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Thomas Gesterkamp
Gezähmte Terroristen
Mit Erziehungs-Schnelltherapie machen die
Privatsender Quote
Max geht mit Stöcken auf seine Mutter los, Fabienne
wälzt sich heulend auf dem Boden, Kevin spuckt und
schlägt seine Geschwister. Die Erzeuger der Brut stehen am
Rande des Nervenzusammenbruchs, doch die Rettung naht. Die
"Super-Nanny" (RTL) oder auch die "Super-Mamas" (RTL 2) kommen mit
ihren Filmteams ins Haus. Die Fernsehpädagoginnen halten
für die Eltern klare Anweisungen bereit: "Sagt nicht ,bitte',
wenn ihr eine Verabredung getroffen habt!". Sie unterbinden die
nächtliche Versorgung mit frisch gefüllten
Nuckelflaschen; im Konfliktfall verbannen sie den ungehorsamen
Nachwuchs zum Schweigen auf die "stille Treppe". Ein paar Wochen
später, wieder laufen die Kameras, sind die Lernfortschritte
deutlich sichtbar, die kleinen Terroristen gezähmt.
Die Reality-Show aus deutschen Familien avancierte zum
Quotenrenner. Über fünf Millionen Zuschauer sahen die
ersten Folgen der "Super-Nanny" im Abendprogramm. Eilig entstanden
Fortsetzungen, Pro 7 zog mit "Fit for kids" nach, nur ein "Pastor
Fliege der Erziehung" für die öffentlich-rechtliche ARD
steht noch aus. Der überraschende Erfolg des häuslichen
Sendeformats, dessen Konzept aus Großbritannien stammt,
dokumentiert die große Verunsicherung von Eltern im Umgang mit
ihren Kindern. Beim Balancieren zwischen autoritärer Strenge
und anti-autoritärem Laissez-Faire ist der
"Erziehungsnotstand" ausgebrochen oder gar die
"Erziehungskatastrophe" eingetreten - das jedenfalls behaupten die
einschlägigen Bestseller. Wer erklärt, wie man Kindern
"Grenzen setzt", wie es etwa der Hamburger Autor Jens-Uwe Rogge
seit langem tut, kann auf volle Säle und hohe Verkaufszahlen
rechnen.
Das hilfesuchende Publikum ist fast ausschließlich
weiblich. In den Erziehungs-Ecken der Buchhandlungen füllt die
auf Mütter zugeschnittene Literatur ganze Regale - die Titel
für (werdende) Väter beanspruchen vergleichsweise wenig
Platz. Das Themenspektrum reicht von der Geburtsvorbereitung
über Stilltipps bis zum Pubertätsratgeber. Auch die meist
monatlich erscheinenden Erziehungszeitschriften wie "Eltern" oder
"Familie&Co" richten sich vorrangig an Frauen. Rund 90 Prozent
der Kundschaft sind weiblich, lautet das Ergebnis von
Reichweitenanalysen. Obwohl sich die Geburtenzahl in Deutschland
seit der Gründung von Eltern im Jahre 1966 fast halbiert hat,
ist die Zahl der Leserinnen von Erziehungspublikationen in der
Summe stetig gestiegen.
Offenbar verspricht es in Deutschland besonderen Erfolg, Frauen
ein schlechtes Gewissen zu machen. Als "Familie&Co" vor ein
paar Jahren mit dem Titelthema "Bin ich eine gute Mutter?"
aufmachte, verkaufte das Blatt gleich 50.000 Exemplare mehr als im
Durchschnitt. In dem gewachsenen Markt der Eltern-Ratgeber spiegelt
sich das gewachsene Bedürfnis nach Orientierung. "Die Familie
ist vom Befehls- zum Verhandlungshaushalt geworden", analysiert die
Oldenburger Soziologin Rosemarie Nave-Herz. Weil nicht mehr
selbstverständlich die (väterliche) Autorität
bestimmt, wird am Küchentisch ständig debattiert, und
dafür bedarf es guter Argumente. Die gedruckten oder
gesendeten Erziehungstipps ersetzen den Verlust alter Traditionen,
sie treten an die Stelle der Ratschläge aus der
Verwandtschaft. Die Ansprüche an Mütter und Väter,
beim Aufwachsen des Nachwuchses alles richtig zu machen, sind
enorm. Weil das "Projekt Kind" unbedingt gelingen muss,
interessieren sich Eltern für fast alle Fragen rund um das
Thema Erziehung. So ist es fast verwunderlich, dass die
elektronischen Medien erst jetzt auf diesen Zug aufgesprungen
sind.
"Super-Mamas" und "Super-Nanny" standen von Anfang an in der
Kritik. In Internetforen wie "familie-online.de" empörten sich
Chatter über den "Kinder-Drill". Die deutsche Gesellschaft
für Familientherapie witterte schon kurz nach dem Sendestart
"schwarze Gehorsamspädagogik", der Kinderschutzbund monierte
die Wiederauferstehung antiquierter Erziehungsmethoden. Doch so
schlecht, wie es manche Experten darstellen, machen die gelernten
Pädagoginnen ihren TV-Job nicht. Einige der Hinweise, die sie
den Eltern auffälliger Kinder geben, sind durchaus brauchbar.
Unglaubwürdig wirkt allerdings das einfache Schema
"Vorher-Nachher": Die Behandlung psychischer Störungen dauert
erheblich länger als ein paar Sendeminuten. Wer sich in
Erziehungsberatungsstellen, Heimen, Schulen oder Jugendzentren
über Jahre mit schwierigen Kindern beschäftigt hat,
ärgert sich zu Recht über die TV-Schnelltherapie.
Nach anfänglicher Skepsis erfahre man mehr und mehr
Zustimmung auch von Pädagogen, behauptet Holger Rettler von
der Firma Tresor TV, die die "Super-Nanny" produziert: "Wir haben
ein Thema an die Öffentlichkeit gebracht, das seit Jahren
schwelte, aber unter der Decke blieb." Problematisch bleibt, dass
die betroffenen Minderjährigen nicht selbst entscheiden
können, ob sie überhaupt vor der Kamera einem
Millionenpublikum vorgeführt werden wollen. Und manche ihrer
Eltern wollen nicht nur nützliche Tipps, sondern auch "ins
Fernsehen" und die "Aufwandsentschädigung" von immerhin 2.000
Euro kassieren. Die Jugendbuchautorin und Dokumentarfilmerin Regina
Schilling fragte in der "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung":
"Gibt es vielleicht einen kausalen Zusammenhang zwischen der
Tatsache, dass die Eltern extrem verhaltensgestörte Kinder
haben, und der Tatsache, dass sie ihre Kinder dieser Dokusoap zum
Fraß vorwerfen?"
Welche Zuschauer die Privatsender ansprechen wollen, macht schon
die Auswahl der Problemfamilien deutlich. Im
"Unterschichtsfernsehen", wie es Harald Schmidt despektierlich
genannt hat, stellen keine Akademiker ihre Kinder zur Schau. Im
Stil der Krawall-shows zur Mittagszeit schleifen Eltern ihre Kinder
an den Beinen durch die Wohnung, brüllen wie auf dem
Kasernenhof oder fühlen sich beim Fußballgucken
gestört. Rück-schlüsse darauf, von welchem
Bildungsniveau die TV-Produzenten bei ihrer Klientel ausgehen,
lässt der Schwierigkeitsgrad des eingeblendeten
Preisrätsels zu: "Welchen Beruf haben die Super-Mamas? a)
Erzieherin, b) Stewardess. Gewinnen Sie 3.000 Euro!"
Im Gegensatz zur Zielgruppe von "RTL" wenden sich die gedruckten
Elternratschläge meist an ein besser qualifiziertes Publikum.
Der Markt der Erziehungspresse ist ein schwieriges Terrain, weil
die meisten Käufer nicht lange bleiben. Viele junge
Mütter kaufen "Eltern", aber sie werden keine Stammkundinnen.
Nach rund zwei Jahren wiederholen sich die Themen rund um
Schwangerschaft und Geburt, nach und nach steigen die Leserinnen
aus. Vier Jahre bleiben sie maximal bei der Stange, schätzt
Eltern-Herausgeber Norbert Hinze. Der Marktführer erscheint
bei Gruner + Jahr und verkauft jeden Monat rund 400.000 Exemplare.
Die Auflage ist leicht gesunken, seit der Springer Verlag 1996
"Familie&Co" auf den Markt brachte. Das Konkurrenzprodukt
richtet sich an Eltern mit Schulkindern - ein Lesersegment, das
Gruner + Jahr nun mit der Neugründung "Eltern for family" im
eigenen Hause zu halten sucht.
Bei Springer, der den Fachverlag Velber übernommen hat,
erscheint die eher pädagogisch orientierte Zeitschrift
"Spielen und lernen". Das Blatt mit einer Auflage von 160.000
Stück, lesen überwiegend Mittelschichtseltern sowie
Erzieherinnen, Grundschullehrer und anderes Fachpersonal.
Für den Fall, dass das Interesse an den "Super-Mamas" im
Fernsehen abflaut, hat die für RTL 2 produzierende Firma
Constantin Entertainment (CE) schon das nächste
publikumswirksame Sendeformat in Planung. Es geht um die
inszenierte Erziehung verhaltensauffälliger Vierbeiner. Die
tierischen Probleme, so CE-Chef Otto Steiner, reichen vom bissigen
Hund bis zur inkontinenten Katze. Sollten die "Super-Frauchen"
demnächst auf Sendung gehen, wäre das für Steiner
nur folgerichtig. Haustiere, so gab er dem "Spiegel" ironisch zu
Protokoll, "haben bei vielen hierzulande doch fast einen
höheren Stellenwert als ihr Kind".
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