|
![](../../../layout_images/leer.gif) |
Susanne Kailitz
Menschenleben für den Staat
Damals ...vor 30 Jahren am 25. April: Der
Bundestag zieht Bilanz nach der Stockholmer
Botschaftsbefreiung
Die Angespanntheit der vergangenen Stunden stand Helmut Schmidt
noch ins Gesicht geschrieben, als er am 25. April 1975 vor die
Abgeordneten trat. Der Bundeskanzler informierte das Parlament
über jene zwölf Stunden, in denen "unser Bundesstaat vor
der schwerstwiegenden Herausforderung seiner bisherigen
26-jährigen Geschichte" gestanden hatte.
Am Vortag hatte das "Kommando Holger Meins" die deutsche
Botschaft in Stockholm überfallen und zwölf Geiseln
genommen. Ziel der Aktion: Die Befreiung von 26 politischen
Häftlingen aus den Reihen der Baader-Meinhof-Gruppe. Seit mehr
als zwei Jahren saßen Andreas Baader, Ulrike Meinhof, Gudrun
Ensslin und Jan Carl Raspe - die Kader der Roten Armee Fraktion -
zu diesem Zeitpunkt im Stuttgarter Gefängnis und sahen ihrem
Prozess entgegen. Sie hatten Anfang der 70-er Jahre den Terror nach
Deutschland gebracht, als sie angetreten waren, den
"antiimperialistischen Kampf" gegen den vermeintlich repressiven
bundesdeutschen Staat zu führen. In den zwei Jahren ihres
Wirkens - von der Baader-Befreiung im Mai 1970 bis zur Festnahme
der Gruppe 1972 - hatten ihre Brand- und Sprengstoffanschläge
vier Menschen das Leben gekostet und 60 verletzt. Ihrem Kampf gegen
das "Schweinesystem" hatten sie auch Mitglieder aus den eigenen
Reihen geopfert: Im November 1974 war nach einem monatelangen
Hungerstreik, mit dem bessere Haftbedingungen erpresst werden
sollten, das RAF-Mitglied Holger Meins verhungert.
Seinen Namen trug das Terrorkommando von Stockholm - und mit dem
gleichen Fanatismus, mit dem Meins sich zu Tode gehungert hatte,
gingen die sechs Terroristen vor, die, um ihre Kader freizupressen,
zwei Geiseln erschossen. Der herausgeforderte Staat hingegen
reagierte nicht wie gedacht. Anders als im Februar 1975, als die
"Bewegung 2. Juni" den Berliner CDU-Vorsitzenden Peter Lorenz
entführt und die Freilassung von Gefangenen gefordert hatte,
gab die Bundesregierung dieses Mal nicht nach. Bei der
Stürmung der Botschaft und der Befreiung der Geiseln durch die
schwedischen Sicherheitsbehörden - nachdem die Terroristen
eine Sprengstoffladung gezündet hatten - wurden zwei der
Terroristen getötet.
In seiner Regierungserklärung am Tag danach begründete
Schmidt die harte Haltung der Bundesregierung. Man habe zwischen
"zwei sehr hohen Rechtsgütern" abwägen müssen: dem
Leben der Geiseln und der lebens- und rechtsschützenden
Funktion des Staates. Vor der Aufgabe des Staates, "das Leben und
die Freiheit aller seiner Bürger zu schützen",
hätten "wir versagt, wenn 26 anarchistische Banditen
freigelassen worden wären". Wären sie freigekommen,
wäre man in der Bundesrepublik "vielleicht schon nach kurzer
Zeit am Ende aller Sicherheit gewesen".
Trotz der Trauer über den Tod der Geiseln im Parlament
wusste Schmidt sich in dieser Position einig mit den Vertretern der
anderen Parteien. Auch Oppositionsführer Karl Carstens (CDU)
betonte, die Freilassung der Gefangenen hätte eine "allgemeine
schwere Erschütterung des Vertrauens in unseren Rechtsstaat"
zur Folge gehabt. Er mahnte an, man müsse künftig
"energischere Maßnahmen" ergreifen, um den Rechtsstaat zu
schützen. Geschehe dies nicht, "könnten Menschen zu der
Auffassung kommen, dass sie sich ihr Recht selber suchen
müssten, wenn der Staat nicht genügend dafür sorgt,
dass Recht und Ordnung in unserem Lande überall und zu jeder
Zeit durchgesetzt werden". Bundesratspräsident Alfred Kubel
(SPD) demonstrierte Stärke: "Mögen aber diejenigen, die
weiter meinen, unseren Staat mit verbrecherischen Anschlägen
zerstören zu können, erkennen, dass wir ihrer Gesinnung
und ihren Taten immer mit letzter Entschlossenheit zur Verteidigung
unserer Freiheit entgegentreten werden."
Wie schnell dies wieder nötig sein würde, ahnte damals
wohl niemand. Schon im Herbst 1977 stand man erneut vor der
Aufgabe, Staatsräson und Menschenleben gegeneinander
abzuwiegen. Die RAF entführte den Arbeitgeberpräsidenten
Hanns Martin Schleyer und forderte die Freilassung von elf
Häftlingen. Die Bundesregierung entschloss sich zu einer
Verzögerungstaktik, bis ein Palästinenserkommando die
Lufthansa-Maschine "Landshut" entführte, um die Terroristen zu
unterstützen. Die Stürmung durch die GSG9 beendete alle
Verhandlungen. Nach dem Bekanntwerden der Aktion begingen Baader,
Ensslin und Raspe in Stammheim Selbstmord - und die RAF ermordete
Schleyer. Der deutsche Linksterrorismus überdauerte die
Regierung Schmidt. Erst im April 1996 löste die RAF sich
endgültig auf.
Zurück zur
Übersicht
|