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Birgitta Schulte
Ein fester Knoten im Netz der Beziehungen
Eine Frauenreise der Bundeszentrale für
Politische Bildung
Mit lachenden Augen lädt Kamal Zaken die
beiden deutschen Frauen ein, sich zu ihm an den hölzernen
Tisch draußen vor der Mensa zu setzen. Kamal studiert am
College Beit Berl, der größten
Lehrerausbildungsinstitution in Israel, aber neben seinem
Lehrerstudium engagiert er sich im Tel Aviver Frauenhaus. Mit
Aromatherapie und Fußreflexzonenmassage - in New York erlernt
- macht er erste Praxiserfahrungen als Therapeut. Den Frauen
freundlich gesonnen - der ist wohl extra für uns aufgetaucht",
lacht Ute Möhring, Teilnehmerin einer Reise der Bundeszentrale
für Politische Bildung (bpb), die zum ersten Mal eigens
für Frauen ausgeschrieben wurde.
Seit Jahren schon veranstaltet die bpb
zweiwöchige Gruppenreisen für deutsche Teilnehmer und
Teilnehmerinnen. Zielpublikum sind in der Regel Multiplikatoren:
Journalisten, Gedenkstättenpädagogen, Lehrer und in
jüngster Zeit auch bestimmte Berufsgruppen wie Wasserkundler,
Juristen oder Kommunalpolitiker.
Dieses Mal waren Frauen die Adressatinnen.
Sie haben ein spezifisches Interesse. Es richtet sich vor allem auf
die zivilgesellschaftlichen Strukturen in Israel. Da ist der
Nahost-Konflikt, und sie wollen mit Frauen sprechen, denn die,
weiß eine, sind in Konflikten sehr aktiv. Sie haben viel zu
verlieren: Als Mütter ihre Kinder, als Arbeitnehmerinnen ihre
Stellen, die Wirtschaft leidet unter Krieg und Mauerbau. Bei
sinkenden Staatseinnahmen wird im sozialen Bereich als erstes
gestrichen. So sind die Frauen, oft angewiesen auf
steuerfinanzierte Unterstützung, von Budgetkürzungen
besonders betroffen. Wieso machen viele den Tanz auf dem Vulkan so
lange mit?
Gleichzeitig beschäftigt diese
Teilnehmerinnen, was viele Deutsche fragen: Was ist das wahre Bild
hinter der pointierten Berichterstattung, die uns täglich
erreicht? Eine ist fasziniert von der hebräischen Sprache,
mehrere suchen den interreligiösen Dialog. Eine, 1967 geboren,
bedauert, dass ihr die Schule nicht vermittelt hat, was durch den
Holocaust für Europa verloren ging.
Beides, sowohl das allgemeine Interesse wie
auch der spezielle Frauenblickwinkel, findet sich im Programm der
Reise wieder. So gehören ein Besuch der Knesset und ein
Treffen mit dem "Anchorman" des israelischen Fernsehens, dem
Nachrichtenmoderator David Witzthum, ebenso zum Programm wie
Begegnungen mit höchst unterschiedlichen
Frauengruppen.
Immer wieder werden die Reisenden herzlich
bewirtet: von der nationalreligiösen "Emunah", die Stipendien
für Mädchen aus Russland aufbringt, von Frauen in der
Gewerkschaft, von der Gruppe "Achoti", die
Existenzgründungsprojekte für arbeitslose, arme Frauen
startet. Jüdinnen lybischer und iranischer Herkunft haben sich
unter diesem Namen (übersetzt: "meine Schwester")
zusammengeschlossen. Anhand ihrer Lebensgeschichten wird deutlich,
die Spaltungen in der Gesellschaft sind tief.
Das allgemeine Programm wird den
Teilnehmerinnen, so oft es geht, von Frauen präsentiert. Die
Reisen der Bundeszentrale für Politische Bildung haben als
Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte zur Zeit des
Nationalsozialismus begonnen. So ist ein Besuch in Yad Vashem
obligatorisch. Durch die Ausstellung mit Fotos der Shoah führt
Susan Cain, deren Familienschicksal zu den dort dokumentierten
zählt. Sie begleitet die Gruppe zum Memorial und dem Ort, der
speziell der Kinder gedenkt. Später wird es Hinweise auf eine
auch mögliche kritische Betrachtung israelischer
Erinnerungskultur geben.
Die Reisen der Bundeszentrale für
Politische Bildung sollen jüdische Geschichte und israelische
Gegenwart zu einem komplexen Bild der Gesellschaft verbinden,
innere Widersprüche und Konflikte sowie die Art und Weise, wie
die Gesellschaft damit umgeht, sichtbar machen.
Der friedliche Campus Beit Berl ist ein
Beispiel. In der Sharon-Ebene, der Wespentaille des Landes, in
großer Nähe zu den Straßensperren vor der Westbank
gelegen, ist die grüne Insel ein Ort der Begegnung. Es gibt
neben kleineren Instituten eine Pädagogische Hochschule, die
für das jüdisch-säkulare, und eine, die für das
arabische Schulwesen ausbildet.
Die jüdische Leitung, so Ursula
Scheffer, Vorsitzende des deutschen Fördervereins, war immer
stolz darauf, dass die arabische Institution unter kultureller
Autonomie für die Ausbildung von Lehrerinnen und Erzieherinnen
Sorge trug, während in der Studentenvertretung und da, wo es
um Budget-Verhandlungen und Lehrerkonzeptionen geht, Kooperation
geübt wird. Mehr als 80 Prozent der Studierenden sind Frauen.
Die zukünftigen Lehrerinnen, so erklärt Rektor Aaron
Seidenberg, sollen Trägerinnen der Idee sein, dass auf einen
Krieg die Verhandlungsphase folgen kann, dass sich Handel und
Wandel gemeinsam entwickeln lassen. "Aber wird sind weit entfernt
davon, Kinder unterschiedlicher Herkunft in einer Klasse
unterrichten zu können."
Der arabische Hochschullehrer Kussai Haj
Yehia bekennt: "Ich bin ein arabischer Israeli, aber zunehmend
fühle ich mich auch als Palästinenser." Die zweite
Intifada hat die Gräben tiefer werden lassen. Paradoxien, die
die "Sicherheitslage" erzeugt, will die bpb nicht ausblenden. Die
Reiseteilnehmerinnen erhalten die Gelegenheit, einen Checkpoint am
Stadtrand Jerusalems zu durchlaufen.
In Sichtweite der israelischen Soldaten
bildet sich plötzlich ein kleiner Auflauf. Zwei Gruppen
palästinensischer Jungen bauen sich voreinander auf. Es geht
um eine Sonnenbrille. Die Loyalität wechselt von dem, dem sie
gehörte, zu dem, der sie genommen hat, und wieder zurück.
Ein Junge, blasser, stiller, unsicherer als die anderen, wird
massiv eingeschüchtert. Immer wieder angegangen, wird er auch
immer wieder von einem anderen geschützt. Die Konstellationen
ändern sich, und am Ende laufen Zweier- und Dreiergruppen
albernd auseinander. Der Stress aber verliert sich nicht aus den
Gesichtern.
"Im Zuhause dieser Kinder gibt es keine
Ruhe", sagt Georg Dürr. Er ist seit August 2004 Leiter der
evangelisch-lutherischen Schule Talitha Kumi in Beit Jala, auf der
Grenze zwischen Israel und dem palästinensischen
Verwaltungsgebiet. Er wünscht sich vor allem, dass die Kinder
zuhören lernen. Aus Deutschland hat er eine Methode des
Debattiertrainings mitgebracht. "Da kommt es nicht darauf an, dass
einer im Wortgefecht die Oberhand behält. Es wird bewertet,
wie genau einer zuhört, wie er seine Argumente entwickelt, wie
er überzeugt." Die Reisen der Bundeszentrale für
politische Bildung verstehen sich allerdings erst in zweiter Linie
als Veranstaltungen zum Studium des Nahostkonflikts. Sie sind vor
allem Ausdruck der Solidarität mit dem Staat, in dem
Überlebende der Shoah Heimat gefunden haben. Sie sind ein
fester Knoten im Netz deutsch-israelischer Beziehungen.
Gestartet 1963 als Reaktion auf erste offene
antisemitische Tendenzen in Deutschland, bemühten sie sich
zuerst vor allem um die Überwindung der Sprachlosigkeit
zwischen Deutschen und Juden. "Die ersten Teilnehmer und
Teilnehmerinnen getrauten sich nicht, ihre Sprache in den
Straßen Jerusalems hörbar werden zu lassen", erzählt
Waltraud Arenz, in der Bonner Zentrale verantwortlich für die
Israel-Reisen.
Deren Tradition ist älter als die der
diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Ländern. 200
Reisegruppen mit mehr als 6.000 Teilnehmern und Teilnehmerinnen
waren bisher unterwegs. In den 90er-Jahren, dem "Jahrzehnt der
Hoffnung" im Friedensprozess, steigerte sich die Nachfrage, so dass
sich 1996 330 Reisende in elf Gruppen auf den Weg machten. Zwischen
2001 und 2003 mussten wegen der Sicherheitslage Veranstaltungen und
Lehrerfortbildungen in Deutschland stattfinden. Inzwischen werden
regelmäßig sechs Reisen pro Jahr unternommen.
Sobald sich die Lage stabilisierte, stieg das
Interesse der Deutschen wieder an. Dabei steht Israel bei einer
Mehrheit der europäischen Bevölkerung unter dem
kollektiven Verdacht, den Weltfrieden zu bedrohen. Für eine
sachliche Kritik aber, so Thomas Krüger, Leiter der
Bundeszentrale, ist die vermehrte Vermittlung von Informationen,
also Aufklärung und immer wieder Aufklärung, notwendiger
denn je.
Die Frauengruppe soll sich daher einen
eigenen Eindruck der Siedlerbewegung verschaffen. Shimon Anspacher,
vor 75 Jahren in Frankfurt geboren, führt die Gruppe stolz
durch die Siedlung, die er mitentworfen und lange Jahre als
Bürgermeister entwickelt hat. Maale Adumin ist die
größte von fünf Agglomerationen in der Westbank,
eine Wohnstadt mit "Licht, Luft und Sonne für alle",
ausgestattet mit Schulen und sozialen Einrichtungen. "Wenn Ihr in
Deutschland ankommt, sollt Ihr wissen, es ist alles ein bisschen
komplexer." Die Reisen der Bundeszentrale für Politische
Bildung erreichen dieses Ziel. "Wer aus Israel zurückkehrt,
hat sein Schwarz-Weiß-Bild aufgegeben", sagt Waltraud
Arenz.
Birgitta M. Schulte lebt als Hörfunk-
und Buchautorin in Frankfurt am Main.
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