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Helmut Merschmann
Verzerrtes Bild von Migranten
Fernsehen zeigt oft das Extreme
Deutschland ist nicht erst seit gestern Einwanderungsland.
Dennoch fällt es den Medien, vor allem dem Fernsehen, schwer,
ein differenziertes Bild der Lebenswirklichkeit von Einwanderern zu
zeichnen. Für Nachrichtensendungen sind oft genug bloß
Extreme eine Meldung wert. Ausländer tauchen darin
überdurchschnittlich häufig als Kriminelle, Asylanten,
Terrorverdächtige und Fundamentalisten auf. Oder ihr
gesellschaftlicher Erfolg wird überhöht. Da fällt
das Herkunftsland eines Fußballers besonders häufig, und
Miss Germany erfährt zusätzliche Aufmerksamkeit, weil sie
Deutschtürkin ist. In dieser quotenträchtigen Stereotype
hat man sich eingerichtet. Die Mitte, das Normale, die
Alltagsrealität von Migranten fehlen indessen.
"Das Fernsehen agiert unterkomplex", resümierte Wilhelm
Heitmeyer, Leiter des Instituts für Konflikt- und
Gewaltforschung, auf einer Berliner Tagung über die
Darstellung von Migranten in den Medien, veranstaltet von der CIVIS
Medienstiftung für Integration und kulturelle Vielfalt in
Europa. Für den Bielefelder Soziologen steht fest, dass die
oft gut gemeinte moralische Belehrung im Fernsehen gegen die realen
Erfahrungen und Vorstellungen der Menschen nicht ankommt. Im
Gegenteil: "Je höher die Moral, desto geringer die Chance
für Kommunikation", fand Heitmeyer heraus.
In empirischen Langzeitstudien kann er seit Jahren den stetigen
Anstieg "menschenfeindlicher" Haltungen in Deutschland nachweisen.
Aber gerade in den vergangenen zwei Jahren haben besonders
Rassismus und Antisemitismus zugenommen. 73 Prozent der Befragten
glauben, dass Moslems nicht in die westliche Kultur passen, 85
Prozent wollen Recht und Ordnung stärker verteidigt wissen.
Für diesen Einstellungswandel ist laut Heitmeyer die Erfahrung
von Desintegration verantwortlich: Menschen fühlen sich durch
Perspektivlosigkeit, die Bedrohung ihres Arbeitsplatzes oder
Sozialabbau gesellschaftlich ausgegrenzt und kompensieren dies,
indem sie nach unten treten.
Das ist kein deutsches Phänomen. Europaweit hat sich die
Haltung der Bevölkerungsmehrheit zu Minderheiten gewandelt.
Beate Winkler, Direktorin der Europäischen Beobachtungsstelle
von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit (EUMC) in Wien, kommt in
einer aktuellen Studie zu vergleichbaren Ergebnissen. In allen 25
EU-Ländern spricht sich durchschnittlich die Hälfte der
Bevölkerung gegen kulturelle Vielfalt aus und glaubt, dass
eine Gesellschaft nur begrenzt Menschen anderer Rassen, Religionen
oder Kulturen aufnehmen kann. Selbst die Staatsbürgerschaft
von legalen Einwanderern wird nicht gutgeheißen. In den alten
Bundesländern würden 51,8 Prozent den Migranten die
bürgerlichen Rechte absprechen wollen, das heißt kein
Wahlrecht, kein Anrecht auf Sozialleistungen. In den neuen
Bundesländern geht die Ablehnung noch weiter: Dort
befürworten 32,6 Prozent sogenannte
"Rückführungsmaßnahmen". Im Klartext: Sie wollen,
dass die "Ausländer" das Land verlassen.
Das Problem liegt in der "Mitte". 60 Prozent der
Bundesbürger fühlen sich dem gesellschaftlichen Zentrum
zugehörig. Dort werden allerdings ausländerfeindliche
Diskurse immer häufiger akzeptiert und somit hoffähig.
Wenn Menschen sich der Mehrheit zugehörig fühlen, fallen
ihre Parolen umso offensiver aus. Es kommt zu einer "Redespirale",
bei der sich auch die Ressentiments gegenseitig hochschaukeln. Die
Massenmedien befinden sich in einem Dilemma: Einerseits wollen sie
mehrheitsfähig bleiben und machen sich von Quoten
abhängig. Andererseits dienen sie laut Staatsvertrag der
Stabilisierung von Demokratie. Auf das Stammtischniveau von Teilen
ihrer Klientel können sie sich nicht begeben. Und nur für
"Gutmenschen" zu senden, reicht nicht aus.
Das Thema Einwanderungsgesellschaft erfordert dabei
"Einfühlungsvermögen und Kennerschaft wie kein anderes",
räumte WDR-Intendant Fritz Pleitgen auf der Konferenz ein. Die
allerdings lassen sich nicht immer leicht ausmachen. So monierte
die Bundesbeauftragte für Migration, Flüchtlinge und
Integration, Marieluise Beck, dass Vorfälle wie ein Mord an
der Ehefrau von den Medien bei Migranten oft als "ausländisch"
markiert werden. "Das Unübliche darf aber nicht als das
Übliche dargestellt werden", forderte Beck.
Intelligenter verfuhr dagegen ein Fernsehbeitrag zum
"Kopftuchstreit im Schwimmbecken". Auf ironische Weise verstanden
es die Reporter, Fremdenfeindlichkeit im bayrischen Harlaching zu
dekuvrieren. Als die Bewohner des Münchner Vorortes zum
Protest gegen die Schwimmbadbenutzung durch islamische Frauen mobil
machten und Unterschriften sammelten, stellte sich heraus, dass die
wenigsten Unterzeichner genügend informiert waren. Sie nahmen
an, vom "Moslemschwimmen" ausgeschlossen zu sein. Dabei hatte es
sich um einen allgemeinen Frauenschwimmtag gehandelt, zwei Mal im
Monat vormittags, wie es ihn in hunderten anderer Gemeinden auch
gibt.
Der WDR will nun verstärkt "Menschen mit ausländischem
Hintergrund" in Teams, Redaktionen und vor der Kamera einsetzen.
Allerdings klagen türkischstämmige Mitarbeiter der
Sendeanstalten schon heute, dass sie auf das Thema Migration
festgenagelt werden. ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender forderte,
zudem "verstärkt solche politischen Themen in den Boulevard"
zu integrieren und sie aus der Special-Interest-Ecke
herauszuholen.
Möglicherweise überschätzen die Sender aber ihre
Einflussmöglichkeiten. Trotz aller politischen Korrektheit, um
die man sich gerade beim öffentlich-rechtlichen Fernsehen
bemüht, wird beispielsweise der Ausländeranteil in der
Bevölkerung konstant zu hoch eingeschätzt, im Westen auf
19 bei realen zehn Prozent, im Osten sogar um das Dreifache auf
zwölf bei realen vier Prozent. Die Zuschauer nutzen das
Fernsehen, um sich ihre Haltungen und Einstellungen bestätigen
zu lassen. Bei Widerspruch schalten sie einfach ab. Auf einem
anderen Kanal wird es schon das Richtige geben.
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