall
würde Ostjerusalem zu "Palästina" gehören. Das
wäre für die arabischen Christen kein Gewinn. In
Palästina soll nach jetzigen Plänen das muslimische
Familien- und Religionsrecht der Scharia herrschen.
Palästinensische Christen gerieten im eigenen Staat in
Bedrängnis.
Um die deutsche Gemeinde möglichst aus diesen politischen
Konflikten herauszuhalten, ist es wichtig, ihre Unabhängigkeit
zu bewahren. Dafür sollte sie ranghoch geführt und von
Deutschland aus gestärkt werden. Es handelt sich übrigens
nicht nur um zwei Kirchengebäude und ihre Gemeinde, sondern um
ein kulturpolitisch wichtiges Zentrum, was sich leicht aus dem
vierteljährlich erscheinenden Gemeindebrief mit all den
Angeboten erkennen lässt. Dieses Zentrum öffnet sich
über die Gemeindeglieder hinaus den Israelis und Arabern;
bietet ein Forum, wo sich beide angefeindete Seiten treffen, ohne
sich von der einen oder anderen Seite vereinnahmt zu fühlen.
Ausstellungen, Kolloquien, Konzerte, zwischenreligiöse
Begegnungen stehen neben den Gottesdiensten auf dem Programm.
Darauf weisen auch die deutsche Botschaft in Tel Aviv und das
Vertretungsbüro in Ramallah hin, die auch mit katholischen
Mitarbeitern zur Erlöserkirche kommen, und sei es nur wegen
der Kindergottesdienste.
Nach ihrer Aufgabe sind die Erlöserkirche und die
Himmelfahrtkirche keine Missionskirchen. Die Missionskirchen wurden
nicht wie die anderen Kircheneinrichtungen der Vergangenheit
dafür geschaffen, örtlichen Arabern, meist
griechisch-orthodoxen Christen, eine neue Kirchenheimat zu geben.
Sie sollten den deutschsprachigen Christen am Ort und aus der
Heimat dienen. Darum ist die Kirche die "Botschaft" der
"Evangelischen Kirche Deutschlands" (EKD) und Heimat für
Millionen deutscher Protestanten. Ihr Botschafter ist der
Propst.
Bis zum Sechs-Tage-Krieg 1967 schien es so, als würden
wegen der Jerusalem durchschneidenden Mauer kaum mehr Deutsche in
das jordanische Ostjerusalem kommen. Darum wurde in den 50er-Jahren
die neben der kleinen deutschen Gruppe gewachsene arabische
Missionsgemeinde in der Erlöserkirche besonders gefördert
und in die Unabhängigkeit entlassen; ähnlich wie die
arabischen Gemeinden in Bethlehem, Beit Sahur, Ramallah oder Beit
Jala. 1959 fand die erste Synode der "Evangelisch-lutherischen
Kirche in Jordanien" (ELCJ) statt, die diese arabisch-lutherischen
Gemeinden zusammenfasste. Ihr Oberhirte blieb zunächst der
deutsche Propst, der arabische Pastoren unter sich hatte. Von 1967
an aber kehrten die Deutschen in großer Zahl zurück.
Ostjerusalem war wieder für Botschaftsangehörige aus Tel
Aviv oder für Volontäre der "Aktion Sühnezeichen"
erreichbar. Das beschleunigte den Abtrennungsprozess. 1977 kam es
zur verwaltungsmäßigen Loslösung der ELCJ von der
Propstei. Zwei Jahre später erhielt die ELCJ ihren eigenen
Bischof. Weil sich arabische und deutsche Kirche "brüderlich"
trennten, unterblieb der Bau einer separaten Bischofskirche. Die
Propst-Gemeinde, die arabische Ortsgemeinde und ihr ELCJ-Bischof
nutzen bis heute die Erlöserkirche und die Propstei.
Doch mittlerweile will dieser Bischof mehr sein als der Propst,
und die Erlöserkirche soll mehr Bischofs- als Propstkirche
sein. Das schafft Probleme mit der Propst-Gemeinde, die ihre
Identität und ihren Auftrag wahren will. Der derzeitige
palästinensische Bischof der ELCJHL (Evangelisch-Lutherische
Kirche in Jordanien und im Heiligen Land) versucht in seiner
Autorität als Vizepräsident des Lutherischen Weltbundes
seine Vormacht auszubauen. Schon ordnete er sich andere
nichtarabische Gemeinden unter: die englischsprachige oder die
dänische, die in der "Johanniter-Kapelle" der
Erlöserkirche ihre Gottesdienste abhalten.
Die EKD steht dabei mehr auf Seiten des arabischen Bischofs und
beugt sich dem Druck der lutherischen Kirchen. Die EKD will mit dem
Lutherischen Weltbund eine "Kirchengemeinschaft" eingehen. Davor
aber will der Bund in Jerusalem - wie in Timbuktu oder Kinshasa -
das Primat der Ortskirche vor den Ausländergemeinden
durchsetzen. In Jerusalem sollen sich alle Protestanten dem
palästinensischen Ortsbischof unterstellen. Aus Sicht der EKD
scheint die liturgische Unterordnung des Propstes beim Segen
annehmbar. Dass so für Gottesdienstbesucher der Propst-Status
als Kirchenführer und Hausherr unterminiert wird sowie die
Unabhängigkeit seiner Gemeinde in Zweifel gerät, wird
übersehen. In arabischen Zeitungen wird der Bischof gern als
Chef aller Protestanten und der Erlöserkirche zitiert. In
Israel fällt das auf: es ist feindlich von "Arabisierung" die
Rede.
Unter den verschiedenen evangelischen Auslandsgemeinden in
Jerusalem sollte die Propstkirche weiter eine Sonderrolle spielen.
Zu ihr und ihrem Gemeinderat gehören Menschen aus Israel und
aus den palästinensischen Gebieten. Die deutschsprachige
Kirche steht auch wegen ihrer einzigartigen Immobilien für
sich, Gebäuden, die Begierden wecken. Zudem hat die
Propstgemeinde mit dem lutherischen Bischof schon deswegen nichts
zu tun, weil sie nicht nur Lutheraner, sondern Protestanten aller
Art umfasst. Sie sieht sich mit Blick auf die politische Situation
theologisch, seelsorgerisch und kulturpolitisch geradezu gezwungen,
ihre Eigenständigkeit zu verteidigen.
Aus der deutsch-jüdischen Historie ergibt sich eine
besondere Beziehung deutscher Protestanten und der Propst-Kirche zu
jüdischen Strömungen: Aus der "Wissenschaft des
Judentums" im 19. Jahrhundert erwuchsen nichtorthodoxe Gemeinden.
So hegt zum Beispiel die liberale um die Nachfolger von Schalom
Ben-Chorin in Jerusalem freundschaftliche Bindungen zum Propst. Es
bleibt die schwere Last des Holocaust. Die Propst-Gemeinde nimmt
Anteil an Israels Gegenwart. Sie bemüht sich um Yad Vashem.
Der Propst legt am Ort von Terroranschlägen Blumen nieder.
Weil die Gemeinde ihren Platz in Israel ernst nimmt, wird sie
auch von Israelis ernst genommen, wenn sie sich für
palästinensische Belange einsetzt. Und darin sieht sie ihre
Hauptaufgabe. Fast alle Sozialhilfen fließen in den arabischen
Sektor, es gibt enge Kooperationen mit arabischen Partnern.
Gemeinderäte arbeiten mit syrisch-orthodoxen Christen in
Bethlehem oder mit arabischen Diabetes-Kranken zusammen. Wie schon
beschrieben, zieht die Schule Talitha Kumi Nutzen daraus, weiter in
deutscher Trägerschaft zu sein. Die Rückendeckung der
Gemeinde und ihrer Institutionen durch die Bundesregierung ist
stärker als jede internationale oder lokale
Kirchenorganisation.
Eine unabhängige Propst-Kirche wird der arabischen
Bischofskirche, die leider seit den Abwanderungen wohl nur noch gut
1.000 Mitglieder zählt, besser helfen können als eine
internationalisierte Weltbundkirche. Unabhängig kann der
Propst auch besser Schutz und Hilfe gewähren, sollte sich die
arabische Kirche dem muslimischen Scharia-Gesetz unterwerfen
müssen, sagt die Gemeinde. Auch theologisch sollte die
Gemeinde für sich bleiben: als einziger Ort, an dem die
Lutherbibel in Urfassung gelesen und interpretiert wird. Die
Gemeinde sieht sich nicht als Gast. Und das nicht nur wegen ihrer
Tradition, die sich über Kaiser Wilhelm II. und die
württenbergischen Templer, über den Johanniter-Orden bis
auf Karl den Großen zurückverfolgen ließe. Sie ist
"einheimisch" wegen der einzigartigen Magnetkraft der Heiligen
Stadt Jerusalem. Sie ist immerwährende Präsenz der
EKD-Glieder und vertritt jene, so wie die Benediktiner der Dormitio
auf dem Sion die deutschen Benediktiner vertreten und gar nicht
daran denken, daran etwas zu ändern. "Der Propst hat nur einen
Platz, und der ist zwischen den Stühlen", sagte einst Propst
Friedrich, heute bayerischer Landesbischof. Allein diese
einzigartige Präsenz ist Angebot zu "Versöhnung und
Aufklärung", stellt eine Entschließung der Gemeinde
fest.
Einst lehnte Bischof Gregor von Nyssa Reisen ins Heilige Land
ab. Der Heilige Geist wehe auch in Kappadozien, sagte der
byzantinische Geistliche. Als der Kirchenvater dann doch kam,
packte ihn dies: Er atme das heilige Geschehen ein, ähnlich
wie den Duft des Parfums im leeren Flakon. Dieses Erlebnis will die
deutsche Gemeinde weiter bereit halten und bietet der EKD an, dies
Angebot stärker als bisher zu nutzen, um Christen im
deutschsprachigen Raum zur Bibel zurück zu bringen. Sie kann
sich aber nicht auf Internationalisierungen einlassen. Sie kann nur
auf ihr geachtetes Erbe bauen, auf ihren kulturpolitischen und
theologischen Auftrag für die Zukunft und auf den Schutz der
Bundesregierung. Die baute stabile Beziehungen zum Staat Israel und
vertritt glaubwürdig palästinensische Interessen. Sie tut
im Großen, was die Propst-Gemeinde im Kleinen leisten
will.
Jörg Bremer ist FAZ-Korrespondent für Israel und die
palästinensischen Gebiete.
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