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Susanne Kailitz
"Die Nationalsozialisten haben nicht
gewonnen"
Das Leo Baeck Institut begeht sein
50-jähriges Bestehen
Auf den ersten Blick ist der Raum ein wenig enttäuschend:
Schlicht und funktional ist er eingerichtet, mit einfachen
weißen Tischen, kahlen Wänden und einem Regal. In den
Blick fallen die klobigen Mikrofilm-Lesegeräte. Von
klassischer Archivatmosphäre mit vollgestopften Regalen,
Holzschreibtischen und grünen Glaslampen ist der
öffentliche Lesesaal des Jüdischen Museums weit entfernt.
Im dritten Stock des Libeskind-Baus in der Berliner
Lindenstraße geht es nicht um Gemütlichkeit, im
Mittelpunkt steht Funktionalität. Wer sich jedoch daran macht,
die Schätze zu bergen, die das Archiv bereithält, der
vergisst die Umgebung um sich herum schnell.
2.000 Mikrofilme stehen den Besuchern der deutschen Dependance
des Leo Baeck Instituts (LBI) zur Verfügung, mehr als 1.200
Memoiren und über 18.000 Fotografien. Doch hinter den
beeindruckenden Zahlen steckt mehr: Das Archiv enthält private
und öffentliche Dokumente, literarische Nachlässe,
Familien- und Geschäftsurkunden, die Einblick in nahezu alle
Lebensbereiche der deutsch-jüdischen Geschichte geben. Dies
ist das Anliegen des Leo Baeck Instituts - hier soll eine ins Exil
getriebene Kultur dokumentiert werden. Georg Heuberger, Direktor
des Jüdischen Museums Frankfurt am Main und Vorsitzender des
Vereins der Freunde und Förderer des Leo Baeck Instituts: "Das
LBI ist ein historisches Forschungsinstitut, dessen Anliegen es
ist, das deutsch-jüdische Erbe zu erhalten; das, was vor 1933
als deutsch-jüdische Symbiose bezeichnet wurde."
In dieser Aufgabe ist die deutsche Dependance, die 2001 im
Jüdischen Museum eingerichtet wurde, allerdings nur eine
Zweigstelle: Der Hauptsitz des Instituts befindet sich in New York,
in Jerusalem und London werden weitere Arbeitszentren unterhalten.
"Die Arbeitszentren wurden dort eingerichtet, wohin die meisten
deutschen Juden nach 1933 emigriert waren", erklärt Frank
Mecklenburg, Director of Research und Chief Archivist der New
Yorker Einrichtung, die ihren Sitz im Center for Jewish History
hat. Dort haben sich fünf bedeutende Institutionen der
jüdischen Geschichte räumlich zusammengeschlossen: das
LBI, die American Jewish Historical Society, die American Sephardi
Federation, das Yeshiva University Museum und das YIVO Institute
for Jewish Research. Mecklenburg ist der Hüter der
LBI-Bibliothek in der 16. Straße in New York, die mit mehr als
70.000 Bänden über die weltweit umfangreichste
Spezialsammlung zur Geschichte des deutschsprachigen Judentums
verfügt. Ein Großteil dieser wertvollen historischen
Schätze ist mittlerweile auf Mikrofilm archiviert, viele der
Originale stellt das LBI Museen für Ausstellungen zur
Verfügung.
Ins Exil getriebene Kultur bewahren
Wie erfolgreich und wichtig die Arbeit des Instituts sein
würde, hatte bei seiner Gründung im Jahr 1955 wohl
niemand ahnen können. Das Anliegen der zum Exil gezwungenen
Gründer des Instituts - unter ihnen Martin Buber, Max
Grunewald, Hannah Arendt und Robert Weltsch - war es, die
verstreuten Reste ihrer zerstörten Kultur zu retten und so
viel Material wie nur irgend möglich zu retten, um es als
Zeugnis ihrer wechselvollen Geschichte zu bewahren. Zum ersten
Präsidenten der Einrichtung ernannten sie den Rabbiner Leo
Baeck. Er wurde 1873 in Lissa geboren, wirkte ab 1912 als Rabbiner
in Berlin und hielt Vorlesungen an der Hochschule für die
Wissenschaft des Judentums. Während der Zeit des
Nationalsozialismus war Baeck Leiter der Reichsvereinigung der
Juden in Deutschland. Der liberale Rabbiner, der vielen Juden die
rechtzeitige Auswanderung ermöglichte, wies selbst alle
Angebote, zu emigrieren und im Ausland zu lehren, entschieden
zurück. 1943 wurde er nach Theresienstadt deportiert. Auch
dort kümmerte er sich - als Mitglied des Ältestenrates -
unter schwierigsten Bedingungen um die Gemeinde. Nach dem Krieg
lebte Baeck als Präsident der "Weltunion für Progressives
Judentum" in London und unterrichtete außerdem am Hebrew Union
College in Cincinnati.
Leo Baeck hatte den Holocaust überlebt - seine Hoffnungen,
dass dies auch der deutschen jüdischen Kultur gelungen sein
könnte, waren jedoch gering. 1945 schrieb er deshalb:
"Für uns Juden aus Deutschland ist eine Geschichtsepoche zu
Ende gegangen.
Eine solche geht zu Ende, wenn immer eine Hoffnung, ein Glaube,
eine Zuversicht endgültig zu Grabe getragen werden muß.
Unser Glaube war es, dass deutscher und jüdischer Geist auf
deutschem Boden sich treffen und durch ihre Vermählung ein
Segen werden können. Dies war eine Illusion - die Epoche der
Juden in Deutschland ist ein für allemal vorbei."
"Das", so Frank Mecklenburg, "ist in gewisser wahr. Das deutsche
Judentum, so wie es vor 1933 existiert hatte, gab es 1945 nicht
mehr. Und doch gibt es heute jüdisches Leben in Deutschland.
Die deutsche jüdische Gemeinde ist die weltweit am
stärksten wachsende. Die Nationalsozialisten haben nicht
gewonnen." Dafür sorgt inzwischen das LBI - mit der Hilfe
Überlebender und ihrer Angehörigen. "Erstaunlicherweise
haben wir mit immer größerem Abstand zum Holocaust immer
mehr Zustrom an Materialien. Die Angehörigen verstorbener
ehemaliger deutscher Juden bringen uns die Nachlässe, weil es
ihnen wichtig ist, dass die Sachen gesammelt und gewürdigt
werden."
Das bestätigt auch Manfred Wichmann, Mitarbeiter der
Historischen Sammlung im Jüdischen Museum Berlin. "Das Archiv
bekommt pro Jahr zwischen 400 und 500 Stiftungen. Oft ist es ja so,
dass die Angehörigen der Emigrierten in der zweiten oder
dritten Generation kein Deutsch mehr sprechen oder die
altertümliche Schrift nicht lesen können. Sie wollen
dann, dass die Sachen in diese wichtige Sammlung aufgenommen
werden. Die Überlebenden selbst wiederum begrüßen
es, dass ihre Dokumente jetzt durch die Berliner Dependance auch
wieder nach Deutschland kommen. Nur sehr wenige haben mit dieser
Rückkehr Probleme."
Das Furchtbare wie das Fruchtbare
Obwohl die Dokumente, die den Holocaust betreffen, in der
Sammlung breiten Raum einnehmen, stehen sie nicht im alleinigen
Mittelpunkt. Für Carol Kahn Strauss, Executive Director des
Leo Baeck Instituts, eine Selbstverständlichkeit: "Diese
Periode umfasst 13 Jahre einer 250-jährigen Geschichte. Man
kann die deutsch-jüdische Geschichte aber nicht verstehen,
wenn man sich allein darauf konzentriert. Gerhard Schröder hat
recht, wenn er sagt, man dürfe nicht nur das Furchtbare,
sondern müsse auch das Fruchtbare sehen. You know?"
Der kleinen Frau mit der großen Brille ist es ein
Herzensanliegen, dass mittlerweile so viele Menschen das Archiv des
LBI nutzen. "Das sind natürlich Leute, die Genealogie
betreiben. Aber es kommen auch viele, die an Literatur,
Architektur, Musik oder Feminismus interessiert sind und mit
unseren Dokumenten arbeiten. Es muss nicht immer um Einstein gehen
- die Juden haben einfach alle Lebens- und Wissenschaftsbereiche
geprägt. Sie sind ein bedeutender Teil der deutschen
Geschichte."
Susanne Kailitz ist Volontärin bei der Wochenzeitung "Das
Parlament".
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