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Karl-Otto Sattler
Sterben ist auch ein Stück Leben
Diskussion um Sterbehilfe im
Europarat
Das Thema Sterbehilfe stand schon dreimal auf
der Tagesordnung des Europarates - bisher immer ohne Ergebnis. Im
vierten Anlauf soll die Parlamentarische Versammlung des Gremiums
in dieser Woche Position beziehen und eine Resolution
verabschieden. Diesmal ist die Debatte auf den Mittwoch gelegt
worden, dem Tag, an dem die meisten Abgeordneten im Palais d'Europe
zu finden sind: Zufallsmehrheiten sollen so vermieden werden. Doch
Beobachter halten sogar eine erneute Vertagung nicht für
ausgeschlossen.
Das wochenlange Tauziehen um den Tod der
Komapatientin Terri Schiavo hat der Debatte um die "Sterbehilfe"
auch medial zusätzliche Brisanz verliehen. Doch schon vorher
galt die "Sterbehilfe" als wichtigstes Thema der
Frühjahrssitzung des Europarats-Parlaments. Vor allem der
Sozialausschuss der paneuropäischen Volksvertretung
drängt die 46 Mitgliedsnationen zu einer auf eine
Liberalisierung hinauslaufenden gesetzlichen Regelung der
"Euthanasie", so der Sprachgebrauch in vielen Ländern. Gegen
eine solche Politik gibt es erhebliche Widerstände.
Dabei stehen sich zwei grundsätzliche
Rechte gegenüber: das Recht auf Selbstbestimmung und damit
auch auf den Tod sowie der Schutz des Lebens und die
Strafverfolgung bei Tötung eines Menschen.
Auf den ersten Blick verwundert die Aufregung
um den Vorstoß des Sozialausschusses. Dessen treibende Kraft
ist als Berichterstatter der Schweizer Liberale Dick Marty. Sein
Entwurf macht keine konkretenGesetzesvorschläge, da die
kulturellen Traditionen der einzelnen Länder respektiert
werden müssen, so Marty. Auch hat die Sozialkommission keine
Konvention des Europarats mit verbindlichen Vorgaben für alle
Nationen im Sinn. Aber allein schon eine Resolution, die das Thema
Sterbehilfe thematisiert, hätte erhebliche internationale
Signalwirkung. Denn bislang existiert auf europäischer Ebene
keinerlei Regelung zu dieser Frage. Auf dem Kontinent haben nur die
Niederlande und Belgien die aktive Sterbehilfe unter rechtlicher
Kontrolle legalisiert: Danach kann ein Arzt auf Verlangen eines
Menschen, der unter unerträglichen Schmerzen in einer als
ausweglos empfundenen Situation leidet, mit Medikamenten dessen Tod
herbeiführen - auch dann, wenn die Krankheit nicht
zwangsläufig zum Tod führt.
Die meisten Länder, neuerdings auch
Frankreich, haben lediglich Gesetze zur passiven Sterbehilfe, die
das Abstellen von Beatmungs- oder Dialysegeräten gestatten. Im
juristischen Detail wie in der medizinischen Praxis tauchen indes
oft Komplikationen auf: Da sind der Wille des Betroffenen oder eine
Patientenverfügung zu gewichten - und es geht um die Frage, ob
der Krankheitsverlauf irreversibel tödlich sein muss oder
nicht. Auch die dritte Kategorie der "Hilfe beim Selbstmord" ist
unter Fachleuten strittig.
Marty betont, dass Sterbehilfe in all ihren
Formen trotz Verbots europaweit praktiziert werde - "in einem
Umfang, der deutlich über früheren Annahmen liegt", wie
es in dem Bericht heißt: Grauzonen erleichtern
Missbrauch.
"Es ist ein krasser Gegensatz zwischen der
Rechtslage und der tatsächlichen Praxis zu konstatieren."
Gerade diese Grauzone erleichtere Missbrauch. Marty gibt zu
bedenken, dass sich "Sterbehilfe nicht unter dem Schleier der
Geheimhaltung entwickeln" dürfe. Sein Entwurf nennt daher
einige Eckpunkte, die von den Staaten bei der Gesetzgebung zu
berücksichtigen seien. Respektiert werden soll beispielsweise
der Wille von Patienten, eine Therapie abzulehnen. Sind Betroffene
dazu nicht mehr in der Lage, sollen Patientenverfügungen
gelten oder bevollmächtigte "Vertreter für medizinische
Fragen" für Kranke sprechen. Gesetzlich müssten strenge
Voraussetzungen bestimmt werden, etwa im Falle "sinnloser
Behandlungen" bei nur noch kurzer Lebensdauer und sich
verschärfenden Leiden.
Überdies machen sich die Sozialpolitiker
für den Ausbau der Palliativmedizin stark. Ziel dieser relativ
neuen Fachrichtung ist es, kranke Patienten im Endstadium ihres
Lebens, in dem keine Heilung mehr zu erwarten ist, von
quälenden Symptomen zu befreien.
Auch für eine bessere Hospizversorgung
spricht sich der Ausschuss aus. Radikal muten diese Thesen nicht
an. Aber durch den Verweis auf positive Erfahrungen in Holland und
Belgien sowie auf Meinungsumfragen mit mehrheitlicher Zustimmung
zur Sterbehilfe zielt die Vorlage des Sozialausschusses in Richtung
Liberalisierung. Und dieser Kurs provoziert Gegenwind. Die
Sozialkommission wurde schon mehrere Male vor allem vom
Rechtsausschuss ausgebremst. Dessen Widerstand ist jetzt allerdings
geringer, weil die Resolution nun moderater formuliert ist und die
aktive Sterbehilfe nicht direkt fordert. Die Kritiker, zu denen
auch Eduard Lintner (CSU), Vize-Vorsitzende der
Bundestags-Delegation gehört, warnen davor, dass auch
gesetzliche Regelungen nicht vor Missbrauch schützen
können. Auch die katholische Bischofskonferenz hat in
Straßburg schon gegen die Liberalisierung der Sterbehilfe
interveniert. Interessenvertretungen wie die Deutsche
Hospiz-Stiftung setzen dagegen vor allem darauf, die professionelle
Pflege und die Begleitung Sterbender zu verbessern.
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