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Susanne Kalititz
Die perverse Logik am Tatort Minenfeld
Menschenrechtsausschuss des Bundestages empfing
Minenräumexperten und zwei Kommissare
Es war ein bisschen wie bei einer Kinopremiere auf der Sitzung
des Menschrechtsausschusses am vergangenen Mittwoch: Erst
Gummibärchenknabbern bei der Filmvorführung, dann
Fotomachen mit den Schauspielern im Arm, und schließlich eine
Fragerunde, in der die Parlamentarier ihren Lieblingsschauspielern
versichern konnten, sie seien ihre größten Fans.
Ungewöhnlich für den Bundestag.
So saßen die beiden Schauspieler Dietmar Bär und Klaus
J. Behrendt - von der Ausschussvorsitzenden Christa Nickels
beharrlich als "die beiden Tatort-Kommissare" vorgestellt - denn
auch etwas ratlos da, als sie nach der Vorführung ihres
neuesten Films "Minenspiel" Stellung nehmen sollten zur Bedeutung
der Menschenrechte im deutschen Fernsehen im Allgemeinen und der
Landminenproblematik im Speziellen. Während der
WDR-Programmdirektor Ulrich Deppendorf in seiner Stellungnahme
ausführte, Menschenrechtsverletzungen gehörten zu den
politisch brisanten Themen, denen das Fernsehen sich auch
weiterhin, etwa im "Tatort" und in der "Lindenstraße" widmen
werde, verzichteten Bär und Behrendt auf große
Statements. Denn auch wenn das Thema des humanitären
Minenräumens in dem - packenden und glänzend gespielten -
Krimi im Mittelpunkt stand, so sind die beiden Schauspieler eben
doch keine Experten für das Thema. Dennoch schien der Hinweis
von Dietmar Bär viele der Ausschussmitglieder zu
überraschen: "Wir spielen das ja nur." Doch davon zeigte sich
sein Publikum ebensowenig beeindruckt wie von der Tatsache, dass im
"Minenspiel" die Minenräumorganisation in einem eher
schlechten Licht erscheint, weil ihre Vorstandsmitglieder in
dubiose Geschäfte verwickelt sind - nicht wirklich Werbung
für das humanitäre Minenräumen.
Bedauerlich, dass die echten Experten erst nach dem Fantreffen
zum Zug kamen. Was Peter Willers, Minenräumer und Mitarbeiter
der Hilfsorganisation HELP e.V., und die einzige deutsche
Minenexpertin Vera Bohle zum Thema zu sagen hatten, war
beeindruckend - und die Fotos, die sie mitgebracht hatten, gruben
sich wohl tiefer in das Bewusstsein der Zuschauer als die
Fernsehbilder. Sie zeigten Männer mit Beinprothesen, Frauen
mit Krücken, Kinder ohne Hände.
Dies ist die Realität: In 83 Ländern dieser Erde
leiden Millionen Menschen unter Minen und Blindgängern, den
Hinterlassenschaften aus Kriegen und Konflikten. 20.000 Kinder und
Erwachsene werden jährlich verletzt oder getötet. Die
Aufgabe, vor der Hilfsorganisationen wie HELP stehen, scheint
unermesslich groß. "Zwischen 2000 und 2004 hat HELP über
567 Tonnen Kampfmittel beräumt, auf fast sechs Millionen
Quadratkilometern in Afghanistan, dem Irak, auf dem Kosovo", so
Peter Willers. Die Minenräumer machen ihren Job unter Einsatz
ihres Lebens, denn die todbringenden Waffen sind vom Sand verweht
oder unter Vegetation versteckt - ein falscher Schritt kann
Körperteile oder das Leben kosten.
Ein Risiko, das auch Vera Bohle über viele Jahre
eingegangen ist. Was ein "Tatort" wohl nur selten schafft,
erreichte die blonde Frau im schicken Blazer mit ein paar Fotos und
ruhig erzählten Erinnerungen: den Zuhörern klarzumachen,
wie alltäglich und nah das Grauen ist, das Landminen
verursachen. Sie erzählte von Flüchtlingen, die nach
langen Kriegsjahren wieder in eine Heimat zurückkehren, die
völlig vermint ist. Und von der Idee hinter den Minen: "Die
perverse Logik ist die, dass ein verletzter Soldat mehr Kräfte
bindet als ein toter - also töten die Minen nicht, sondern
fügen verheerende Verletzungen zu." Die Minen sind nicht nur
für Soldaten gedacht - einige von ihnen sehen aus wie
Spielzeug. Kinder haben da keine Chance.
Vera Bohle, die bis zum vergangenen Jahr in nahezu allen
Krisengebieten dieser Welt Minen entschärft hat, ist mit
heiler Haut davongekommen. So viel Glück hatten viele ihrer
Kollegen nicht - und die Beklemmung im Raum wurde spürbar, als
die ehemalige Journalistin das Foto eines völlig ausgebrannten
Fahrzeugs zeigte und scheinbar ungerührt seine Geschichte
erzählte. "So sieht das aus, wenn ein Krankenwagen auf
Sprengstoff fährt. Dabei sind vier meiner Kollegen gestorben,
als sie einen anderen bergen wollten, der verletzt war." Für
Panik aber ist in diesem Beruf kein Platz. "Man darf nicht eine
Sekunde unkonzentriert sein, denn dann macht man Fehler, die das
Leben kosten können." Weil das Gelände für die
Minensuchfahrzeuge oft zu unwegsam ist, arbeiten die Experten
häufig mit Detektoren, die auf Metall reagieren. Schlagen sie
an, muss gegraben werden. "Wenn Sie dabei etwas falsch machen,
explodiert Ihnen das Ding ins Gesicht."
Trotz der schlimmen Erlebnisse und der ungeheuren Dimension der
Aufgabe glaubt Vera Bohle an eine Zeit nach den Minen. Sie forderte
die Abgeordneten auf, sich des Themas weiterhin anzunehmen. "Das
gehört auf die politische Ebene, auch wenn man dafür
einen langen Atem braucht." Deutschland habe 1997 als einer der
ersten Staaten das Ottawa-Übereinkommen unterzeichnet, das
Einsatz, Lagerung, Herstellung und Weitergabe von Antipersonenminen
verbietet - und könne im Bereich des humanitären
Minenräumens eine Vorreiterrolle spielen. "Die Hilfsprojekte
müssen weiterfinanziert werden, denn die
Kampfmittelberäumung ist die Grundlage aller weiteren Hilfe.
Die Hilfskonvois können erst fahren, wenn auf den Straßen
die Minen geräumt sind. Das Problem muss gelöst werden -
und ich glaube, es kann gelöst werden."
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