Gerlinde Schaidt
Jürgen Rüttgers: An die Arbeit
Nordrhein-Westfalen: Das neue Kabinett
steht
Auf den Tag genau vier Wochen nach dem Sieg bei
der Landtagswahl und 24 Stunden nach seiner Vereidigung als neunter
Ministerpräsident des Landes hat Jürgen Rüttgers
(CDU) sein Kabinett vorgestellt. Wie Amtsvorgänger Peer
Steinbrück (SPD) will auch Rüttgers mit elf Ministern
regieren. Die neue Mannschaft besteht aus drei Frauen und acht
Männern. Neun sind Christdemokraten, zwei sind Liberale.
Bundesweit prominente Politikernamen finden
sich auf der Kabinettsliste nicht. Dafür kennen alle Minister
das Land und kommen aus der Praxis. Bis auf Rüttgers und
Christa Thoben hat niemand Regierungserfahrung. Ähnlich wie
früher Johannes Rau (SPD) hat Rüttgers bei der
Zusammensetzung seines Kabinetts darauf geachtet, die
parteipolitischen Kräfte im Land einzubinden.
Überraschung löste die Ernennung
der Bielefelder Schulrätin Barbara Sommer zur Schulministerin
aus. Sie ist ein Neuling auf der politischen Bühne. Von ihr
ist nur bekannt, dass sie 56 Jahre alt ist, fünf Kinder
groß gezogen hat und mit dem IHK-Präsidenten von
Bielefeld verheiratet ist. Seit 1997 arbeitet die
Grundschullehrerin als Schulamtsdirektorin in Gütersloh.
Rüttgers verteilte an seine neue Schulministerin
Vorschusslorbeeren. Sie habe "Biss", als ehemalige Lehrerin,
Schulrätin und Mutter wisse sie genau, was sich an den Schulen
ändern müsse, betonte er.
Die CDU-Politikerin trägt im neuen
Kabinett die Verantwortung für die schwierige Korrektur der
Schulpolitik. Dazu gehören die Einschulung mit dem
fünften Lebensjahr, Englisch ab Klasse eins, Noten ab der 2.
Klasse, die Auflösung der Schulbezirksgrenzen und vor allem
die Einstellung von 4.000 zusätzlichen Lehrern bis
2010.
Unerwartet kommt auch die Berufung von
Roswitha Müller-Piepenkötter zur Justizministerin. Die 55
Jahre alte Richterin am Oberlandesgericht Düsseldorf war
bisher auch Vorsitzende des Richterbundes in NRW. In dieser
Position hat sie die Justizpolitik der rot-grünen
Landesregierung kritisiert. Roswitha Müller-Piepenkötter
ist verheiratet und hat zwei Kinder.
In der Kabinettshierarchie steht an erster
Stelle FDP-Landeschef Andreas Pinkwart als stellvertretender
Ministerpräsident und Ressortchef für Innovation,
Wissenschaft, Forschung und Technokratie. Der 44-jährige
haushaltspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion aus dem
Rhein-Sieg-Kreis hat sich auf Drängen von Parteifreunden
für Düsseldorf entschieden. Jetzt muss der beurlaubte
Wirtschaftswissenschaftler der Uni Siegen Wissenschaft in die
Praxis umsetzen. Zu seinem Aufgaben gehört auch, die geplanten
Studiengebühren durchzusetzen.
Das Innenministerium übernimmt der
bisherige FDP-Fraktionschef Ingo Wolf. Der Ex-Oberkreisdirektor von
Euskirchen soll den Abbau von Bürokratie vorantreiben und sich
um die Reform der Polizei kümmern. Der 50-jährige
Volljurist geht als Verlierer ins Kabinett. Ursprünglich
wollte er Vizepremier werden, unterlag jedoch im innerparteilichen
Machtkampf mit Pinkwart. Wenig erfreut dürfte er auch
darüber sein, dass Rüttgers ihm den CDU-Mann Manfred
Palmen als Parlamentarischen Staatssekretär zur Seite stellt.
Er wird sich um die Verwaltungsstrukturreform kümmern. In
diesem Bereich hat die FDP andere Vorstellungen als die
CDU.
Nach dem Machtwechsel werden auch die
Ressortzuschnitte verändert, um den im Wahlkampf
angekündigten Richtungswechsel zu demonstrieren. Das
frühere Superministerium für Wirtschaft und Arbeit wird
getrennt. Neue Ministerin für Wirtschaft, Mittelstand und
Energie wird Christa Thoben. Die wirtschaftserfahrene Politikerin
aus dem Ruhrgebiet hatte 1999 vergeblich versucht, in Konkurrenz zu
Helmut Linssen und Rüttgers NRW-CDU-Chefin zu werden. Die
63-jährige Wattenscheiderin kennt als langjährige
Hauptgeschäftsführerin der IHK Münster die Probleme
gerade kleinerer Firmen. Sie war drei Jahre Staatssekretärin
im Bundesbauministerium von Klaus Töpfer und kurze Zeit
Kultursenatorin in Berlin.
Das schwierige Amt des Finanzministers
übernimmt Helmut Linssen. Der gelernte
Außenhandelskaufmann, studierte Ökonom und heutige
Gesellschafter eines großen Futtermittelbetriebes am
Niederrhein muss im Herbst ein Sparpaket von 2,2 Milliarden Euro
vorlegen. Linssen war vor Rüttgers neun Jahre lang Chef der
CDU-Fraktion im Landtag und bei der Landtagswahl 1995
Spitzenkandidat gegen Ministerpräsident Johannes Rau. 1999
verlor er gegen Jürgen Rüttgers den Kampf um die
NRW-Spitzenkandidatur in NRW. Seit 2000 war er
Landtagsvizepräsident.
Der Bundestagsabgeordnete Karl-Josef Laumann
wird Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales. Die
Berufung des 48-jährigen sollte ein Zeichen für die
soziale Ausrichtung der Landespolitik setzen. Der
Münsterländer ist ausgebildeter Maschinenschlosser und
Vater von drei Kindern. Er wird daran gemessen werden, ob es ihm
gelingt, die Arbeitslosigkeit von über einer Million Menschen
abzubauen. Ihm traut man zu, eine moderne Art Norbert Blüm zu
werden.
Ungewöhnlich wirkt die Berufung des
Aachener Europaabgeordneten Armin Laschet zum Minister für
Generationen, Familie, Frauen und Integration. Mit der in
Deutschland erstmaligen Einrichtung eines Generationenministeriums
trägt Rüttgers der Tatsache Rechnung, dass der Anteil der
Älteren immer größer wird. Dass der 44-jährige
Jurist und Journalist auch für Frauen zuständig ist,
mutet eigenartig an, macht im Zusammenhang mit den anderen
Zuständigkeitsbereichen als Querschnittsressort durchaus Sinn.
Nach dem SPD-Politiker Friedhelm Farthmann ist er der zweite Mann,
der für Frauenfragen zuständig sein wird.
Verwunderung hat auch die Berufung von
Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff, dem bisherigen Stadtdirektor und
Kulturdezerntenten der Landeshauptstadt Düsseldorf, zum Chef
der Staatskanzlei und gleichzeitig zum Staatssekretär für
Kultur ausgelöst. Offensichtlich will Rüttgers damit
deutlich machen, dass Kultur künftig Chefsache ist. Andere
fürchten allerdings, dass die Kultur zu kurz kommen
wird.
Minister für Bundes- und Europafragen
wird der 39- jährige CDU-Bezirksvorsitzende Mittelrhein
Michael Breuer; der frühere Gelsenkirchener
Oberbürgermeister Oliver Wittke wird Minister für Bau und
Verkehr. Der 57-jährige gelernte Landwirt Eckhard Uhlenberg
übernimmt das Umweltministerium. Regierungssprecher und
Medienstaatssekretär wird Thomas Kemper (53). Zum neuen
Fraktionschef wählten die 89 CDU-Abgeordneten den bisherigen
Parlamentarischen Geschäftsführer Helmut Stahl. Am 13.
Juli will Rüttgers seine Regierungserklärung
abgeben.
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