Jeannette Goddar
Der "Spiesser" kommt
Schülerzeitung für
Ostdeutschland
Der Chefredakteur von Ostdeutschlands größtem
Jugendmagazin hat die Nacht im Zelt verbracht. Vermutlich
hätten die Organisatoren des Jugendfestivals "berlin 05" ihm
auch jederzeit ein Kämmerchen freigeräumt - wo sie ihn
schon mit nur 24 Stunden Vorlauf zu Gregor Gysi auf das Podium
zitierten. Aber nein, wehrt er ab: "Ich zelte total gerne!"
Dabei sieht er gar nicht aus wie ein Camper. Peter Stawowy ist
nicht nur 1,90 Meter groß und damit ziemlich lang für ein
Zelt. Er trägt einen Anzug sowie ein tadellos gebügeltes
Hemd; die ersten grauen Haare schimmern durch. Auch das von ihm
moderierte Gespräch mit dem PDS-Politstar verlief so wie fast
immer: Gysi spricht und spricht, wortgewandt und von wenigen
Sekunden abgesehen immer nur über Themen, die ihm gefallen.
Stawowy ist im Anschluss auch höchstens halb zufrieden:
"Vielleicht hätte ich öfter unterbrechen sollen. Aber es
gibt Leichteres."
Dabei ist er Profi: Der 33-Jährige hat in Münster
Politik studiert, bei der Deutschen Universitätszeitung und
beim Campus-Radio die ersten journalistischen Erfahrungen gesammelt
und später für das Grimme-Institut und das Medienmagazin
"kress report" gearbeitet. Vor zwei Jahren holte der
Geschäftsführer der wohl ambitioniertesten
Schülerzeitung der Republik ihn nach Dresden. Seither leitet
er als "eingekaufter Quotenwessi" (Stawowy über Stawowy) die
redaktionellen Geschicke des "Spiesser".
Der ist der Beweis dafür, dass nach der Schule nicht
Schluss sein muss mit der Schülerzeitung. Vor elf Jahren
startete der "Spiesser" in Sachsen und längst kennt ihn auch
in Thüringen und Sachsen-Anhalt jeder Jugendliche. Achtmal im
Jahr liegen 200.000 Exemplare mit inzwischen 40 Seiten an Schulen
und Jugendtreffs aus und sind meist schnell vergriffen. Kosten tut
der "Spiesser" nichts. Lokale und regionale Anzeigenkunden zahlen
gerne für den Zugriff auf eine Klientel, an die gerade
mittelständische Werber häufig kaum herankommen: 14- bis
22-Jährige, die weder Tageszeitung noch Magazine lesen und die
das wenige Geld, das sie haben, meist trotzdem gerne ausgeben.
Bald auch in Berlin und Brandenburg
Im August läutet der "Spiesser" eine neue Phase seiner
Expansion ein und geht mit 100.000 weiteren Exemplaren auch in
Berlin und Brandenburg auf den Markt. Damit das Magazin auch dort
passgenau die Zielgruppe bedient, werden in Berlin und Potsdam
zusätzliche Schreiber installiert. Sie liefern Artikel
für die regionalisierten Ausgaben, stellen Tipps und Service
für die jeweilige Umgebung zusammen und stehen vor Ort als
Ansprechpartner zur Verfügung.
Das klingt und ist professionell, wäre aber wohl
längst nicht so erfolgreich, wenn Macher und Leser nicht
weitgehend deckungsgleich wären. Peter Stawowy ist der
einzige, der die 30 überschritten hat. Die Schreiber sind ab
14 aufwärts - ein "Tross von Leuten vor dem Abi", sagt Stawowy
- und zugleich Mitarbeiter und Peilsender bei der Auswahl von
Themen: "Wenn in der Konferenz einer sagt: Das würde meine
Klasse nicht lesen, ist das Thema durch", sagt Stawowy. "Umgekehrt
gilt: Was die Klasse wissen will, wird recherchiert." Eine sichere
Bank sind Pop, Film und Musik: Ein Interview mit den "Toten Hosen"
war im Blatt, eins mit den "Fantastischen Vier" und auch eine
Titelgeschichte über "Mein Leben als Fan".
Weiter bietet der "Spiesser" aber jede Menge undogmatisch
aufbereitete Lebenshilfe - Tipps für den Weg in den Beruf, die
erste eigene Wohnung, das Studium oder das Ausland. Und Reportagen
aus der Region - über eine Schule, die wie so viele in Sachsen
vor der Schließung steht oder eine 16-Jährige auf der
Suche nach der ersehnten Lehrstelle. Tabu ist jeder von der
Popmaschinerie gesteuerte Hype um Stars und Sternchen, Skandale und
Skandälchen. Stawowy: "Wir wollen die Leute nicht verarschen,
sondern ihnen Wege zeigen, ihr Leben in die Hand zu nehmen". Beim
Thema Ausbildung, einem Dauerbrenner im Heft, heißt das
für die strukturschwache Region: Chancen auf dem Markt suchen
statt immer nur Krisen beklagen.
Kein Platz für die NPD
Auch in der Politik interessiert nur, womit der Tross Leute vor
dem Abi etwas anfangen kann: Vor der Landtagswahl interviewte der
"Spiesser" die jüngste Kandidatin; zum ersten Geburtstag der
Osterweiterung der Europäischen Union fragte man gleichaltrige
Polen nach ihrer Bilanz. Politisch sein im Sinne von Parteinahme
wollen die "Spiesser" nur in einer Hinsicht - in der strikten
Ablehnung rechtsextremer Positionen. Der NPD, die mit neun Prozent
der Stimmen im Dresdner Landtag sitzt, wird definitiv kein Platz
eingeräumt. Stattdessen druckt das Magazin Interviews mit
Aussteigern aus der rechtsextremen Szene und stellt in jeder
Ausgabe Initiativen gegen Rechts vor. "Dass es auch in Sachsen ohne
und gegen Nazis geht, demonstrieren wir gerne", sagt Stawowy.
Aber ist der "Spiesser" bei soviel Professionalität
überhaupt noch eine Schülerzeitung? Jedenfalls ist der
erfolgreiche Verleger von heute der Gründer von gestern. Frank
Haring war 17, als er zusammen mit zwei Mitschülern den ersten
"Spiesser" vollschrieb. Schnell überzeugte das Blatt nicht nur
die Mitschüler, sondern auch Jugendliche in einer immer
größer werdenden Umgebung. Als die Auflage die
5.000er-Marke überschritt, sagt er, "da habe ich gewusst:
Unglaublich, das funktioniert!"
Was das Erfolgsrezept angeht, tippt der mit seinen 28 noch immer
ziemlich junge Verleger auf so solide Eigenschaften wie Ehrlichkeit
und Lebensnähe. Anders als bei der "Bravo" und anderen
Jugendmagazinen hätten die 14 bis 22-jährigen beim
"Spiesser" das Gefühl, man nehme sie ernst. "Viele denken
,Hey, das ist ein Blatt von uns'", sagt Haring, "und das soll auch
so bleiben - egal, wie groß wir noch werden."
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