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Jutta Witte
Kanther geht in die nächste Instanz
Hessen: Ex-Bundesinnenminister zu
Freiheitsstrafe verurteilt
Vier Jahre nach Anklageerhebung ist vor dem Wiesbadener
Landgericht der Parteispendenprozess gegen den früheren
Bundesinnenminister Manfred Kanther und den ehemaligen
Steuerberater der Christdemokraten, Horst Weyrauch, mit
überraschend hohen Strafen zu Ende gegangen. Das Verfahren
gegen den mitangeklagten Schatzmeister der hessischen CDU, Casimir
Prinz Wittgenstein, war bereits im Februar wegen des schlechten
Gesundheitszustandes des 88-Jährigen abgetrennt worden.
Ein Jahr und sechs Monate Freiheitsstrafe auf Bewährung
sowie die Zahlung einer Bewährungsauflage in Höhe von
25.000 Euro verhängte die Kammer unter dem Vorsitz von Rolf
Vogel gegen Kanther wegen gemeinschaftlicher Untreue. Weyrauch
wurde wegen Beihilfe zur gemeinschaftlichen Untreue zu einer
Geldstrafe von 61.200 Euro verurteilt.
Damit übertrafen die Richter bei weitem den Strafantrag der
Staatsanwaltschaft - ein Schlag ins Gesicht für den ehemaligen
CDU-Politiker, der bis heute auf preußische Korrektheit setzt
und als Innenminister den Ruf eines politischen Hardliners pflegte.
Und trotz des hohen Strafmaßes sieht sich Kanther noch immer
im Recht.
"Öffentlich vorverurteilt", "fertig mit den Medien",
"wehrlos", dabei uneigennützig und parteitreu - als Opfer
sieht sich der 65-Jährige, keinesfalls als Täter. Gleich
nach der dreistündigen Urteilsbegründung am 18. April
stürmt Kanther vor die Kameras um klarzu-machen, dass er die
Kriminalisierung von 22 Jahre alten Vorgängen für
"völlig abwegig" halte, die Wiesbadener Justiz ganz
offensichtlich dem Mediendruck gefolgt sei und er im übrigen
bereits im Jahr 2000 alle Ämter niedergelegt habe - nach
seiner Ansicht eine ausreichende Konsequenz aus einem
eingestandenen "politischen Fehler".
Ein Blick zurück in die frühen 80er-Jahre und die
Ursprünge des Skandals: Da war auf der einen Seite die
hessische CDU mit ihrem Generalsekretär Kanther und ihrem
Schatzmeister, dem Prinzen. Dem Generalsekretär galt sie als
"standhafteste Kraft gegen den linkswütigen Zeitgeist". Ihre
Interessen galt es zu schützen und vor allem ihr Geld gegen
die Sozialdemokratie zu erhalten. Das Parteivermögen hatte
sich - gelagert auf verdeckten Konten der Frankfurter Metallbank -
von 1979 bis 1983 von 7,2 Millionen auf 22,83 Millionen Mark mehr
als verdreifacht. Woher der damals schon geheim gehaltene Schatz
stammte, konnte selbst das Landgericht nicht beantworten.
Auf der anderen Seite drohte zum ersten Januar 1984 ein neues
Parteiengesetz, das als Folge der Flickaffäre eine
systematische Rechnungslegung, Rechenschaftsberichte und genaue
Vermögensauskünfte verlangte. Kanther und Wittgenstein
beschlossen mit Hilfe Weyrauchs das Geld in der Schweiz in
Sicherheit zu bringen. "Ein Verstoß gegen das Parteiengesetz
und das Transparenzgebot des Grundgesetzes war eingeplant", betonte
Vogel in seiner Urteilsbegründung. Auf verschlungenen Wegen,
teils getarnt als fingiertes jüdisches Vermächtnis, floss
das gut angelegte Geld im Laufe der Jahre an die hessische CDU
zurück - auf offizielle und nicht offizielle Konten und in
eine schwarze Kasse der Landesgeschäftsstelle. Entgegen
Kanthers Aussage, er habe sich mit Ende seiner Kontovollmacht 1987
nicht mehr mit dem Schwarzgeld befasst, gehen die Richter davon
aus, dass er auch in seiner Zeit als hessischer Finanz- und
Bundesinnenminister regelmäßig über den
Vermögensstand unterrichtet wurde.
Kenntnis hatte Kanther nach Überzeugung des Gerichts auch
von der Gründung der ominösen Lichtensteiner Stiftung
"Zaunkönig", in die das Schwarzgeld - seinerzeit 19,3
Millionen Mark - 1993 übertragen wurde. Der Begründung
der Angeklagten, man habe wegen des schlechten Gesundheitszustandes
Weyrauchs und des hohen Alters Wittgensteins das Geld näher an
die CDU heranbringen wollen, schenkte die Kammer ebenfalls keinen
Glauben. Nach ihrer Auffassung stand die Stiftungsgründung
unmittelbar in Zusammenhang mit einer für 1994 geplanten
Novelle des Parteiengesetzes und diente allein dem Zweck, das Geld
noch weiter zu verschleiern.
Schärfere Sanktionen für falsche Rechenschaftsberichte
sah das neue Gesetz vor, das pikanterweise unter Federführung
von Kanthers eigenem Ressort entstand. Dennoch will der Verurteilte
von derartigen "Zwergenaufgaben der Vewaltung" im Detail nichts
mitbekommen haben. Zeugenaussagen belegen jedoch nach
Überzeugung des Gerichts, dass Kanther sehr wohl in den
Werdegang der Novelle involviert war. Alle drei hätten
gewusst, dass ihre Partei Gefahr lief, wegen der Nichtangabe des
Schwarzgeldes staatliche Mittel zu verlieren, erklärte Vogel.
Um das eigene Fehlverhalten nicht offenbaren zu müssen, so der
Vorsitzende, habe man jedoch das Risiko einkalkuliert und weiter
geschwiegen. "Korrekturen wären bis Ende 1994 möglich
gewesen", betonte der Vorsitzende.
Das Schweigen der "Geheimbündler" hielt bis Januar 2000,
als unter dem Druck des CDU-Finanzskandals Kanther zunächst
seinen Nachfolger im Amt des Parteivorsitzenden, Roland Koch, und
dann die Öffentlichkeit von der geheimen Kriegskasse
informierte. Den politischen und wirtschaftlichen Schaden für
seine Partei bezeichnete der hessische Regierungschef im
Zeugenstand als "dramatisch". So gründet sich das Urteil vom
18. April nicht nur auf die Unterzeichnung falscher
Rechenschaftberichte durch Kanther in den Jahren 1994 bis 1996 und
auf die Gefährdung des Parteivermögens durch dessen
Verschleierung, sondern maßgeblich auf den finanziellen
Schaden, der der Union durch die Zahlung von rund 21 Millionen Euro
in die Kasse des Bundestagspräsidenten entstanden ist - als
Sanktion für den unvollständigen Rechenschaftsbericht des
Jahres 1998.
Die sehr lange Verfahrensdauer, die Belastungen für die
Verurteilten und ihre Familien, ihr Beitrag zur Aufklärung und
nicht zuletzt die Tatsache, dass sie sich nicht persönlich
bereichert haben, ließen das Wiesbadener Landgericht von einer
Verurteilung wegen "schwerer Untreue" absehen. Das von Kanther
immer wieder vorgetragene Motiv, er habe seiner Partei mit dem
illegalen Geldtransfer nur nutzen wollen, bezeichnete Vogel aber
als "objektiv völlig verfehlt". Dennoch möchte Kanther
keinen Schlussstrich ziehen, sondern sich weiter durch die Revision
kämpfen: "Ich bin sehr zuversichtlich, dass der
Bundesgerichtshof dies alles zurechtrücken wird."
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