Dirk Klose
Menschenwürde angesichts von Krankheit und
Sterben
Bericht der Enquete-Kommission "Ethik und Recht
in der modernen Medizin"
Die Versorgung schwerkranker und sterbender
Menschen ist in Deutschland noch immer unzureichend. Die Hospiz-
und Palliativversorgung weisen trotz großer Fortschritte "noch
immer deutliche Defizite" auf. Das ist eine der Kernaussagen eines
Zwischenberichts der Enquete-Kommission "Ethik und Recht in der
modernen Medizin", der am 28. Juni Bundestagspräsident
Wolfgang Thierse übergeben wurde (Drucksache 15/5858). Die
Komission macht darin zahlreiche Vorschläge, wie die
Versorgung Schwerstkranker und Sterbender in Deutschland durch
Palliativmedizin und Hospizarbeit verbessert werden kann.
Professionelle Palliativmedizin und
Hospizarbeit sind in der Bundesrepublik relativ jungen Datums. Eine
erste deutsche "Station für Palliative Therapie" war im Jahre
1983 an der Chirurgischen Universitätsklinik Köln
eingerichtet worden. Das erste Hospiz hatte drei Jahre später
in Aachen seine Arbeit aufgenommen. Im Jahre 1991 wurden erstmals
von der Bundesregierung Palliativstationen im Rahmen eines
Modellprojektes gefördert.
Palliativmedizin ist nach einer Definiton der
Weltgesundheitsorganisation WHO eine Verbesserung der
Lebensqualität von Patienten, die mit einer bedrohlichen
Erkrankung konfrontiert sind und denen Schmerzfreiheit oder
zumindest Schmerzlinderung ermöglicht werden soll. Es ist eine
Medizin, die nicht mehr eine Heilung des erkrankten Menschen zum
Ziel hat, sondern menschenwürdiges Sterben im letzten
Lebensstadium erleichtern soll. Hospizarbeit verfolgt das Ziel,
sterbenden Menschen ein selbstbestimmtes Lebensende und Sterben zu
ermöglichen. Es könne, so die Kommission, "als
anerkanntes gesellschaftliches Ziel betrachtet werden, sterbenden
Menschen einen würdigen Lebensraum zu schaffen und dabei ihre
Wünsche und Bedürfnisse in den Mittelpunkt zu
stellen".
Umstrittene Sterbehilfe
Auf die "nachvollziehbaren Ängste vieler
Menschen vor Fremdbestimmung, Einsamkeit und Schmerzen"
müssten Gesellschaft und Politik "dringend" überzeugende
Antworten finden. Das ist nach Ansicht der Kommission auch deshalb
erforderlich, weil in der deutschen Bevölkerung eine teilweise
"hohe Zustimmungsbereitschaft" zur Legalisierung aktiver
Sterbehilfe" bestehe. Das aber könne nicht im Interesse der
Gesellschaft liegen: "Aufgabe der Politik muss es vielmehr sein,
die Verbesserung der medizinischen, pflegerischen und
psychosozialen Bedingungen in der letzten Lebensphase
anzustreben."
Dass den Wünschen leidender und
sterbender Menschen mehr als bisher entgegengekommen werden muss,
unterstreicht die Kommission mit einer weiteren Feststellung: "Zu
einem würdigen Leben und Sterben gehört die Achtung vor
dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten und seiner
Angehörigen. Sie dürfen nicht zu bloßen Objekten
medizinischen oder pflegerischen Handelns gemacht werden. Zur
Menschenwürde gehört es, sein eigenes Leben leben und
seinen eigenen Tod sterben zu dürfen. Dieses Recht bedeutet
nicht, den Zeitpunkt des eigenen Todes bestimmen zu können,
sondern dass innerhalb des natürlichen Sterbeprozesses die
Wünsche und Bedürfnisse des Einzelnen bis zu seinem
letzten Atemzug ernst genommen und berücksichtig
werden."
In Deutschland reicht nach Meinung der
Kommission das medizinisch-pflegerische Angebot auf diesem Gebiet
bei weitem nicht aus. Im Durchschnitt würden je eine Million
Einwohner mindestens 35 Palliativbetten benötigt;
tatsächlich liegt die Zahl der Betten derzeit aber bei 9,1;
sie schwankt zwischen Bremen (25,6) und Baden-Württemberg
(4,1). Bei Hospizbetten liegt die Bandbreite zwischen
Thüringen (0) und Hamburg (23,5).
Um die Situation zu verbessern, schlägt
die Kommission eine Reihe konkreter Maßnahmen vor: Die
Freistellung von Angehörigen für die Sterbebegleitung
sollte insoweit verbessert werden, als ihnen die
Wahlmöglichkeit zwischen Voll- und Teilzeitkarenz gegeben
wird. Die Sozialversicherungsbeiträge sollte dann weiter der
Arbeitgeber leisten, der die Kosten aber aus Steuermitteln
erstattet bekommt. Für eine verbesserte Palliativ-Versorgung
wird ferner der Aufbau "multidisziplinärer
Palliative-Care-Teams" empfohlen, die an der Schnittstelle zwischen
stationärer Krankenhausversorgung und ambulanter Versorgung
stehen sollten. Generell sollte es nach Ansicht der Kommission eine
gesetzliche Absicherung des Anspruchs auf palliativmedizinische
Versorgung geben.
Erforderlich sei schließlich auch eine
verbesserte Aus- und Fortbildung der beteiligten Berufsgruppen. Die
Ärztliche Approbationsordnung sollte beispielsweise so
verändert werden, dass Palliativmedizin zu einem
Pflichtlehrfach und zu einem Prüfungsfach für alle
Medizinstudenten werde. Noch gebe es gegenwärtig an den
deutschen Hochschulen und Universitätskliniken nur wenige
derartige Lehr- und Ausbildungsmöglichkeiten: "Langfristig ist
anzustreben, an allen medizinischen Fakultäten einen Lehrstuhl
für Palliativmedizin einzurichten."
Ausführlich geht der Bericht auch auf
Finanzierungsfragen ein. So wird empfohlen, die einschlägigen
Bestimmungen im Sozialgesetzbuch so zu ändern, dass die
Spitzenverbände der Krankenkassen zusätzliche
Vereinbarungen mit den Anbietern stationärer Hospize treffen
müssen. Die derzeit von den Krankenkassen bundesweit
pauschaliert gedeckten Anteile an den Bedarfssätzen der
Hospize seien "in den meisten Fällen nicht mehr
kostendeckend". Der Anteil der Eigenfinanzierung stationärer
Hospize sollte von zehn auf fünf Prozent gesenkt werden. Auch
sei zu fragen, ob die jetzt geltende Unterstellung stationärer
Hospizeinrichtungen unter die Regelungen des Heimgesetzes
fortbestehen soll. Nicht benutzte und unaufgebrochene Medikamente
sollten unter ärztlicher Kontrolle wiederverwendet werden
dürfen.
Bundestagspräsident Wolfgang Thierse
hatte bei der Entgegennahme des Berichts erklärt, er
begrüße die darin gemachten Vorschläge als
Alternativen zu "Hilfen für schnelles Sterben". Der
Kommisionsvorsitzende René Röspel (SPD) hatte dabei noch
einmal auf die Dringlichkeit einer besseren palliativen und
Hospizversorgung verwiesen. Die Kommission hatte bereits in den
vergangenen Monaten Stellungnahmen zum Thema
"Patientenverfügungen" und zum Arzneimittelgesetz abgegeben.
Mit ihrer Tätigkeit ergänzt sie die Arbeit der im vorigen
Bundestag eingesetzten Kommission "Recht und Ethik der modernen
Medizin". Während sich die damalige Kommission stärker
auf Fragen zu Anfängen des Lebens (künstliche
Befruchtung) konzentrierte, gehören zu den jetzigen
Schwerpunkten in verstärktem Maße Themen zu Alter und
menschenwürdigem Sterben.
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