Thilo Castner
Wachsamkeit bleibt auch hierzulande oberstes
Gebot
Alarmierende Angaben im neuen
"Grundrechte-Report"
Auch in der nunmehr neunten Ausgabe des Grundrechte-Reports,
initiiert von mehreren Bürgerrechtsorganisationen wie der
Humanistischen Union und dem Republikanischen
AnwältInnenverein, werden für das Jahr 2004 eklatante
Verstöße gegen Artikel 1 - 20 des Grundgesetzes
aufgelistet. In den insgesamt 45 Beiträgen der 44 Autoren,
überwiegend Hochschullehrer, Anwälte und Richter, wird
deutlich: Der Einsatz für eine strikte Einhaltung und
Verteidigung der Grundrechte ist nach wie vor unerlässlich,
soll die Bundesrepublik als demokratischer und sozialer Rechtsstaat
nicht gefährdet werden.
Art und Umfang der Verstöße sind schier unendlich, und
immer neue kommen dazu, etwa durch die Einführung von
"Schnüffel-Chips im Warenkorb". Hier kann mit Hilfe eines
winzigen Chips und einem Lesegerät festgehalten werden, welche
Waren ein Verbraucher einkauft und was mit den Waren geschieht. Die
automatisierte Kfz-Kennzeichenerkennung kontrolliert, welche
Strecken ein bestimmtes Fahrzeug zurücklegt und wo es sich
gerade aufhält. Das Aufspüren unerwünschter
Fußballfans ist ebenso wenig ein Problem wie die permanente
Videoüberwachung des Arbeitnehmers am Arbeitsplatz.
Schockierend und abstoßend sind die geschilderten
Misshandlungen in Justizvollzugsanstalten und
Abschiebegefängnissen, die Abschiebepraxis in einigen
Großstädten und polizeiliche Brechmittelmethoden in der
Drogenszene. Das Recht auf Leben und körperliche
Unversehrtheit wird in den aufgegriffenen Fällen ähnlich
eklatant verletzt wie bei Heimbewohnern, die durch Psychopharmaka,
Bettgitter oder Bauchgurte ruhig gestellt werden, weil an Personal
gespart wird, damit die Profitrate des Pflegeheims stimmt.
Die Einführung einer Demonstrationsgebühr, in einigen
Bundesländern bereits ernsthaft erwogen und versuchsweise
praktiziert, schränkt die Versammlungsfreiheit
aufmüpfiger Bürger nachhaltig ein. Gerichtsurteile wie
das gegen den 78-jährigen Ex-KZ-Häftling Löwenberg,
der eine Geldstrafe zahlen musste, weil er in München zum
Widerstand gegen einen Neonazi-Aufmarsch aufgerufen hatte, lassen
den Verdacht aufkommen, dass Zivilcourage strafbar sein kann.
Die weltweite Bekämpfung des Terrorismus hat auch in
Deutschland erhebliche Grundrechtsverletzungen ausgelöst.
Faire Verhandlungen gegen Al-Qaida-Verdächtige erwiesen sich
als kaum durchführbar. Unter Verdacht stehende Ausländer
wurden abgeschoben, auch wenn Gefahr für Leib und Leben im
Zielstaat bestand.
Große Sorge bereitet den Autoren der expandierende Abbau
des Sozialstaats durch Hartz IV und andere Arbeitsmarktgesetze.
Wachsender Verzicht auf Sozialpolitik geht auf Kosten der Schwachen
und entsolidarisiert die Gesellschaft. Unterhalb einer bestimmten
Bemessungsgrundlage ist menschenwürdiges Leben nicht mehr
möglich. Die Herausgeber mahnen eindringlich: "Die Entwicklung
des Sozialstaats, aber auch die Asyl- und Ausländerpolitik in
unserem Land machen eines ganz deutlich: Wie die staatlichen
Institutionen den Schwächsten - Asyl suchenden, armen, aber
auch alten Menschen - gegenübertreten, bleibt wichtiger
Gradmesser für den Zustand von Menschenwürde, Demokratie
und Rechtsstaatlichkeit in Deutschland."
Till Müller-Heidelberg und andere (Hrsg.)
Grundrechte-Report 2005.
Zur Lage der Bürger- und Menschenrechte in
Deutschland.
Fischer TB 16695, Frankfurt/M. 2005; 255 S., 9,90
Euro
Zurück zur
Übersicht
|