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Fakten und keine Medienwellen
Gespräch mit Jürgen
Plöhn
Das Parlament:
Untersuchungsausschüsse gelten als Orte, an denen viel
Getöse stattfindet und am Ende wenig herauskommt. Stimmt diese
Einschätzung?
Jürgen Plöhn: Grundsätzlich nein. Man muss
bei Untersuchungsausschüssen zwei Dinge unterscheiden: Zum
einen die konkreten Ergebnisse, die Fakten, die erhoben worden
sind, zum anderen die Folgen, die sich daran politisch knüpfen
können. Man muss darüber hinaus zwischen Landes- und
Bundesebene unterscheiden. Für diese beiden Bereiche
existieren unterschiedliche Anwendungsbedingungen. Auf der
Landesebene werden deutlich mehr Untersuchungsausschüsse
eingesetzt als auf der Bundesebene, da die konkreten
Vollzugskompetenzen überwiegend auf Landesebene liegen,
während die großen politischen Entscheidungen primär
auf der Bundesebene getroffen werden. Dadurch werden vor
Untersuchungsausschüsse des Bundestages unter anderem
Politiker geladen, die den Parteien bundesweit ihr Gesicht geben,
gewohnt sind, im Rampenlicht zu stehen, und sich dann auch im
Zeugenstand politisch-professionell verhalten. Auf jeden Fall haben
viele Untersuchungsausschüsse umfangreiches Faktenmaterial
hervorgebracht. Auch wenn jemand entlastet worden ist, kann das
hinterher in den Medien vielleicht nicht mehr große Wellen
schlagen, aber ein sinnvolles Ergebnis eines
Untersuchungsausschusses sein.
Das Parlament:
Wobei die Rolle der Öffentlichkeit nicht zu
unterschätzen ist. Welche Bedeutung haben Ergebnisse, die dort
keine Resonanz finden?
Jürgen Plöhn: Untersuchungsausschüsse
dienen der Bestimmung der politischen Tagesordnung. Insoweit ist es
für alle Beteiligten wichtig, dass die Öffentlichkeit von
ihnen Kenntnis nimmt. Für die Fraktionen im Deutschen
Bundestag ist eine Untersuchung nur dann relevant, positiv wie
negativ, wenn sie in den Medien ein großes Echo erfährt.
Aus Sicht der Wissenschaft wie aus Sicht der Betroffenen ist es
aber durchaus von Belang, wenn möglicherweise Fakten dabei
herauskommen, die vorher unbekannt waren.
Das Parlament:
Ist das Dilemma der Untersuchungsausschüsse, politisches
Kampfinstrument und gleichzeitig der Tatsachenaufklärung
verpflichtet zu sein, lösbar?
Jürgen Plöhn: Bei den Akteuren haben wir es mit
politischen Handlungsträgern zu tun. Regierungsmehrheit und
Opposition kämpfen vor den Augen der Öffentlichkeit, und
beide wollen bei den nächsten Wahlen die
Gestaltungsmöglichkeiten von Parlamentsmehrheit und Regierung
entweder verteidigen oder neu gewinnen. Deshalb kommt es für
beide Seiten darauf an, dass Themen angesprochen werden, die ihnen
günstig erscheinen und Fakten erhoben werden, die im Rahmen
der politischen Auseinandersetzung eine Bedeutung haben. Es geht
nicht darum, eine abstrakte Wahrheit zu finden. Wahrheit ist eine
Kategorie der Philosophie und der Wissenschaft, keine
Zielgröße für das politische System. Denn dort
werden Entscheidungen vorbereitet. Das geschieht auch mit Hilfe
parlamentarischer Untersuchungsausschüsse.
Das Parlament:
Wie lässt sich ein Kriterium wie Erfolg auf die Arbeit
eines Untersuchungsausschusses anwenden?
Jürgen Plöhn: Als erfolgreich kann ein
Untersuchungsausschuss bezeichnet werden, wenn er eine politische
Debatte prägt und sie mit Argumenten versorgt. Es kommt darauf
an, ob man sich auf Akten stützen kann oder nicht. Eine reine
Vernehmung von Zeugen bringt sehr häufig in entscheidenden
Punkten keine durchschlagenden Ergebnisse. Es ist plausibel, erst
dann jemanden zu vernehmen, wenn professionelle Mitarbeiter die
vorhandenen Akten auf zentrale interessante Punkte durchgesehen
haben.
Das Parlament:
Welche Rolle spielt das Charisma der Ausschussmitglieder in der
Auseinandersetzung?
Jürgen Plöhn: In jüngster Zeit,
insbesondere bei dem Parteispenden-Ausschuss, stellten sich
Ausschuss-Mitglieder unmittelbar nach den einzelnen Zeugenaussagen
vor die Kameras und unterzogen diese Aussagen einer politischen
Bewertung. Das ist eine ungünstige Entwicklung. Für die
Vergangenheit lässt sich nachweisen, dass eine Reihe von
politischen Karrieren durch Untersuchungsausschüsse
begründet oder deutlich gefördert worden sind. Einige
Politiker haben in ihrer Tätigkeit als Vorsitzende von
Untersuchungsausschüssen an politischer Statur gewonnen und
sich für Ministerämter empfohlen. Da kann man an Wolfgang
Schäuble, Manfred Wörner oder Peter Struck denken.
Bislang geschah das jedoch primär dadurch, dass die Politiker
die Ausschussarbeit gut strukturiert, am Ende einen
aussagekräftigen Untersuchungsbericht vorgelegt haben und eine
markante Position im Sinne ihrer Fraktion formulieren konnten. Im
Moment besteht aber die Gefahr, dass sich einzelne
Ausschuss-Mitglieder schon während der Untersuchung zu
profilieren trachten. Es schadet langfristig dem Instrument der
parlamentarischen Untersuchungsausschüsse, wenn die
Möglichkeit der Bevölkerung, sich durch die
Zeugenvernehmungen über politische Ereignisse ein
eigenständiges Urteil zu bilden, durch parteipolitische
Schnellschüsse entwertet wird.
Das Gespräch führte Claudia Heine
Der Politologe Jürgen Plöhn ist Akademischer Direktor des
Zentrums für Deutschland- und Europastudien an der
Universität Sofia und Privatdozent an der Universität
Halle.
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