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Robert Luchs
Ohne Eliten kommt die Gesellschaft nicht
voran
Der Wettbewerb um die besten Köpfe
verschärft sich
Der Begriff Elite hat im deutschen Sprachgebrauch einen gewissen
Beigeschmack von Ar-roganz und Anmaßung, Dünkel und
eitler Ab-gehobenheit. Ein Graben tut sich auf zwischen "de-nen da
oben" und dem normalen Volk. Ein Graben, der in Deutschland nur
schwer zuzuschütten ist. Der Grund ist vor allem in den
großen Zeitenwenden des vergangenen Jahrhunderts zu finden,
als die politischen Eliten versagten. Daher war es lange
verpönt, sich zur Elite zu bekennen.
Hat unsere Gesellschaft eine Konjunktur der Köpfe oder
herrscht immer noch tiefes Misstrauen gegenüber den Eliten in
der modernen Wissensgesellschaft? Einen breitgefächerten
Themenbereich stellen die Politikwissenschaftler Oscar W. Gabriel
und Beate Neuss und der Leiter der Begabtenförderung und
Kultur der Konrad-Adenauer-Stiftung, Günther Rüther, in
einer Beitragsreihe vor. Zu den Autoren zählen noch andere
prominente Namen wie Wolfgang Schäuble, Manfred Eisele und
Elmar Wiesendahl - eine Elite eben, aus vielen Bereichen des
öffentlichen Lebens.
Einen schlimmen Befund stellt Tilman Mayer von der Bonner
Universität an den Anfang seiner Betrachtung. Zwei von drei
Top-Vertretern der Wirtschafts-, Verwaltungs- und Politikelite sind
nach einer Befragung von Allensbach der Ansicht, dass die Deutschen
elitefeindlich gesonnen sind. Fehlt aber das Vertrauen, leidet die
politische Kultur. Viel bleibt zu tun, um das gegenseitige
Misstrauen abzubauen und im Interesse der gesamten Gesellschaft zu
einem fruchtbaren Miteinander zu gelangen.
Zurzeit liegt der Ball im Feld der Führungsgruppen.
Parlamentarier müssen sich des Verdachts erwehren, von
Konzernen Geld gegen geringe - wenn überhaupt -
Gegenleistungen zu erhalten. Topmanager genehmigen sich,
während Politiker zu verstärkter Reform- und
Opferbereitschaft aufrufen, exorbitant hohe Gehälter und
Abfindungen. Auch die aktuelle Reformpolitik stärke mit "nicht
eingelösten Versprechungen kaum das Vertrauen in die
Leistungsfähigkeit der Führungsgruppen", stellt Melanie
Walter-Rogg von der Universität Stuttgart fest. Misstrauen
gegenüber Eliten könne auf lange Sicht zu Misstrauen
gegenüber dem politischen System führen. Allein das
zeigt, um was es geht: Um nichts weniger nämlich als um den
Bestand der Demokratie.
Während 1972 noch zwei Drittel der Westdeut-schen
großen Respekt vor den Fähigkeiten der Abgeordneten
hatten, sind knapp 20 Jahre später nur ein Drittel der
Bürger dieser Meinung. Bei den Ostdeutschen nimmt das
Vertrauen in die Fähigkeiten der politischen
Repräsentanten seit 1991 kontinuierlich ab. Noch
größer ist die Vertrauenskrise im wirtschaftlichen
Bereich; lediglich 18 Prozent der Deutschen vertrauen Managern
großer Unternehmen. Dabei ist von großer Bedeutung, wie
die Bürger reagieren werden. Bestenfalls, so Walter-Rogg, mit
einem verstärkten politischen Engagement, schlimmstenfalls
durch Mobilisierung antidemokratischer, populistischer Bewegungen
wie in Frankreich oder in Holland.
Hermann Kühnle, Professor in Magdeburg, äußert,
die Migrationsbewegungen der Bildungs- und Forschungseliten
müssten Alarm auslösen. Die Abwanderung der
Höchstqualifizierten aus Deutschland stehe nicht etwa bevor,
sie sei vielmehr in vollem Gange. Es scheine, so Kühnle, keine
Aussicht auf ein Klima für Innovation und Leistung zu
bestehen. Zwar sei das Potential durchaus vorhanden, doch
vermögen die deutschen Universitäten nicht die
entsprechende Anziehungskraft zu entfalten. Deutschland müsse
von "bürokratischem Muff" befreit werden, damit jenes
Forschungs- und Arbeitsklima entstehen könne, in dem Leistung,
Eigenverantwortung, Mut und Kreativität gesellschaftlich und
finanziell belohnt, "statt durch Bürokraten,
Bedenkenträger und Neider behindert und diskreditiert"
werden.
Hohe Aktualität gewinnt der Sammelband durch
gründliche Analysen über die Aufgaben der Eliten in der
Demokratie, über Funktionseliten in der modernen
Wissensgesellschaft und über die Elitediskussion an den
deutschen Universitäten.
Oscar W. Gabriel, Beate Neuss, Günther Rüther
(Hrsg.)
Konjunktur der Köpfe?
Eliten in der modernen Wissensgesellschaft.
Droste Verlag, Düsseldorf 2004; 384 S., 22,95
Euro
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