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Claudia Heine
"Ein ganz normales Geschäft"
ADAC und Versicherungen im Visier des
Untersuchungsausschusses
Während unten im Saal die Ausschussmitglieder konzentriert
und wahlkämpfend versuchten, Licht ins Dunkel der
Visa-Affäre zu bringen, konnte einer, obwohl zentrale Figur
der Affäre, ganz entspannt den Zeugenvernehmungen folgen:
Heinz Martin Kübler, Gründer der Reiseschutz-AG und nach
eigenen Angaben Vertreiber von ungefähr 120.000
Reiseschutzpässen. Erst Mitte Juni war der Prozess gegen den
wegen Beihilfe zur Schleusung in mehreren hundert Fällen
angeklagten Versicherungsverteter gegen Zahlung einer Geldbuße
von 120.000 Euro eingestellt worden. Für den
Visa-Untersuchungsausschuss war das jedoch kein Grund, sich nicht
mehr mit den Reiseschutzversicherungen und Reiseschutzpässen
zu beschäftigen. Schließlich entpuppten sie sich im Laufe
der Affäre als entscheidendes Instrument zur
Visa-Erschleichung.
Am vergangenen Donnerstag bat der Ausschuss deshalb
zunächst den Präsidenten des ADAC in den Zeugenstand. Der
Automobilclub hatte 1995 die ersten Reiseschutzpässe, die so
genannten Carnets de Touriste (CdT), auf dem Markt etabliert. Peter
Meyer erläuterte, warum: "Der Verband verfolgte damit keine
wirtschaftlichen, sondern eher altruistische Ziele. Es ging darum,
nach dem Fall des Eisernen Vorhangs die Reisemöglichkeiten von
Mitgliedern der Partnerverbände in Osteuropa zu verbessern."
Durch die Versicherung eventueller Kosten für Krankheit oder
Abschiebung sollten solche Reisen erleichtert werden. Laut Meyer
war die Einführung des CdT sowohl vom Auswärtigen Amt
(AA) als auch vom Bundesinnenministerium der Kohl-Regierung
"gewünscht". Deshalb habe es Gespräche mit den
Behörden gegeben, in denen die Modalitäten festgelegt
worden seien. So habe die Regierung darauf bestanden, ein
offizielles Dokument mit Schutzmerkmalen zu schaffen. Die
Produktion der CdT in der Bundesdruckerei und eine
"Vorprüfung" der Antragsteller sollten Missbrauch
verhindern.
Heute ist zwar klar, dass sich dieser Wunsch nicht
erfüllte. Über die Ursachen dafür scheiden sich nach
wie vor die Geister von Opposition und Regierungskoalition. Fest
dürfte mittlerweile lediglich stehen, dass nicht das CdT als
solches Schuld hat, sondern seine Anwendung im hierzulande in der
Vergangenheit praktizierten Visa-Verfahren. Und da wird es
knifflich. Union und FDP sehen in einem Erlass des AA vom Oktober
1999 einen Hauptgrund. Darin wurden die Botschaften in Osteuropa
angewiesen, bei Vorlage des CdT auf eine weitere Prüfung der
Finanzierbarkeit der Reise und Rückkehrbereitschaft der
Antragsteller zu verzichten - so die Interpretation der Opposition,
die hierin ein Einfallstor für Visa-Missbrauch und massenhafte
Menschenschleusungen entdeckte. Rot-Grün sieht das anders. In
dem Erlass stehe keinesfalls, dass das CdT von weiteren
Überprüfungen entbinde, betonte der Grünen-Obmann
Jerzy Montag während der Sitzung noch einmal. Auf dasselbe
Argument beruft sich auch die Opposition, um einen Erlass der
Kohl-Regierung zu verteidigen, der der SPD als Argumentationshilfe
dient. Schon Mitte der 90er-Jahre habe das AA unter
Außenminister Klaus Kinkel (FDP) einen fast ähnlich
lautenden Erlass verfasst. Die Vorwürfe der Union,
Rot-Grün habe durch eine ideologisierte Visa-Politik
Menschenschleusungen begünstigt, seien deshalb absurd, meinen
SPD und Grüne.
Für Peter Meyer ist das Carnet de Touriste des ADAC noch
immer "ein gutes Instrument", das für den Missbrauch
ursächlich nicht verantwortlich sei. Der ADAC könne
dafür nicht in die Plicht genommen werden, so Meyer: "Er war
weder Herausgeber noch Verkäufer des CdT, sondern hatte nur
eine Vermittlerfunktion." Vertrieben wurde das CdT laut Meyer von
dem Weltverband der Automobilclubs, der Alliance Internationale de
Tourisme (AIT). Die AIT als Dachorganisation hätte auch die
Regularien bestimmt, nach denen die einzelnen Länderklubs das
CdT ausgegeben haben. Dazu habe die Prüfung von Reisezweck und
Finanzierbarkeit durch ein persönliches Gespräch
gehört. Wegen dieser Auflagen sei das ADAC-CdT
grundsätzlich zu verteidigen. "Bei uns war immer klar, wer der
Inhaber eines CdT ist", begründete Meyer seine Haltung. Erst
mit der Zulassung der Reiseschutzpässe, zum Beispiel von
Küblers Reiseschutz-AG, hätte sich die Situation
verändert: "Der Markt wurde stark verlagert von einem
reglemetierten Verfahren der AIT hin zu einem kommerziellen
Verfahren", sagte Meyer. Seit der Einführung des CdT
vermittelte der ADAC nach Angaben Meyers 350.000 dieser Dokumente,
davon 100.000 allein in der Ukraine. Nach dem Auftritt der
Reiseschutz-AG habe es jedoch einen Einbruch gegeben. Während
im Jahr 2001 noch 56.000 CdT "abgewickelt" worden seien, sank die
Zahl ein Jahr darauf auf 73.000, bis sie schließlich im Jahr
2004 auf nur 6.000 zusammenschrumpfte.
Im Mai 2001 hatte das AA die Botschaften angewiesen, die
Reiseschutzpässe der Kübler-Firma im Visa-Verfahren zu
akzeptieren. An dieser Stelle trat nun der zweite Zeuge des Tages
auf den Plan: Hartwig Meyer, Vorsitzender der Geschäftsleitung
der Allianz AG. Gleich zu Beginn seiner Vernehmung nahm er das
Versicherungsunternehmen aus der Schusslinie: "Für mich ist
ganz zentral: Es gab keinen Allianz-Reiseschutzpass." Zu dieser
Vermutung könnte man kommen, da Heinz Kübler bis 2002
für die Allianz-Gesellschaft tätig war, aber nicht als
"Mitarbeiter", bemühte sich Meyer eilig zu betonen, sondern
als Vertreter. In dieser Funktion war er immerhin "ein aus unserer
Sicht erfolgreicher Geschäftspartner", so Meyer weiter. Sogar
Auszeichnen habe Kübler erhalten. Die Allianz habe mit den
Machenschaften der Reiseschutz-AG aber nichts zu tun, versicherte
Meyer. Die Versicherung habe dem Unternehmen lediglich die Kranken-
und Haftpflichtversicherung "zur Verfügung gestellt". Es habe
sich um ein "Versicherungsgeschäft wie viele andere
gehandelt". Im Übrigen habe zu der Zeit kein Grund zu Zweifeln
bestanden, schließlich sei es ja ein Projekt gewesen, das vom
Bundesinnenministerium promotet worden sei, verteidigte sich
Hartwig Meyer.
Erst als die Allianz im Herbst 2002 von Hausdurchsuchungen und
infolgedessen von den kriminellen Aktivitäten der Firma
erfuhr, habe sie alle Verträge mit Kübler gekündigt.
Im übrigen kenne er Kübler persönlich nicht, worauf
sich der Ausschuss-Vorsitzende Hans-Peter Uhl (CSU) die Bemerkung
nicht verkneifen konnte, dass sich dies schnell ändern lasse.
Heinz Kübler lächelte von der Pressetribüne
herab.
Während der Zuschauer jedoch sicher ist, wie viele
Pässe er verkauft hat, versetzte die Frage den Zeugen in
Schwierigkeiten: "Wir wissen nicht, wie viele Reiseschutzdokumente
Kübler vertrieben hat." Mit der Allianz habe er 57.000
abgerechnet. Jedoch hätte die Allianz weder die Namen der
Versicherten gekannt, noch Angaben zu deren Aufenthaltsdauer
besessen. Der SPD-Abgeordnete Sebastian Edaty fand es
"ungewöhnlich", dass bei einer solchen Zahl kein einziger
Schadensfall gemeldet wurde. Meyer konnte das aber auf Nachfrage
des Politkers nicht erklären. Die Union fand diese Frage
unzulässig und protestierte.
Nun warten alle auf den 8. Juli: den Auftritt von
Bundesinnenminister Otto Schily.
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