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Hermann Glaser
Republikanisches Ethos angemahnt
Die blockierte "Berliner Republik"
Diesem kämpferischen Buch ist unter anderem
Friedrich Nietzsches Feststellung vorangestellt: "Gefährlich
ist es, Erbe zu sein." Dass man stattdessen in der "Berliner
Republik" auf ihrem Weg in die Zukunft gerne historische
Gleichgültigkeit praktiziert, zeigte vor einiger Zeit etwa die
emphatische Lobpreisung des von der "Süddeutschen Zeitung" als
notorischen Steuerflüchtling eingeschätzten Friedrich
Christian Flick durch den Bundeskanzler: Da er seine "mit dem
Blutgeld des Großvaters erworbene Kunstsammlung" (S. Korn) der
Berliner Öffentlichkeit leihweise zur Verfügung gestellt
hat, bleibt, so muss man fragen, selbst für die SPD die Frage
nach politischer Moral irrelevant.
Michael Loeckle konnte diesen Fall nicht mehr
in sein Buch, das auch als Dissertation vorgelegt wurde, aufnehmen,
da es schon in Druck war. Er hätte in die fatal lange Reihe
seiner Belege, mit denen er die Blockierung des republikanischen
Ethos verifiziert, gut gepasst.
Zitatenreich, abgestützt durch viele
Anmerkungen und eine umfangreiche Bibliographie (weit über 500
Titel), entwirft er ein düsteres Bild Deutschlands, dessen
Kälte, Unfähigkeit zu trauern, Killerkapitalismus,
Besitzwahn, Spießertum er beklagt. Mehr denn je sei, in
Erinnerung an die unheilvolle Kontinuität vom Bismarck-Reich
bis zum Dritten Reich, in Deutschland die schon von Kant und
Hölderlin postulierte "Revolution der Gesinnungen"
vonnöten.
Damit von vorneherein deutlich ist: "Das
Anliegen der hier vorliegenden Schrift möchte kein anderes
sein." Im Übrigen bekenne sich der Autor zu Erich
Kästners Einsicht, dass Satiriker Schulmeister seien, die im
verstecktesten Winkel ihres Herzens die Hoffnung hegten, dass "die
Menschen vielleicht doch ein wenig, ein ganz klein wenig besser
werden könnten, wenn man sie oft genug beschimpft, bittet,
beleidigt und auslacht".
Streit und Provokation
Bei seiner materialreich-anregenden
Streitschrift geht der Verfasser kaum einer Provokation, kaum einem
stritigen Thema aus dem Wege, was bei der Leserschaft - kollektiver
Gesundheit durchaus bekömmlich - den Adrenalinspiegel, teils
aus Zustimmung, teils aus Ablehnung, sicherlich erheblich ansteigen
lässt. "Satiriker" müssen manchmal zu weit gehen, um zu
erproben, wie weit man gehen kann, um staatsbürgerliche
Sensibilität und die Zivilcourage des Widerspruchs zu
wecken.
Aus meiner Sicht geht jedoch dem Autor in
seinem pessimistischen Engagement für Aufklärung des
Öfteren das "Gleichgewichtsgefühl" verloren; etwa wenn er
- geradezu von einem Furor teutonicus (den er doch eigentlich
bekämpfen will) angetrieben, auch unter Heranziehung
fragwürdiger Zeugen - gegen bestimmte Strömungen moderner
Kultur polemisiert: "Mit dem kakodämonistischen
Exhibitionismus des modernen Theaters steht es indessen nicht
anders als mit der musica nova und dem degoutanten Jokus der
,modern art' … es geht auch hier um Vernichtung, Atomisierung
und Dekomposition durch eine Intendanz aus Chaos, Wahn und
Anarchie."
Die "Dialektik der Aufklärung" - ihre
Verkehrung ins Gegenteil - besteht nicht zuletzt darin, dass man
sie mit unaufgeklärten Mitteln propagiert. Da hätte dem
Verfasser sein spanischer "Freund und Mentor" Heleno Saña, der
auch ein Vorwort schrieb, zu mehr Coolness raten sollen. Saña
wäre zudem nahe zu legen, bei seiner in vielen Publikationen
verbreiteten vehementen Deutschlandkritik etwas
zurückhaltender zu sein; er bräuchte nur den hohen Stand
der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit in der Bundesrepublik
mit den in dieser Hinsicht gravierenden Versäumnissen im
ehemaligen "Franco-Land" zu vergleichen.
Die Wahrheit über die deutsche
Geschichte und Gegenwart, der dieses Buch dient, ist oft
schmerzlich, verhilft aber zur Heilung. Eine wiederholte
Lektüre dieses Buches hat mich jedoch bedenklicher gestimmt:
Eine fragwürdige Leistung!
Michael Loeckle
Die blockierte Republik.
Deutschland zwischen Wahn und
Wirklichkeit.
battert verlag, Baden-Baden 2004; 396 S.,
29,80 Euro
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