Friedhelm Wolski-Prenger
Unwohlsein inmitten des Wohlseins
Neue Ziele für die Politik?
Der britische Wirtschaftswissenschaftler Richard
Layard wurde durch seine Studien zur Struktur der Arbeitslosigkeit
in Großbritannien bekannt. Diese waren eine der Grundlagen
für die Arbeitsmarktreformen von New Labour, die in
Deutschland mit den Hartz-Gesetzen adaptiert wurden. Sein neues
Buch hat ein anderes, ein philosophisches Thema. Als Folie dient
ihm der von Jeremy Bentham begründete ethische Utilitarismus.
Dieser erhebt die Nützlichkeit zum Bewertungskriterium der
sittlichen Qualität einer Handlung Entscheidend ist dabei ihr
Beitrag zum größtmöglichen Glück für die
größtmögliche Zahl von Menschen.
Daran misst Layard unter Einbezug natur- und
sozialwissenschaftlicher Forschungsergebnisse die Gegenwart. Obwohl
sich in den westlichen Industrieländern das reale
Durchschnittseinkommen im vergangenen halben Jahrhundert
verdoppelte, trotz technologischen Fortschritts, verbesserter
Medizin, kürzerer Arbeitszeit, ausgedehnterer und
häufigerer Urlaubsreisen, deutlich angestiegenen Wohnkomforts,
resultierender höherer Lebenserwartung - Umfragen zufolge ist
die Summe des "Glücks" keineswegs angestiegen.
Layard erklärt sich das mangelnde
Wohlbefinden einer zunehmenden Zahl von Menschen mit dem Verlust
des Gemeinschaftgefühls. Ein zum Egoismus übersteigerter
Individualismus führe nicht zur Vermehrung des
größtmöglichen Glücks. Wenn es allen besser
gehe, entfalle durch den "Fahrstuhleffekt" die Voraussetzung
für zunehmendes Glück; es setze ein Statuswettlauf
ein.
Die daraus folgende Vergrößerung
sozialer Ungleichheit mindere das Glück, da die meisten
Menschen zu Solidarität neigen. Neben dem Mitgefühl
für die wachsende Zahl der Ausgegrenzten löse die
Wahrnehmung ansteigender Kriminalität Besorgnis aus.
Sicherheit ist ein wichtiger Faktor für subjektives
Wohlbefinden. Ansteigende Zahlen von Gewalt- oder Eigentumsdelikten
- gerade von Jugendlichen nicht selten begangen, um beim Kampf um
Statussymbole mithalten zu können - mindern aber das
Gefühl von Sicherheit.
Layard sieht solche Entwicklungen nicht
zuletzt durch das gewaltdominierte Fernsehen gefördert. Das
Fernsehen hebe zudem die Standards, mit denen wir uns
statusmäßig vergleichen. Da das TV vor schönen und
unrealistisch häufig reichen Menschen nur so wimmelt,
unterschätzten viele Zuschauer zufriedenheitsmindernd ihre
eigene soziale Lage. Die Individualisierung, die sich unzer anderem
im Zerfall von Familienstrukturen und der Zunahme von Ein-Personen-
Haushalten äußert, trage weiter zur Glücksminderung
bei. Layard: "In den USA ist die Scheidung (der Eltern, Anmerk. d.
Autors) die wichtigste Ursache für Selbstmorde unter
Jugendlichen."
Steigende Kriminalität und
Individualisierung haben zur Folge, dass Vertrauen abnimmt. Dieses
führe nicht nur zum Verlust von Zufriedenheit; er ist insofern
auch ökonomisch negativ, da die gesamte Wirtschaft auf
Vertrauen beruht. Der eigenen Berufsgruppe wirft Layard vor, sie
sei außerstande, solche Effekte in
wirtschaftswissenschaftliche Konzepte zu integrieren. Daher
entginge ihr die subjektive Seite ökonomischer Entscheidungen.
Betrachtet würden nicht die wahren Bedürfnisse von
Menschen, sondern nur deren messbare Kaufkraft.
Beschäftigte arbeiten keineswegs nur
für das Geld, das sie mit ihrer Arbeit verdienen, sondern auch
für die Anerkennung, die sie mit ihrer Tätigkeit
erlangen. Vor allem deswegen, nicht nur wegen des
Einkommensverlustes, wirkt Arbeitslosigkeit so zerstörend auf
die Betroffenen. Damit kritisiert Layard die dominierende Rolle,
die die Wirtschaftswissenschaft in der Politikberatung einnimmt.
"Wir brauchen nicht weniger als eine Revolution in der
Wissenschaft: Alle Gesellschaftswissenschaften müssen zusammen
dazu beitragen, das Glück zu untersuchen."
Layard unterbreitet Vorschläge für
eine glücklichere Zukunft, die von der Politik als Zielsetzung
verstanden werden müssten:
- Da zusätzliches Einkommen arme
Menschen wesentlich glücklicher mache als reiche, werden
wirtschafts- und sozialpolitische Maßnahmen zur Umverteilung
des gesellschaftlichen Reichtums gefordert.
- Die von Arbeitnehmern verlangte
Flexibilität und Mobilität beschränken das Verlangen
nach Sicherheit und könnten daher trotz möglicherweise
zunehmendem Einkommen eine Verschlechterung des subjektiven
Wohlbefindens mit sich bringen.
- Da die Familie eine Quelle des Glücks
darstelle, seien Wirtschaft und Politik zu einer wesentlich
familienfreundlicheren Politik gezwungen.
- "Um die unkontrollierte Vermehrung von
Bedürfnissen einzudämmen, sollten wir Werbung für
Kinder unter zwölf Jahren verbieten."
- Vor allem aber sei eine umfassende Bildung
für alle Menschen zu fordern.
Die der Argumentation Layards
zugrundeliegende utilitaristische Philosophie kann skeptisch
bewertet werden, wird sie doch etwa in der Variante von Peter
Singer zur Rechtfertigung von Euthanasie herangezogen. Mit dieser
Einschränkung ist Richard Layard eine überzeugende
(Selbst-)Kritik nationalökonomischen Selbstverständnisses
und ein lesenswerter multidisziplinärer Beitrag zur Frage nach
einem lebenswerten Leben und der dazu führenden Politik
gelungen.
Richard Layard
Die glückliche
Gesellschaft.
Warum wir ein neues Leitmotiv für
Politik und Wirtschaft brauchen.
Campus-Verlag, Frankfurt /New York 2004;
324 S., 19,90 Euro
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