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Annette Rollmann
Kapitalismus wie im Casino
Sinnvolles Leben ohne Arbeit
Was ist ein Mensch ohne Arbeit wert? Wie wird er in der
Gesellschaft gesehen? Wie sieht er sich selbst? Mit diesen
grundlegenden Fragen beschäftigt sich der Soziologe Wolfgang
Engler in seine neuen Buch. Angesichts der hohen Arbeitslosigkeit
und des schwindenden Glaubens an die Vollbeschäftigung in
dieser Gesellschaft fordert er ein radikales Umdenken über den
arbeitslosen Menschen selbst. Und noch mehr: Er hofft, dass der
Bürger ohne Erwerbstätigkeit in Zukunft eine andere
Haltung zu sich selbst findet; eine selbstbewusstere, eine
lebendigere, eine teilnehmendere. Er will den Glauben zum Einsturz
bringen: "Jede Arbeit ist besser als keine Arbeit."
Engler moniert, dass der Mensch, der nicht arbeitet, als
für die Gesellschaft "verloren" wahrgenommen wird und sich
letztlich selbst so wahr nimmt. Bei der Buchvorstellung im
Literaturforum des Brecht-Hauses in Berlin Anfang April, das bis
auf den letzten Platz besetzt war, sagte Engler: "Der Mensch, der
nicht arbeitet, gilt nicht als vollwertiger Bürger."
Wie umgehen mit dieser Misere? Engler selbst verweist darauf,
dass Menschen, die keine Erwerbsarbeit haben, sich oft nur noch
passiv am Rand dieser Gesellschaft bewegen und nicht mehr aus sich
selbst heraus aktiv werden. Arbeit biete neben Geld vor allem "ein
Portal zum gesellschaftlichen Zugang, zu Kommunikation, zu
Informationen" und den Anreiz dazu, sich mit den Dingen in der Welt
zu beschäftigen.
Für Menschen, die nicht erwerbstätig sind, fehle "oft
das Motiv, aus sich heraus aktiv zu werden". Genau da setzt Engler
an: Er fordert ein Bürgergeld ohne jede Verpflichtung für
jeden Menschen, damit der sich von der Arbeit emanzipieren kann. Er
will dadurch zeigen, dass vieles anderes mehr und wertvoll ist, als
nur das, wovon der Mensch sein Leben fristet. Die Menschen sollten
lernen, sich auch ohne Erwerbstätigkeit kulturell zu
entfalten. "Alle müssen im ,Spiel' bleiben, als prinzipiell
Gleiche imstande sein, jeden allgemein akzeptierten Spielzug
jederzeit auszuführen." Und an anderer Stelle: "Du bist in
diese Welt hineingeboren - lebe in ihr frei von
überflüssigen Ängsten ... Das Bürgergeld ist
der Schlüssel zum unangefochtenen Leben." Der Kultursoziologe
unternimmt in seinem Buch den Versuch, endgültig von dem
Gedanken Abschied zu nehmen, dass wir unsere Identität an eine
erfolgreiche Erwerbstätigkeit knüpfen (müssen) und
damit sozusagen als Bürger stehen und fallen.
Engler, der sich immer wieder mit interessanten und
überraschenden Thesen zur kritischen Analyse der Moderne
hervortut und sich als Ostdeutscher keineswegs auf die ostdeutsche
Themen beschränkt, hat seine Analyse auf ein historisch weit
angelegtes Fundament gestellt. Er beschreibt den individuellen und
gesellschaftlichen Wert der Arbeit von der Antike bis zu Gegenwart.
In der Antike, argumentiert der, gab es freie Bürger
(allerdings: nur Männer waren freie Bürger), die nicht
arbeiteten. Erst mit der industriellen Revolution habe sich dieses
Bild entwickelt, dass man zumindest als Mann ohne
Erwerbstätigkeit nicht gleichwertig sei.
Gleichermaßen interessiert und nachdenklich war die
Stimmung bei der Diskussion zum Buch. Fragen bleiben, die der Autor
in der Debatte nicht ausräumen konnte: Wie soll der Einzelne
diese kulturelle Emanzipation von Arbeit schaffen? Würde ein
Bürgergeld nicht viele Menschen nur noch passiver machen? Wie
soll der Staat das Bürgergeld aufbringen? Dennoch bleibt es
sinnvoll zu fragen, wie eine Gesellschaft mit Menschen umgeht, die
nicht in Lohn und Brot stehen. Und es ist sinnvoll, nicht immer nur
die finanzielle Situation in den Vordergrund zu stellen, sondern
die psychosoziale und kulturelle Dimension mitzudenken.
Engler selbst hofft, wie er es nennt, auf einen "Krach", ein
Aufbegehren der vielen Menschen, die ohne Arbeit sind oder
ständig um ihre Arbeit bangen müssen. Er hofft auf die
Mittelschicht. Er fordert den Widerstand gegen die derzeitige
Wirtschaftspolitik, die er "Casinokapitalismus" nennt. Gegen Ende
seines Werkes schreibt er: "Der Umsturz der vom Staat
sanktionierten Wirtschaftsgesellschaft beginnt im Kopf, mit der
Wiederentdeckung der eigenen Urteilskraft als Keimzelle des
Politischen."
Wolfgang Engler
Bürger, ohne Arbeit. Für eine radikale
Neugestaltung der Gesellschaft.
Aufbau-Verlag, Berlin 2005; 416 S., 19,90 Euro
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