Oliver W. Schwarzmann
Die eigenwillige Physik des Geldes
Versuche, dem weltweiten Finanzgeschehen eine
Struktur zu geben
Die Unberechenbarkeit der Finanzmärkte ist uns allen ein
Dorn im Auge. Wie schön wäre es doch, könnten wir
mittels einer mathematischen Formel Sicherheit und vor allem mehr
Vorhersagbarkeit in diese eigenwillige Dynamik bringen. Doch es
gibt das Phänomen des Interventionsparadoxons: Das
vorausberechnete, hypothetische Ergebnis beeinflusst die
Ausgangssituation derart, dass es die Eintrittsrealität der
Vorauskalkulation unmöglich macht. Die Folge sind hilflose
Annahmen, verpackt in komplizierte Berechnungen mit vielen Wenn und
Abers, die so viele Wahrscheinlichkeiten hervorbringen, dass sie
zur Voraussage nicht wirklich taugen.
Doch das Bemühen der Mathematiker und Ökonomen kommt
nicht von ungefähr. Ihr Motiv sitzt tief im Innern des
Menschen: Wir brauchen Formeln, Muster und Systeme, um unserer
Umwelt das Maß an Konstanz abzugewinnen, welches für ein
geordnetes Dasein notwendig erscheint. Der Finanzmarkt verhält
sich dabei offensichtlich schwieriger als das Universum.
Während einigermaßen verlässliche Naturgesetze den
Kosmos en Gros steuern, zeichnet sich der globale Finanzmarkt durch
eine extrem dynamische und daher undurchsichtige Komplexität
aus.
Dabei unterliegt Geld durchaus physikalischen Gesetzen. Es ist,
insbesondere seit Einführung des Euro, in hohem Maße
fluktuativ. Je weniger man davon besitzt, desto stärker wirkt
die Schwerkraft: Ohne Geld zieht es Menschen und Wirtschaft
unweigerlich nach unten. Auch verschwinden ab und an große
Kapitalmengen in schwarzen Löchern. Doch trotz dieser
Erkenntnisse fehlt es an einer griffigen wie praktischen
Finanztheorie, die die enormen Risiken der Märkte klarer
beschreiben kann und dies darüber hinaus allen Beteiligten zu
Bewusstsein bringt.
Das ist die Überzeugung und Forderung des Mathematikers
Benoit B. Mandelbrot, der mit seiner "fraktalen Geometrie" das
Denken über die Natur veränderte. Jetzt legt er zusammen
mit Richard L. Hudson, einem versierten Wirtschaftsjournalisten,
einem breiten Publikum seine Fraktaltheorie zum Finanzmarkt vor und
führt den Leser erstaunlich leicht und praxisnah durch die
ansonsten eher schwer verdauliche Materie komplizierter
Modellrechnungen. Das liegt sowohl am Stil der Autoren als auch an
der Eigenschaft der "Fraktalen Geometrie": sie verbindet den
formalen mit dem visuellen Ansatz und erleichtert damit plausibler
Argumentation den Zugang zu Mandelbrots Modellen.
Zahl und Bild sind die Werkzeuge Mandelbrots, mit denen er die
Vielseitigkeit, die wilden Kurssprünge und das hohe Risiko des
Marktes anschaulich dokumentiert. Er identifiziert dabei die
Diskontinuiät des Marktes, welche für das Phänomen
der abrupten Wechsel verantwortlich ist, und den "Einfluss einer
langfristigen Abhängigkeit in einem ansonsten
zufallsbestimmten Prozess". Dies sei ein "langfristiges
Gedächtnis, durch das die Vergangenheit die zufälligen
Fluktuationen der Gegenwart weiterhin beeinflusst". Mandelbrot
erweitert hierfür das ursprüngliche
Schwarz-Weiß-Bild des Fraktals um das höher angesiedelte
Multifraktal, welches damit mehr Aspekte der Wirklichkeit abbilden
kann. Mandelbrots Marktwelt ist ein sich gegenseitig
beeinflussender, von unregelmäßig auftretenden, aber
stets wiederkehrenden Be- und Entschleunigungsphasen geprägter
Kosmos.
Wenn Mandelbrot dabei die Unzulänglichkeiten bisheriger
Annahmen wie das ordentliche Muster der Glockenkurve oder das
Modell der Volatilität im Vergleich zu seiner Methode
entlarvt, bleibt er dabei und deshalb sympathisch selbstkritisch.
Letztlich gibt er selbst zu Protokoll: "Ich glaube, dass wir ein so
komplexes System wie die globale Geldmaschine wahrscheinlich
niemals vollständig verstehen werden."
Eben - die Unberechenbarkeit des Finanzmarktes ist eine
Notwendigkeit seiner Funktionalität; eine Berechenbarkeit
würde ihm eine seiner wichtigsten Antriebskräfte rauben:
Die Spekulation. Und Spekulation ist nicht zu verstehen.
Benoit B. Mandelbrot / Richard L. Hudson
Fraktale und Finanzen.
Märkte zwischen Risiko, Rendite und Ruin.
Piper Verlag, München 2005; 429 S., 24,90 Euro
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