Matthias Holdt
Europa war und ist immer mehr als nur
Ökonomie und Profitdenken
Christliche Fundamente des vereinten
Europa
Lange Zeit war die europapolitische Diskussion von einer
Betonung - manche sagen sogar von einer Überbetonung - des
Ökonomischen geprägt. Als es jüngst um den
umstrittenen EU-Beitritt der Türkei ging, stellte sich auch
die Frage nach gemeinsamen Werten, die Europa zusammenhalten.
"Ideen für Europa" sind also gefragt.
Der Sammelband entstand im Kontext bei dem vom Bischof der
württembergischen Diözese Rottenburg-Stuttgart, Gebhard
Fürst, eingerichteten Arbeitskreises "Kirche und Europa in
Zukunft". 24 Autoren aus Wissenschaft, Politik, Wirtschaft, Medien
und Kirche gehen der Frage nach, welchen konstruktiven Beitrag der
christliche Glaube zur Gestaltung der Zukunft Europas leisten
könnte. Die Themen reichen von der aktuellen Politik bis zu
Fragen von Erziehung und Bildung sowie europäische
Identität.
Charta der Grundrechte
Der Bundestagsabgeordnete Peter Altmaier analysiert die
aktuellen verfassungspolitischen Entwicklungen auf
europäischer Ebene. Auf die lange schon erhobene Forderung,
dass die Europäische Union mehr sein müsse als eine
Wirtschaftsgemeinschaft, erfolgte 1999 die Ausarbeitung einer
Charta der Grundrechte. Das christlich-abendländische
Menschenbild zieht sich wie ein roter Faden durch alle Bestimmungen
der Charta. Altmaier vermisst allerdings einen klassischen
Gottes-Bezug wie etwa in der Präambel des Grundgesetzes.
Alle Versuche der EVP-Gruppe, einen Gottesbezug in der
Präambel der Charta zu verankern, scheiterten an der Ablehnung
Frankreichs und der skandinavischen Länder. Immerhin gelang
es, in die Präambel einen Bezug auf das geistig-religiöse
Erbe aufzunehmen. Durch diesen Kompromiss konnte sichergestellt
werden, dass die Charta rechtsverbindlich wurde und nun den Teil II
des im Juni 2004 verabschiedeten Verfassungsvertrages bildet.
Bischof Fürst beschreibt Kernprobleme der bio-ethischen
Diskussion und umreißt Kriterien und Zielbestimmungen für
die "life sciences". Diese stuft er mit folgender Wertigkeit ein:
"Waren es im 20. Jahrhundert politische Ideologien, die die
Optimierung des Menschen in der Gesellschaft erwirken wollten, so
sind es zu Beginn des 21. Jahrhunderts die
wissenschaftlich-technischen Möglichkeiten des Zugriffs auf
das Leben des Menschen. Die Gesellschafts- und Sozialwissenschaften
werden gegenwärtig von den so genannten Lebens-
beziehungsweise Biowissenschaften als Leitwissenschaft
abgelöst."
Kein Klassenunterschied
Fürst kritisiert die Praxis der verbrauchenden
Embryoneforschung, bei der man bereit sei, die Tötung
embryonaler Menschen billigend in Kauf zu nehmen, um die
Grundlagenforschung an embryonalen Stammzellen voranzutreiben.
Für ihn ist die Frage nach dem Zeitpunkt , an dem das
vorgeburtliche Leben beginnt, von zentralem Stellenwert. Er legt
sich fest, dass das menschliche Leben mit der Verschmelzung von Ei-
und Samenzelle zur befruchteten Eizelle beginnt. Die befruchtete
Eizelle sei kein anderer Mensch als der, der später geboren
wird: "Daher gibt es auch keine Embryonen erster und zweiter Klasse
und es ist falsch, zwischen schutzwürdigen und nicht
schutzwürdigen Embryonen zu unterscheiden."
Die Lektüre des Buchs ist vor allem deshalb gewinnbringend,
weil auch heikle Punkte nicht ausgeklammert werden. Schröder
kann die Befürchtung zerstreuen, dass Religiosität und
Freiheitsliebe einander ausschließende oder doch hemmende
Größen seien; auch die Instrumentalisierungsversuche von
Religion durch Politik werden thematisiert. Zielgruppe des
Sammelbands sind besonders europapolitisch Engagierte an den
Schnittstellen von Staat und Kirche in Bildungseinrichtungen.
Walter Fürst/Joachim Drumm/Wolfgang M. Schröder
(Hrsg.)
Ideen für Europa.
Christliche Perspektiven der Europapolitik
Band 9 des Forums Religion & Sozialkultur.
Lit Verlag, Münster 2004; 497 S., 29,90 Euro
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