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Claudia Heine
Rätsel bleiben weiter ungelöst
Ex-Staatsminister Volmer als Zeuge vor
Visa-Untersuchungsausschuss
Das ist das Gute an einem Untersuchungsausschuss: Man kann sich,
zumindest als Ausschussmitglied, ganz in die Aktenberge vertiefen,
wenn es unangenehm wird. Von dieser Gelegenheit machte gleich zu
Beginn der ersten Live-Befragung am 21. April der Vorsitzende
selbst Gebrauch. Als um 9.20 Uhr der frühere Staatsminister im
Auswärtigen Amt, Ludger Volmer (Bündnis 90/Grüne),
mit seinen Erläuterungen begann, blätterte Hans-Peter Uhl
(CSU) eine ganze Weile beflissen in dem vor ihm liegenden
Aktenordner. Denn Volmer leitete seine zweistündige Rede
sofort mit einem Angriff ein: Entschieden verurteilte er, von Uhl
als "einwanderungspolitischer Triebtäter" bezeichnet worden zu
sein und bezeichnete die Vorwürfe der Opposition als
"Diffamierungs- und Rufmordkampagne" gegen seine Person. Ludger
Volmer ließ sich offenbar von seiner Vorladung durch den
Visa-Untersuchungsausschuss und den auf ihn gerichteten
Fernsehkameras in keiner Weise beeindrucken: Er fände es
"äußerst befremdlich", richtete er sich an den
Ausschussvorsitzenden, dass ihm der "schärfste Ankläger"
in der Affäre nun in einer richterähnlichen Funktion
gegenübersitze.
Daran konnte Volmer nun aber nichts ändern.
Äußerst selbstbewusst begann er nach dieser
Einführung über jenen Erlass zu sprechen, der unter dem
Namen "Volmer-Erlass" wohl ins kollektive Gedächtnis eingehen
wird. Gemeint ist ein Erlass des Auswärtigen Amtes (AA) vom
März 2000, mit dem die Vergabe für Visa an deutschen
Auslandsvertretungen liberalisiert worden war. Union und FDP werfen
der Bundesregierung vor, dadurch massenschaft Schwarzarbeit und
Zwangsprostitution in der Bundesrepublik befördert zu haben.
Tatsächlich stiegen die Visaanträge nach Inkraftreten des
Erlasses vor allem in der Botschaft der ukrainischen Hauptstadt
Kiew überproportional an. Und tatsächlich waren illegal
erschlichene Visa und ein sich darum entwickelnden mafiöses
Netzwerk ein erhebliches Problem, mit dem sich das AA
auseinandersetzen musste.
Viele Beschwerdebriefe
Ludger Volmer verteidigte den Erlass dennoch: "Dieser Erlass war
nicht die Ursache für den massenhaften Missbrauch von
Einreisevisa." Vielmehr sei dafür die "Weisungslage" des AA
verantwortlich, die er bereits bei seinem Amtsantritt 1998
vorgefunden habe. Sowohl das Reisebüroverfahren und die
Reiseschutzpässe (eingeführt Mitte der 90er-Jahre)
hätten jene Situation begünstigt, in der das AA
schließlich handeln musste. "Wir haben in den Jahren 1998 und
1999 eine große Anzahl von Beschwerdebriefen erhalten, in
denen es um Fälle ging, wo Leuten das Visum verwehrt worden
ist", sagte Volmer. Darin sei es unter anderem um Menschen
gegangen, die dringend eine medizinische Behandlung in der
Bundsrepublik benötigt hätten und denen das Visum wegen
unklarer Formalitäten nicht ausgestellt wurde. Aber auch von
Behörden und Institutionen, unter anderem von der Bonner
Vertretung der Vereinten Nationen, seien solche kritischen
Reaktionen gekommen, so Volmer weiter. "Es ging darum, den
Reiseverkehr für Wissenschaft, Wirtschaft, Kultur aber auch
für Privatpersonen zu fördern." Dies alles sei
natürlich nur unter der Prämisse angestrebt worden,
Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik zu wahren. "Das war der
Hintergrund und nichts anderes."
Volmer bezeichnete den Vorwurf der Opposition, mit diesem Erlass
sollte das Ausländerreicht ausgehebelt werden, als "totalen
Humbug". Ausführlich wies er darauf hin, dass der Erlass
ausdrücklich die Einhaltung der Schengen-Regeln und des
deutschen Ausländerrechts verlangte.
Unsicherheit herrscht nach wie vor darüber, wie der Satz
"im Zweifel für die Reisefreiheit" in den Erlass gelangt ist.
Volmer bekräftigte zwar, einer der Initiatoren des Erlasses
gewesen zu sein. "Aber an der Texterarbeitung war ich selber nicht
beteiligt", sagte der Grünen-Politiker. "Ich habe den Satz
später nicht nur nicht formuliert, sondern ihn auch in Frage
gestellt." Er sei jedoch von Mitarbeitern darauf hingewiesen
worden, dass der Satz an sich keinen Aussagewert besitze sondern
nur als "Illustration" eines vorangegangenen Sachverhaltes genutzt
worden sei.
"Nur vom Hörensagen"
Bereits einen Tag vor der Vernehmung Volmers konnte der
Ausschuss diese Frage nicht klären. Geladen war dort unter
anderm der ehemalige Leiter der Rechtsabteilung im AA, Gerd
Westdickenberg. In dieser Funktion hatte er an der Entstehung des
"Volmer-Erlasses" zwar erheblichen Anteil, konnte sich jedoch
während seiner Aussage an viele Dinge nicht mehr erinnern.
Auch über den Umstand, von wem dieser Satz in den Erlass
geschrieben worden sei, wusste er nichts zu sagen. "Mir war nur vom
Hörensagen bekannt, dass man von Seiten des Staatsministers
großen Wert darauf gelegt habe", sagte der heutige Botschafter
beim Vatikan. Westdickenberg konnte sich an so viele Details nicht
mehr erinnern, dass die Opposition irgendwann ungeduldig wurde.
"Herr Zeuge, ihre Erinnerung ist ja doch schon etwas getrübt.
Kann es sein, dass einige Dinge an ihnen vorbei geregelt wurden",
fragte Hellmut Königshaus (FDP) gereizt. Und CDU-Obmann von
Klaeden sprach gar von einem "erstaunlichen Maß an
Gedächtnisschwund", das bei dem Beamten des AA zu bemerken
sei.
Wesentlich deutlicher äußerten sich die vernommenen
Botschafter in der Sitzung am 20. April. Der frühere
Botschafter Ernst-Jörg von Studnitz bezeichnete den
"Volmer-Erlass" als Fehler, aber nicht als rechtswidrig. Durch die
Weisung sei der Eindruck entstanden, Visa-Anträge müssten
weniger scharf geprüft werden. Allerdings stellte der Diplomat
klar, dass die Moskauer Botschaft die Anweisungen wegen ihrer
Undeutlichkeit ignoriert habe. Statt dessen habe man die alte
Praxis der umfassenden Prüfung aller Visa-Unterlagen
beibehalten. Auch der Botschafter in der Ukraine, Dietmar
Stüdemann scheute sich nicht vor klaren Worten. Der im
Volmer-Erlass formulierte Satz "im Zweifel für die
Reisefreiheit" habe die Beweislast umgekehrt. Nicht mehr der
Antragsteller, sondern der Entscheider habe nachweisen müssen,
ob der Visa-Antrag den Vorgaben entspreche. Als "nicht praktikabel"
für die Ukraine bezeichnete Stüdemann den Erlass, da es
dort ein kriminelles Umfeld gebe, das Menschen mit erschlichenen
Visa ins Ausland bringe.
Ludger Volmer betonte während seiner Vernehmung jedoch,
dass sich der Ermessenspielraum bei der Visa-Vergabe nur auf
"Restzweifel" bezogen habe, wenn sie denn nach allen
vorangegangenen Prüfphasen noch bestanden haben. "Es ging uns
nicht darum, für eine Riesengruppe die Grenze zu öffnen,
sondern für eine relativ kleine Gruppe von Menschen die
Einreisebestimmungen zu erleichtern."
Was die politischen Bewertungen der Zeugenaussagen in der
vergangenem Woche angeht, kann man auf solch eine Einigkeit wohl
vergeblich warten. Das läge auch nicht im Sinn des Verfahrens.
Während die Opposition vor allem mit den Aussagen der
Botschafter zufrieden war, lobten die Regierungsfraktionen den
Auftritt Ludger Volmers. Entgegen aller Erwartungen um diese erste
Life-Sitzung eines Unterschungsausschusses verlief sie betont
sachlich und undramatisch. Allerdings auch ohne einen inhaltlichen
Durchbruch.
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