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Christoph Oellers
Kein Job mit schematischem Ablauf, sondern Hilfe
für den Nächsten
Bankkauffrau Maria Obermeier arbeitet mit
kühler Leidenschaft im Rettungsdienst des Roten
Kreuzes
Wenn ihre Freunde auf Partys gehen, sitzen sie noch in
irgendeinem Gremium oder im Ortsverein. Jede freie Minute widmen
sie ihrer Organisation, ihrer Partei, setzen sich für ihre
Überzeugungen ein. Der Weg ist lang. Ehrgeizige Talente gibt
es in allen Parteien und Nichtregierungsorganisationen - trotz
aller Nachwuchssorgen. "Das Parlament" stellt einige Jungpolitiker
und Aktivisten vor.
Auf dem Rasen des Münchner Olympiastadions regiert
Ereignisarmut. Die zweite Halbzeit läuft längst. 1860
München kämpft gegen den 1. FC Köln, und es
fällt kein Tor; ein Spiel, das die Zuschauer zum
Frühjahrsschlaf einlädt. Unterhalb der Stufen der
Nordkurve, welche die1860-Fans tragen, liegt das Rote Kreuz
eingezwängt. "Wache 4" steht mit Edding auf weißer
Resopalplattentür gemalt. Die Fälle der
Fußballfreunde nehmen zu, die vom Spiel, vom Sonnenschein oder
vom Alkohol genug haben. Pasquale B. ist der Sechste, der sich auf
einer Liege krümmt. Er hält sich die Stirn, ruft mit
vorletzter Kraft "Sechzig", ehe er ein Fischbrötchen aus
seinem Körper würgt. Helferin Maria Obermeier wendet sich
ab. "Da kann ich nicht gut hinschauen." Sie ist 27 Jahre alt und
seit 2002 beim Roten Kreuz. Normalerweise sei sie ja nicht so,
würde ihr eigentlich nichts etwas ausmachen können. "Aber
da vergehts mir", sagt Niederbayerin aus Landshut. Bis dahin hatte
sie routiniert den Fußballfan untersucht, seinen Blutdruck,
seinen Zuckerspiegel überprüft, ihn nach seinem Befinden
gefragt, wie es zum Sturz habe kommen können, was er
getrunken, was er gegessen habe. Der Fall bleibt trotz
Zwischenspiel eine Bagatelle. B. verlässt bald am Arm eines
Freundes wieder die Rotkreuzstation.
Vor dreieinhalb Jahren ist Maria Obermeier von der Heimatstadt
nach München gezogen. Ursprünglich hatte sie nach der
Mittleren Reife Krankenschwester werden wollen. Weil aber alle
Freundinnen Bankkauffrau lernten, machte sie das auch. "Der
Gruppenzwang. Damals hat man nicht groß nachgedacht." Nun
verdient sie ihren Lebensunterhalt bei einer Bank und arbeitet
ehrenamtlich für das Bayerische Rotes Kreuz (BRK),
Kreisverband München.
Sie ist eine von 60 Helferinnen und Helfern beim heutigen Spiel.
"Sie sind die übergeordnete Instanz, die vor Ort entscheiden,
was zu tun ist", sagt Einsatzleiter Bernhard Grau. Sie bestimmen,
ob ein Verletzter an Ort und Stelle behandelt werden kann, auf die
Wache oder mit Blaulicht ins Krankenhaus gebracht werden muss.
Dabei kommt es darauf an, medizinische wie
taktisch-organisatorische Gesichtspunkte gleichermaßen zu
berücksichtigen. "Das ist sauschwer", sagt Maria Obermeier.
Vielleicht liegt es an ihrem Kurzhaarschnitt, vielleicht aber auch
an der jungenhaften Rotkreuzkluft mit dicker grauer Hose,
hellblauem Hemd und roter Jacke, dass sie wie eine Frau wirkt, die
viel verträgt. Wenn Einsatzleiter Grau von den Fans
erzählt, die sich den Stadioneintritt über den Zaun
erklettern wollen und dabei mit ihren Händen an den
Stahlspitzen hängen bleiben, berichtet Maria Obermeier
nüchtern von einer Hand, bei der ihr Daumen durchgepasst habe.
"Da empfinde ich nichts. Da bin ich knallhart. Da kenne ich kein
Mitleid." Es ist die Voraussetzung, um klar entscheiden zu
können. Als wichtigstes Motiv ehrenamtlich für das Rote
Kreuz zu arbeiten, nennt sie aber zunächst medizinisches
Interesse. "Ich will wissen, wie der menschliche Körper
funktioniert." Ein anderer Gesichtspunkt sei, dass man Menschen,
denen es schlecht geht, helfen könne. Das habe aber nichts mit
ihrem katholischen Glauben zu tun. Sie macht eine kurze Pause,
blinzelt in die sonntägliche Nachmittagssonne des
Olympiastadions. "Da weiß ich, was ich Gutes getan habe." Ganz
im Unterschied zu ihrem Job in der Bank. "Da habe ich ja nur den
schematischen Ablauf."
Etwa 20 Stunden im Monat verbringt sie beim BRK. Neben
Fußballspielen hat sie auch Bereitschaftsdienste bei
Rockkonzerten, Theaterabenden oder beim Marathon. Im Unterschied
zum Fußball kämpfen etwa Opernbesucher weniger mit dem
Alkohol oder einer verletzten Hand. "Da geht es, wenn
überhaupt was passiert, um Herz- und Kreislaufgeschichten." Am
liebsten sind Maria Obermeier Veranstaltungen mit Kindern.
Gelegentlich fährt sie als dritte Kraft auf dem Rettungswagen
mit. "Hier ist der Kontakt zum Patienten am intensivsten. Da bin
ich mit dem ja oft eine halbe Stunde und mehr allein." Sie macht
gerade ihre Ausbildung zur Rettungssanitäterin. Das bedeutet,
dass sie je 160 Stunden Theorie, Dienste auf dem Rettungswagen
sowie ein Praktikum in einem Krankenhaus absolviert haben muss.
Dafür wird etwa die Hälfte ihres Jahresurlaubes drauf
gehen. Aber das mache nichts. Es ist etwas anderes, das sie
motiviert: "Es ist einfach schön zu hören: Danke."
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